Unwetter, Hangrutschungen und Murgänge

Extreme Unwetterereignisse lösen nicht nur Hochwasser und Überschwemmungen hervor, sondern – besonders im gebirgigen Gelände – Hangrutschungen und Murgänge. Dazu ist zuallererst einmal eine Begriffsbestimmung notwendig. Grundsätzlich stellt sich eingangs die Frage, inwieweit das Wasser im Spiel ist. Während Stürze (Felsstürze, Bergstürze) begrifflich ohne Wassereinfluss vonstatten gehen, sind Rutschungen immer mehr oder weniger durch das Wasser (Porenwasserdruck, Wasser als Auflast) beeinflusst. Murgänge oder murartige Feststofftransporte sind hingegen weitgehend durch die (zähflüssigen) Fließmechanismen des Wassers gekennzeichnet. Letztlich sind fluviatile Feststofftransporte und das Hochwasser selbst durch das fließende Wasser bedingt.

Grundsätzlich unterscheiden sich Flüsse und Bäche aufgrund der Tendenz, dass Flüsse durch die Fließgeschwindigkeit dazu neigen, dass es zu Ablagerungsprozessen kommt, während Bäche Erosionsprozesse hervorlösen. Ein Fließgewässer ist ständig im instabilen Zustand, da es sich abschnittsweise durch Erosion (besonders im Ursprung) und abschnittsweise durch Ablagerungen (im Mündungsbereich) kennzeichnet. Hinzu kommen lokale Effekte aufgrund der Fließmechanismen.

Im österreichischen Forstgesetz ist ein Wildbach definiert als: „Ein Wildbach im Sinne dieses Bundesgesetzes ist ein dauernd oder zeitweise fließendes Gewässer, das durch rasch eintretende und nur kurze Zeit dauernde Anschwellungen Feststoffe aus seinem Einzugsgebiet oder aus seinem Bachbett in gefahrdrohendem Ausmaße entnimmt, diese mit sich führt und innerhalb oder außerhalb seines Bettes ablagert oder einem anderen Gewässer zuführt“. Im Gegensatz zum Fluss ist der Wildbach folglich, bedingt durch das starke Gefälle der umliegenden Hänge, stark variierenden Abflussmengen unterworfen, womit auch die Kräfte auf das Bachbett zunehmen.

Die Erosion, also der Abtrag und der Transport von Feststoffen im Wasser, beeinflusst die Fließmechanismen entscheidend. Weil die kinetische Energie von der Masse abhängt, ist die Anwesenheit von massigen Feststoffen im Fließgewässer ein wesentlicher Faktor, welcher die Einwirkungen auf menschliche Umgebungen und in der Folge die Schäden charakterisiert. Die steilen Hänge im alpinen Gebiet bewirken durch die hohe potentielle Energie stets große Energiemengen.

Das Fließen des Gewässers erzeugt durch die Reibung des Wassers am Flussbett Wirbel oder Walzen, also gegenteilig drehende Bewegungen. Bei der strömenden Fließart ist die Fließgeschwindigkeit kleiner als die Wellengeschwindigkeit. Bei der schießenden Fließart des Wassers ist die Fließgeschwindigkeit hingegen größer als die Wellengeschwindigkeit. Durch die erhöhte Fließgeschwindigkeit erhöhen sich die Fließwalzen und folglich die Kräfte, die die Erosion des Bodens an den seitlichen Hängen sowie an der Sohle hervorlösen. Dadurch, dass durch die Erosion Feststoffe in das Bachbett gelangen, erhöht sich die Strömungskraft zusätzlich.

Die Erosion kann unterteilt werden in Tiefenerosion, Seitenerosion oder Oberflächenerosion. Hinzu kommen lokale Feststoffherde, bei welchen ein Geländebruch lokal einen Feststoffeintritt bewirkt.

Die Analyse der Geländemorphologie sowie die Hydrologie, also die Abflussmechanismen, die sich bei einem Niederschlagsereignis einstellen, ist wesentlich, um die Auswirkungen von Starkwetterereignissen zu erfassen. Die laufende Pflege der Wildbäche sowie der Vegetation und der Schutzwälder, die Schaffung von Retentions- und Versickerungsflächen sowie der Eingriff in die Fließgewässer durch Steigerung der Abflussleistung, Gerinneaufweitungen, Beseitigung von lokalen Abflusshindernissen, Schaffung von Stufen zum Abbau der kinetischen Energie, Glättung (Ausbau) des Gerinnes sowie der Schutz der Hänge sind bedeutend, um die Ursachen von natürlichen Gefahren an der Wurzel zu beheben.

Neben Einschränkungen durch die Raumordnung und die Gefahrenzonenpläne gilt es in der Folge, technische Schutzbauten zu realisieren. Dazu gehören Talsperren, die geschlossen oder offen sein können. Zu den offenen Sperren gehören Dolensperren, Schlitzsperren, aufgelöste Sperren sowie Gitter- und Netzsperren. Immer geht es darum, Retentionsmöglichkeiten zu schaffen sowie das abfließende Wasser zu begrenzen und Feststoffe zurückzuhalten.

Die tragischen Umstände der letzten Zeit unterstreichen, dass eine gesamtheitliche Risikoanalyse mit wirksamen strategischen Eingriffen in die gebaute Infrastruktur wesentlicher denn je sind, weil derzeit nicht nur Unwetterereignisse qualitativ und quantitativ zunehmen, sondern weil darüber hinaus die menschlichen Umgebungen immer anfälliger und vulnerabler werden und das menschliche Schutzbedürfnis stark im Steigen ist.

Weiterführende Artikel:

Hochwasser und Hochwasserschutz: Maßnahmen im Hier und Jetzt!

Naturgefahren in den Alpen – Vorsorge und Schutz durch bauliche Maßnahmen

Naturgefahren, Ingenieurbiologie und Schutzwälder

Literatur:

Konrad Bergmeister, Jürgen Suda, Johannes Hübl, Florian Rudolf-Miklau: „Schutzbauwerke gegen Wildbachgefahren – Grundlagen, Entwurf und Bemessung, Beispiele“, Ernst und Sohn Verlag, Berlin 2009

Wolfgang Dachroth: „Handbuch der Baugeologie und Geotechnik“, Springer Verlag, Berlin 2017

Jürgen Suda und Florian Rudolf-Miklau: „Bauen Und Naturgefahren: Handbuch Für Konstruktiven Gebäudeschutz“, Springer Verlag, Wien 2011

Autonome Provinz Bozen – Südtirol, Abteilung Wasserschutzbauten: „IHR Informationssystem zu hydrogeologischen Risiken Methodischer Endbericht“, Bozen 2008

Fotonachweis: Feuerwehrverband Südtirol, Facebook, Juli 2021

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