Widerstand gegen die Naturgefahr: Aktiver und passiver Schutz gegen Felssturz

Die Natur reagiert auf veränderte äußere Umstände, indem immer neue Gleichgewichtszustände verwirklicht werden. Das ist für die natürliche Evolution zwar gut, für den menschlichen Lebensraum aber mitunter katastrophal.

In Zeiten des Klimawandels werden derartige veränderte äußere Zustände immer schlagartiger bemerkbar. Die Gewalt, die Naturgefahren auf unsere menschlichen Lebensräume ausüben, sind folglich ekkatant. Auch und vor allem, weil wir immer öfter in Zonen bauen und folglich materielle Werte schaffen, in denen früher nicht gebaut wurde. Aus diesem Drang in die Landschaft und in dem Versuch, die „wilde“ Natur scheinbar zu bezwingen, werden unsere gebauten Umgebungen immer größeren Gefahren ausgesetzt.

Zudem: Wo früher ein Schutzwald stand, verläuft heute bauliche Infrastruktur, Verkehrsinfrastruktur, oder Landwirtschaft mit wenig Rückhaltekraft gegen Naturgewalten. Die Versiegelung weiter Flächen, zu wenig Begrünungen, Dachbegrünungen, Fassadenbegrünungen und mangelnde Rückhaltevorrichtungen gegen Hochwasser kontrastieren die Naturgewalten nicht. Vieles könnte die Ingenieurbiologie lösen, wenn man sie lassen würde.

Die Investitionen in Schutzvorrichtungen gegen Hochwasser, Hangbewegungen, Wildbäche, Steinschläge und Felsstürze werden – und müssen – folglich zunehmen. Aufgrund der teilweise immenen Trockenheit werden aber auch Waldbrände zur akuten Gefahr und Gegenmaßnahmen notwendig. Erdbeben gefährden nicht nur unsere Bauwerke, sondern lösen auch in der Natur Folgeerscheinungen wie Felsstürze, Hanginstabilitäten und Baugrunddynamiken aus. Gerade mit Blick auf Infrastruktur wie Staubecken und Wasserkraftanlagen sind die Gefahren komplex. Gefahrenschutzpläne bieten nur vorbeugenden Schutz.

Die moderne Ingenieurgeologie bietet Methoden, um das Ausmaß von potentiellen Felsstürzen im Gebirge wahrscheinlichkeitstheoretisch zu bestimmen, die immense Masse, die sich ablösen kann, abzuschätzen und die kinetische Masse zu bestimmen, die letztlich auf eine Schutzvorrichtung einwirkt und entsprechende Widerstände anzusetzen hat. Die Scherfestigkeit als Gebirgsscherfestigkeit oder Scherfestigkeit auf Trennflächen entscheidet darüber, welche Massen bei Steinschlag- und Felssturzereignissen beteiligt sein können.

Begrifflich wird wie folgt unterschieden [3]:

Steinschlag: Aus der Wand fallen Gesteinsstücke in der Größe von Mittelkies, Grobkies, Steinen oder kleineren Blöcken.

Blocksturz: Aus Fels- oder Steilwänden im kohäsiven Lockermaterial (Moräne, Verwitterungslehm mit Steinblöcken aus der Wollsack- verwitterung, Hangschutt) können einzelne Blöcke herausfallen.

Eissturz: Durch Gletscherbewegung können aus Gebirgsgletschern Eismassen abbrechen und abstürzen.

Erdsturz: Steilwände im Lockermaterial (Sandgruben, Kiesgruben, Baugruben, Schürfgruben, Gräben, Steilküsten) können plötzlich ausbrechen, und zusammenhängende Erdmassen (Erdschollen) können abstürzen.

Felssturz: Das Ausbrechen zusammenhängender Felspartien aus der Fels- wand wird als Felssturz bezeichnet. Die Felsmasse löst sich längs einer oder längs sich verschneidender Abrissflächen. Im Fels bleibt eine Abrissnische zurück. Die stürzenden Massen zerbrechen beim Aufprall.

Bergsturz: denen größere Teile einer Bergkuppe oder Bergwand abbrechen und abstürzen, werden als Bergsturz bezeichnet. Die Berg- sturzmasse geht in aller Regel aus einer gleitenden Bergmasse hervor.

Aktive Maßnahmen setzen am Ursprung der Naturgefahr an, während passive Maßnahmen am Ort der Schutzgüter schützend wirken.

Ist der Fels stabil, ist aber mit Ausbrüchen zu rechnen, sind Steinschlagsicherungen notwendig. Diese können in Spritzbetonsicherungen (aktive Sicherungselemente), aber auch in Auffangnetzen bestehen (passive Sicherungselemente). Elastische Steinschlagnetze und starre Steinschlagwände richten sich nach der Steingröße und der Fallenergie und können auch mit Bremsvorrichtungen ausgestattet sein.

Die Vorhersagbarkeit von Stein- und Felsstürzen ist schwer. Zunehmend kommen numerische Modellierungen zum Einsatz, um die Absturzenergie und die Reichweite der Sturzmassen zu bestimmen und um Steinschlagschutzmaßnahmen zu positionieren. Eingangsgrößen sind Größe und Form der Blöcke und Steine, die Sturzbahnen ergeben sich aus Relief, Bodenbeschaffenheit, Rauigkeit, Dämpfung.

„Bei Bauvorhaben an rutschgefährdeten Hängen ist nach dem „Prinzip der kleinsten Massenbewegungen“ vorzugehen, d. h., die Eingriffe in das Gelände müssen minimiert werden, und es dürfen jeweils nur so wenig Massen ab- bzw. aufgetragen werden wie möglich. Das Prinzip des kleinsten Massenabtrags gilt auch bei Steinschlag- und Felssturzgefahr. Hierbei handelt es sich häufig nur um einige Kubikmeter Gestein, die an übersteilten Böschungen abzustürzen drohen. Das Problem besteht i. d. R. darin, die absturzgefährdeten Partien zu erreichen und zu beräumen bzw. abzutragen, ohne weiteren Schaden anzurichten. Oft ist es kostengünstiger, den Großteil der absturz- gefährdeten Massen in der Wand zu sichern“ [1].

Ist der Abtrag nicht zielführend oder nicht ohne Auffangwände zu bewerkstelligen, werden Schutzwälle errichtet. Aktive Maßnahmen sind Felssicherungen, Ankerbalken, Spritzbetonsicherungen, Lisenen und Felsanker. Passive Maßnahmen sind Auffang- und Ablenkungsdämme, die bei kleineren Bergstürzen und Felsmuren wirtschaftlich einsetzbar sind.

Bautechnisch eröffnen sich vielfältige Herausforderungen [2]. Schon alleine die anzusetzenden Kräfte, die nicht normiert sind, sind eine komplexe Angelegenheit. Dabei geht es darum, das Risiko realistisch einzuschätzen und ein Bemessungsereignis anzusetzen. In der Regel soll bei kleineren Ereignissen kein Schaden am Schutzbauwerk und bei größeren Ereignissen sogar die Zerstörung in Kauf genommen werden, wenn denn nur die Schutzgüter und Menschenleben geschützt werden. Der Baugrund, die geotechnischen Nachweise, die Verankerung der Schutzkonstruktion im Baugrund, die Bauausführung und konstruktive Bemessung sowie Ausführubg im unwegsamen Gelände mit dem Antransport großer Massen an Baustoffen, die Entwässerung des Bauwerks, um Staudruck zu verhindern, die laufende Inspektion, Wartung und Instandhaltung, die in natürlicher Umgebung nicht immer einfach ist, letztlich die Sanierung nach kleineren und größeren Einwirkungen [4].

Das fertige Bauwerk muss dann in den natürlichen Organismus eingegliedert sein, natürliche Zusammenhänge zulassen und fördern und das Zusammenspiel Bauwerk und Natur anregen.

Wesentlich ist aber immer auch das öffentliche Bewusstsein: Gefahren bestehen immer und können nur mit immensen Investitionen minimiert werden, sodass ein zu definierendes Risiko aus ökonomischen Gründen bleiben muss. Hier müssen Bewusstseinsbildung, transparente Kommunikation, Zivilschutz, aber auch Bürgerverantwortung ansetzen. Die eine oder andere Gefahr ist in der Natur absehbar. Gerade durch Monitoring mit Drohnen. Jeder bauliche Eingriff in die Natur ist auch in Bedacht auf mögliche Naturgefahren zu hinterfragen. Erst danach beginnt die Prävention.

Michael Demanega ist seit 2022 im Landesverzeichnis der Sachverständigen für Naturgefahren der Autonomen Provinz Bozen eingetragen.

Literatur:

[1] Helmut Prinz und Roland Strauß: „Ingenieurgeologie“, Springer Spektrum, Berlin 2017

[2] Jürgen Suda und Florian Rudolf-Miklau: „Bauen und Naturgefahren – Handbuch für konstruktiven Gebäudeschutz“, Springer, Wien New York 2011

[3] Wolfgang Dachroth: „Handbuch der Baugeologie und Geotechnik“, Springer Verlag, Berlin 2017

[4] Konrad Bergmeister, Jürgen Suda, Johannes Hübl, Florian Rudolf-Miklau: „Schutzbauwerke gegen Wildbachgefahren – Grundlagen, Entwurf und Bemessung, Beispiele“, Ernst und Sohn Verlag, Berlin 2009

4 Kommentare zu „Widerstand gegen die Naturgefahr: Aktiver und passiver Schutz gegen Felssturz

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