Die Bauhaus-Ästhetik muss man nicht mögen. Zumindest dann nicht, wenn Ästhetik eine subjektive Angelegenheit ist, zu der man diese oder jene Haltung haben kann. Wobei sich eingangs die Frage stellt, ob der Bauhaus-Stil überhaupt „Ästhetik“ oder nicht doch nur „Funktion“ ist. Anfangs eher Funktion, müsste man sagen; später Ästhetik, die sich „Funktionalismus“ nennt und sich mehr und mehr von der eigentlichen Funktion trennt.
Unbestritten ist zweifelsohne das Wirken des Bauhauses auf das Bauen, das die Art und Weise, wie wir heute bauen, wesentlich verändert hat. Wenngleich der Ansatz vielfach einseitig war und die Weichenstellungen nicht alleine durch das Bauhaus gestellt wurden. Abseits vom „Mainstream“ – und dort beginnt das eigentliche Leben ! – kann man die Dinge durchaus auch kritisch betrachten lernen.
Der Architekturtheoretiker Gerd De Bruyn unterstellt der Bauhaus-Moderne der Zwanziger Jahre, sich zwar in der Form „modern“ geäußert zu haben, jedoch – was die Bautechnologie betrifft – und im Gegensatz zu jenem Bauen, das formell als „traditionalistisch“ bezeichnet wurde, weniger modern gewesen zu sein. Es war – so kontrovers es auch klingt – der so genannte „Traditionalismus“, der vom Wesen her die zeitgemäßeren Bautechnologien anzuwenden wusste [1]. Das Bauhaus belegt: Vielfach ist Marketing alles.
Doch zurück zum Bauhaus. Im Bauhaus vereint sich die deutsche Avantgarde des 20. Jahrhunderts mit teils sozialreformatorischen Zügen. Geprägt wurde das Bauhaus wesentlich durch die frühe sowjetische Avantgarde, den Konstruktivismus, sowie durch die niederländische Gruppe De Stijl. Daraus resultiert ein internationaler Anspruch, der sich in die großen sozialen Bewegungen jener Zeit und in die so genannte „Weltrevolution“ eingliederte und für regionale bauliche Gegebenheiten kein Gespür haben konnte, ja diese als überwunden verstand. Flachdach und weiße Fassade als globaler Stil im Widerspruch zum bodenständigen Bauen.
Das Bauhaus versteht man allerdings kaum ohne Arts and Crafts, Werkbund sowie Reformbewegung, die vorausgehend sind und eine Epoche prägen, bei der das Bauhaus höchstens ein Teil der Forstsetzung ist. Allein der Bezug auf diese vorausgehenden Richtungen unterstellt, dass die architektonischen, künstlerischen und baulichen Bewegungen jener Zeit vielfältiger waren, als die Konzentration auf das Bauhaus postuliert. Und so stellt sich selbst das Bauhaus als nuancenreiche Bauschule dar, deren Nuancen oftmals in der Konzentration auf Flachdach und weiße Fassade ohne Ornament nicht ausreichend erfasst werden.
Gegründet wurde das Bauhaus 1919 in Weimar als Kunstschule. Sinn und Zweck war es, das Handwerk gegenüber der Industrie zu behaupten und das künstlerische Moment im Bauhandwerk hervorzuheben. Ein Gedanke, der – vom Werkbund aus – alles andere als neu war. Und auch bei Weitem nicht konsequent verfolgt wurde, ganz im Gegenteil: Die industrielle und serielle Vorfertigung von Massenprodukten wurde im Bauhaus mehr und mehr als Grundlage für die soziale Revolution verstanden. Das traditionelle Handwerk konnte in dieser Weltordnung wahrlich keine große Rolle mehr spielen.
Im Bauhaus selbst treffen sich jene Vertreter, die einen eher klassischen Zugang zur Form haben und jene Vertreter, die sich eher an der gegenstandslosen Kunst orientieren.
Während Walter Gropius als Direktor des Bauhauses in den Jahren 1919 bis 1928 funktionalistisch und avantgardistisch, aber auch elitär und ästhetizistisch bis dandyidstisch ausgerichtet war und eine „internationale Architektur“ anpeilte, folgte mit Hannes Mayer ab 1928 eine Leitung, die die wissenschaftliche Ausrichtung suchte, grundsätzlich allerdings ein „neues Bauen“ für einen „neuen Menschen“ im Sinne einer sozialistischen Gesellschaftsordnung im Sinn hatte.
Ludwig Mies van der Rohe erachtete das Bauen ab 1930 als Direktor nüchterner. Seine Führung war unpolitisch und politisch ausgleichend. Reine Zweckerfüllung, Typisierung und Normung seien nicht alles beim Bauen, so Mies. Stattdessen ging es Mies um die Beziehungen zwischen „Material, Raum, Geistigkeit, Tradition und Technik“. War für Hannes Meyer der wissenschaftliche Zweck des zu Bauenden das Endziel der Planung, so plädierte Mies van der Rohe dafür, dass nach der erfolgten Zweckoptimierung die gestalterische Qualität, sowie die ästhetische Erfahrung das Bauwerk auf eine höhere Stufe heben würden.
Als das Bauhaus im nationalsozialistischen Deutschland in die Vereinigten Staaten emigrieren musste – obwohl sich verschiedene Vertreter, etwa Mies van der Rohe, durchaus um Bauaufträge bemühten – gelang der definitive Durchbruch. Insbesondere im Rahmen des kapitalistischen Aufbruchs der USA mit dem Symbol Wolkenkratzer sollte die Bauhaus-Moderne – obwohl anfangs sozialreformatorisch ausgerichtet – das bestimmende stilistische Maß sein und zum „International Style“ avancieren, auch und vor allem, was die Inneneinrichtung betrifft. Massenanfertigung und serielle Produktion trifft Kapitalismus.
Und was hat es letztlich mit dem so genannten „Funktionalismus“ auf sich? Die „Funktion“ war eigentlich eher ein intellektueller Vorwand. Sehr wohl war es Intention der verschiedenartigen Bewegungen jener Zeit, das Bauen insgesamt zu versachlichen. Im Endeffekt erzielte die Avantgarde allerdings keine Versachlichung, sondern durch Anlehnung an die gegenstandslose Kunst das exakte Gegenteil.
Der Design-Professor Bernhard Bürdek meint: „Dieser Ansatz wurde durch einen sehr engen Funktionsbegriff realisiert: Gemeint war immer nur praktische oder technische Funktion (Handhabung, Ergonomie, Konstruktion, Fertigung). Die Dimensionen der zeichenhaften oder produktsprachlichen Funktionen waren weitgehend tabu“. Dort ging es eher um Formalismus. An und für sich ist ein nicht-flaches Dach die funktionellste Konstruktion, die es gibt. Im Sinne einer intellektuellen „Funktion“ und künstlerischer Selbstverwirklichung musste dieses Symbol allerdings weichen.
Was bleibt zu 102 Jahren Bauhaus zu sagen? Dem Bauhaus verdanken wir eine radikale Versachlichung des Bauens. Das Wesen wurde wieder mehr gegenüber der äußeren Fassade in den Mittelpunkt gerückt; wenngleich diese Intention nicht alleine dem Bauhaus zuzuschreiben ist. Zudem gingen die Bauhaus-Vertreter technische Innovationen ein. Summa summarum verdanken wir dem Bauhaus einen veränderten Zugang zum Bauen, aber auch einen mangelnden Rückgriff auf das regional und lokal Tradierte. Im Sinne des International style sollte jeder regionale Bezug verschwinden. Ein Manko, das es heute auszugleichen gilt.
Literatur:
[1] Gerd de Bruyn: „Theorie der modernen Architektur: Programmatische Texte“, skript Verlag, Neuss 2017
[2] Bernhard E. Bürdek: „Design – Geschichte, Theorie und Praxis der Produktgestaltung“, DuMont Verlag, Köln 1991
Weiterführende Artikel:
Le Corbusier und die Ingenieure
Persönlichkeiten: Mies van der Rohe
Design Thinking: Auf Kreatvität und auf den Endnutzer kommt es an