Wiener Moderne | 3

Wien und die Folgen: Zeitlose Ästhetik, Ästhetizismus und Stil

In Anlehnung an die Wiener Werkstätte entstand 1907 in Darmstadt der „Deutsche Werkbund“ als „Vereinigung von Künstlern, Architekten, Unternehmern und Sachverständigen“ und zielte auf die „Veredelung der gewerblichen Arbeit im Zusammenwirken von Kunst, Industrie und Handwerk, durch Erziehung, Propaganda und geschlossene Stellungnahme zu einschlägigen Fragen“. Gründungsmitglieder waren Peter Behrens, Theodor Fischer, Josef Hoffmann. Später entstanden gerade aus dem Werkbund heraus die Grundlagen für die explizite bauliche Moderne im Bauhaus, wenngleich die Moderne längst geboren war.

Eine interessante Frage betrifft das Verhältnis von Werkbund und Jugendstil, die nacheinander und nebeneinander entstehen. Hans-Jürgen Sembach unterstreicht die Unterschiede zwischen Werkbund und Jugendstil: „Was nun das innere Wesen der Vereinigung anbetrifft, so ist es wohl am besten, sie buchstäblich beim Namen zu nehmen. Die Wortverbindung „Werk-Bund“ umreißt tatsächlich ein ganzes ideologisches Konzept, und das Adjektiv „deutsch“ erübrigt sich fast angesichts des unverkennbar idealistischen Klanges. „Werken“ als gutes, selbstloses Tun und „bündisches“ Zusammengehen für ein hohes Ziel – das sind Vorstellungswelten, die nicht nur deutlich, sondern auch miteinander verwandt sind. (…) Im Lauf der historischen Betrachtung hat sich nun immer deutlicher herausgestellt, dass der Jugendstil zwar nach außen hin ein Fest mit Witz, Brillanz und Schönheit war, dass er jedoch auch abgelenkt hat von der notwendigen Revolution. Die Frage danach, wie die Gestalt einer immer technischer werdenden Welt auszusehen habe, vermochte der Jugendstil genauso wenig zu beantworten wie der Historismus, der ihm vorangegangen war. Stattdessen hatte mit dem Jugendstil noch einmal eine Kunstform den Sieg davongetragen und die Illusion genährt, dass sich durch eine stilistische Neuerung alle Übel – auch die sozialen – aus dem Weg räumen ließen. Als sich die Erkenntnis durchsetzte, dass es sich hierbei um einen Irrtum gehandelt hatte, wurde allmählich der Blick dafür offen, die ästhetischen Probleme nicht länger isoliert, sondern gemeinsam mit den wirtschaftlichen und gesellschaftspolitischen Bedingungen der Zeit zu sehen“ [1].

Mit der „Wiener Moderne“ stand eine andere Moderne zur Verfügung, die das Menschsein wahrscheinlich besser zu erfassen wusste, als die später ansetzende Avantgarde. Dem Menschen wurde durchaus auch ein ästhetisches Bedürfnis zugesprochen sowie ein Gefühl der Dauerhaftigkeit, das sich sowohl in Eingliederung in klassische Zeitlosigkeit als auch in handwerklicher Qualität, die von Bestand ist, äußert. Die „Präsenz der Konstruktion“ [2] wurde als raumgestaltendes Element eingeführt, was von einer zeitgenössischen Sichtweise abweicht, in welcher die Konstruktion höchstens Beigabe zum individuellen Kunstwerk ist, das keinen Bezug zur Umgebung, zur Materialität und zum Bauen herzustellen vermag.

Josef Hoffmann wusste es, Elemente der Volkskunst, der lokalen Bauform und Tradition mit „klassizistischen Kompositionsprinzipien“ zu vereinen. Der Begriff „klassisch“ wird dabei nicht nur als Stilbegriff, sondern als Wertbegriff erachtet: „Er kann auf die verschiedensten Zeiten und Stile angewendet werden, wenn sich einige Gegebenheiten des „Klassischseins“ zusammenfinden: der Faktor der Reife, das heißt eines geschichtlichen Moments, vor dem schon Geschichte liegt; das einmalige Sichvollenden im geschichtlichen Sinne; das Bewusstsein der Reife und Einmaligkeit; die daraus resultierende Mustergültigkeit“ [2].

Damit sind verschiedene Ebenen vereint: Das Tradierte. Das zeitgemäß Moderne. Vor allem aber das Klassische in Form des geschichtlich Vollendeten. Und damit entsteht mit Blick auf Wien ein moderner Stil, der auch über 100 Jahre später nichts an Aktualität eingebüßt hat und im Gegensatz zum Bauhaus von Tiefe, Würde und Kulturalität getragen wird.

Der österreichische Werkbund wurde 1912 nach Vorbild des Deutschen Werkbundes konstituiert. Dieser blieb uneinig und zerstritten. Zunehmend trat an die Stelle einer auf Wirkung bedachten und auf Schönheit fixierten Haltung eine praktisch-zweckrationale Einstellung, die die neuen Anforderungen der Industrie und modernen Technik zu berücksichtigen versuchte.

Die Bandbreite im Werkbund schwankte grundsätzlich zwischen übersteigertem Ästhetizismus und Avantgarde. 1933 gründeten Peter Behrens sowie Clemens Holzmeister den „Neuen Werkbund Österreich“, der allerdings im Kontrast zum Bauhaus stand [3]. Der Werkbund war sowohl der Ursprung für Bauhaus und Avantgarde als auch für die traditionalistische Moderne Stuttgarter Prägung.

Darüber hinaus wäre Wien nicht Wien ohne die Wiener Moderne, die einen Historismus abgelöst hatte, der sich längst überlebt hatte und bei allem Streben nach Kopie vorangehender Epochen nichts Eigenes zu schaffen vermochte. Es ist die Wiener Moderne, die Wien heute Charme, Würde und die zeitlose Anmut der Belle Époque gibt. Und darüber hinaus wichtige Impulse für eine Ästhetik des Bauens und des Lebens.

Vorausgehende Artikel:

Wiener Moderne | 1 – Die Anfänge: Von Otto Wagner zu Adolf Loos

Wiener Moderne | 2 – Josef Hofmann und Joseph Maria Olbrich: „Dandys“ im Auftrag des Gesamtkunstwerks

Literatur:

[1] Hans-Jürgen Sembach: „Deutscher Werkbund – Von der Guten Form zum Schutz der Alpen“, Die Zeit, 29.10.1982

[2] Gabriele Fahr-Becker: „Wiener Werkstätte 1903 – 1932“, Taschen Verlag, Köln 2008

[3] Anton Holzer: „Bauhaus, das Labor der Moderne“, Wiener Zeitung, 23.02.2019

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