Die Schweizer scheinen es einem angetan zu haben. Peter Zumthor, Valerio Olgiati oder Gion Caminada beim Bauen. Oder eben Martin Suter beim Schreiben. Vielleicht ist es dieser Schweizer „Mut zur Sezession“, zur Abwendung vom Mainstream und zur gelebten Eigenständigkeit, die etwas Echtes entstehen lassen. Vielleicht auch nicht. Wer weiß.
Würde man Martin Suters Schreiben mit einem Wort umfassen, müsste es der Begriff der Vornehmheit sein. Zutage kommen in den Romanen offensichtliche Dandys, vorwiegend einer „upper class“ mit ihren spezifischen Habitus angehörend. Die Dinge sind dann wohl gewählt: Die richtigen Salons, die richtigen Getränke an der richtigen Bar (Campari darf nicht fehlen), die Kleidung und die Wohnorte. Dann aber auch das Gegenteil: Oberschicht auf Abwegen, am Absturz, nur noch den Glanz vergangener Tage erhaltend. Johann Friedrich von Allmen, der Privatier, Lebemensch und Kunst-Detektiv aus Geldnöten, ist dabei charakteristisch.
Vielleicht wird gerade in diesem Absturz, in diesem Rütteln am Glanz, das Eigentliche bewusst: Eine Menschenschicht, die einer eigenen Ordnung und einer eigenen „aristokratischen“ Klasse, mehr durch Erziehung und Seelenadel als durch Geburt und Haben, angehörend, die sich über ihr Tun und Sein differenziert, nach Lebensverfeinerung und Ästhetik strebt und Höheres verkörpert.
Es ist ein Spiegel, den Martin Suter einer uniformierten Welt des Scheins, der Inszenierung und der Effekthascherei entgegen gestellt wird. Es gibt höhere Formen des Seins und ja, diese sind für jedermann und jederfrau zugänglich – allerdings mit Aufwand, Kultivierung und Vornehmheit. Und auch mit Verantwortung. Gerade deshalb ist es „einfacher“, trivial zu leben.
Martin Suter sagt in der „Presse“ zu seinen Romangestalten, die einer bestimmten oberen Schicht angehören: „Es ist nicht eine Sympathie für altes Geld, es ist eine Sympathie für Leute mit gewissen Regeln, Formen, das gefällt mir schon. Das ist vielleicht beim Altreichen besser aufgehoben als beim Neureichen oder eher anzutreffen. Nicht, dass ich sehr steif und stilbewusst bin, aber die Flegelhaftigkeit, die manchmal um sich greift, die nervt mich schon ein bisschen“ [1].
Martin Suter kennt aber auch die Abgründe. Die Welt des schnellen Erfolgs mit gerade einmal 26 Jahren als kreativer Direktor der renommierten Baseler Werbeagentur GGK in Wien und später als Teilhaber der Werbeagentur Stadler & Suter. Das waren sie, die 1980er ,die Zeit der Werbung, der Moden, der Yuppies, des schnellen Erfolgs ohne Grenzen.
Apropos Wien: Wer kennt sie nicht, die Höhen und Tiefen dieser Stadt, in der „Sandler“, Studenten und Manager Schulter an Schulter der Nachtschwärmerei frönen und damit etwas zutiefst Unbürgerliches an den Tag legen, das dem eingesessenen Bürgertum am Weg zum Kaffeehaus höchstens Nasenrümpfen ins Gesicht provozieren? Manchmal, in diesen seltenen Stunden, mag man Sandler, Studenten und Manager auch nicht mehr voneinander zu unterscheiden. Man kann sich den jungen Martin Suter in dieser Stadt, in der die Unterschiede krass divergieren und ganz arm bis ganz reich, „roter“ Arbeiter und „schwarzer“ Schiegermuttertraum mit Villa in Grinzing zusammen kommen, förmlich vorstellen.
Martin Suters Leben in der Wiener „business class“ färbt ab. Suter macht Bekanntschaften mit Künstlerkreisen, mit keativen Köpfen, mit dem Architekten Wolfgang Prix von Coop Himmelblau [1]. Das kreative Wien war ein Dorf. Dieses Leben der „business class“ wird Suter später in der Schweizer „Weltwoche“ und in seinen Büchern verarbeiten.
Und ganz zum Schluss: Martin Suter kann man mögen oder nicht. Mit einem Martin-Suter-Roman in der Hand fühlt man sich im Urlaub gleich intellektuell und ein bisschen vornehmer. Ein Schlag gegen die Trivialität dieser Zeit. Oder auch nicht. Was man dann am Nachtkästchen an Literatur verzehrt, ist ja eine völlig andere Frage.

Literatur:
[1] Martin Suter: „Ich mag schwache Leute“, Die Presse, 25.04.2008
[2] Martin Suter und Benjamin von Stuckrad-Barre: „Alle sind so ernst geworden“, Diogenes-Verlag, Zürich 2020
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