Postmodernes Bauen: Teil 3 von 4 – Minimalismus

Als Gegenentwurf zum Dekonstruktivismus etabliert sich im zeitgenössischen Bauen der Minimalismus. Der Minimalismus entwickelte sich in Opposition zum Dekonstruktivismus und wirft das Bauwerk in das Materielle zurück. Ákos Moravánszky meint, dass der Minimalismus darauf bedacht ist, „jegliche hinter dem Material verborgene immaterielle Idee auszumerzen“[v]. Die Materie soll allein als solche wirken. Moravánszky fügt allerdings einschränkend hinzu: „Ohne Inszenierung kommt selbst der Minimalismus nicht aus“.

Die Bauwerke sind im Minimalismus schlicht und in sich selbst gekehrt.

Johann Christoph Reidemeister meint zum Minimalismus: „Während die Minimal Art als Kunstform entschieden amerikanisch ist, entstand die minimalistische Architektur in Europa und Japan aus der Ablehnung der postmodernen Collage heraus als Bekenntnis zur Moderne. Was beide verbindet, ist die Ästhetik der Einfachheit. Reine Geometrie, perfekte Proportion und ein sensibler Umgang mit den Materialien sind die wesentlichen Zutaten, aus denen die schöne Einfachheit gemacht wird. In der Architektur wurden daraus Häuser, die Ruhe und Gelassenheit ausstrahlen, indem sie jedes Zuviel vermeiden“[vi].

Bestechend ist der Minimalismus am ehesten dann, wenn er in wirklicher Schlichtheit und Einfachheit besteht und sich selbst zugunsten der Umgebung in den Hintergrund stellt. In unmittelbarer Nähe zu einer historischen Struktur oder einer einprägsamen Landschaft kann es ein besonderer Akt sein, den Entwurf möglichst minimalistisch und zurückgezogen zu gestalten.

Der Architekt Heinrich Tessenow hatte allerdings recht, als er meinte, dass die Landschaft am schönsten ist, wenn gar nicht gebaut wird.

Von einem Eingliedern in die Umgebung kann vielfach nicht einmal im Entferntesten die Rede sein. Vielfach besteht der zitierte Minimalismus nämlich nicht in einer Schlichtheit und Einfachheit, sondern in einer trivialisierten Monumentalität, indem nämlich kubische Einzelformen völlig maßstabslos in der Umgebung stehen, zu dieser keine Verbindung aufnehmen und sich keine Proportionen im Bauwerk äußern. Die Tradition der Avantgarde schlägt gestalterisch durch, indem die Beziehungslosigkeit des Bauwerks zur Umgebung sichtbar wird.

Eine derartige Theatralik im Bauen kann vieles darstellen, die elementaren räumlichen Bedürfnisse des Menschseins drücken sich darin allerdings nur sehr spärlich aus. Abhanden kommt der menschliche Maßstab und die Proportion zwischen Einzelbauteil und Gesamtbauwerk.

Immer schon stellt sich im Bauen die Frage, inwieweit die Natur nachgeahmt werden soll. Tatsächlich gab es diesen Zwiespalt seit der Antike. Man spricht – in Abgrenzung von einer „platonischen“ Sichtweise, die sich als Etablierung einer zweiten Natur darstellt – von einer „aristotelischen“ Sichtweise. Die Tendenz in Richtung des „wahren“ Bauens ergibt sich verstärkt seit dem frühen 20. Jahrhundert, in dem es grundsätzlich kein Denken mehr ohne ideologische und moralische Festlegungen zu geben scheint.

In der Gegenwart ergibt sich der Begriff der „Bionik“ in dem Versuch, bauliche Formen nach dem Vorbild der biologischen Zusammenhänge zu entwickeln. Das Zustandekommen natürlicher Formen ist durch Wachstum, Mutation, Spaltung, Fusion, Evolution und Verfall gekennzeichnet, während sich technische Tragwerke nach Heino Engel durch Entwurf, Berechnung, Konkretisierung, Produktion und Abbruch kennzeichnen.

Hinzu kommt der Umstand, dass sich der Zweck in der Biologie von den Hintergründen der Herstellung menschlicher Behausungen wesentlich unterscheidet. Demgegenüber besteht menschliches Bauen immer in der bewussten Formgebung – und zwar mit, neben oder gegen die Natur.

In der Natur gibt es keine gerade Linie und kein rechtes Eck, das alles sind kulturelle Festlegungen. Folglich gibt es gar kein naturalistisches Bauen, das nicht banale Karikatur werden würde. Bauen ist immer Aneignung der Natur durch den Menschen und das effektiv „natürliche“ Bauen ahmt nicht die Natur nach, sondern befasst sich mit der Naturaneignung. Der skulpturelle „Minimalismus“ ist dabei meistens eine künstlerische Anmaßung und sprengt das eigentümliche Bauen durch die gegenstandslose Kunst. Ein Fehlgriff.

Wie minimal soll, wie minimal muss es sein? Eine schwierige Frage. Am besten: Zurücknehmen gegenüber dem Gewachsenen, der Natur und der Umgebung. In der höchsten Form: Vereinigung mit der Natur.

Ein so genannter „Minimalismus“, der sich im krassen Kontrast zur Umgebung äußert, der willkürliche kubische Formen produziert und synthetische und künstliche Werkstoffe in die Umgebung stellt, dabei noch nicht einmal menschliche Maßstäbe und menschliche Anforderungen baulich materialisiert, ist kein Minimalismus, sondern dekonstruktivistischer Skulpturalismus. Und meistens langweilig in Zeiten wie diesen, in denen es um mediale Gier geht.

Literatur:

[i] Knippers, Jan; Schmid, Ulrich; Speck, Thomas (Hrsgb.): „Bionisch bauen“, Birkhäuser Verlag, Basel 2019

[ii] Klotz, Heinrich: „Revision der Moderne. Postmoderne Architektur 1960–1980“, Ausstellungskatalog des Deutschen Architekturmuseums, Prestel, München 1984

[iii] Weber, Stefan: „Der Wohnpark Alt-Erlaa im Kontext von sozialem Wohnbau und utopischer Architektur“, Universität Wien, Wien 2014

[iv] Radisch, Iris: „Genug dekonstruiert! – Das Café der Existenzialisten“, Die Zeit, 12.01.2017

[v] Moravánszky, Ákos: „Stoffwechsel – Materialverwandlung in der Architektur“, Birkhäuser, Basel 2018

[vi] Reidemeister, Johann Christoph: „Nachdenken über Einfachheit“, Neue Zürcher Zeitung, 28.12.2004

[vii] Weber, Christiane: „Fritz Leonhardt »Leichtbau – eine Forderung unserer Zeit. Anregungen für den Hoch- und Brückenbau« – Zur Einführung baukonstruktiver Prinzipien im Leichtbau in den 1930er- und 1940erJahren“, Karlsruher Institut für Technologie, Karlsruhe 2010

[viii] Bonatz, Paul & Leonhardt, Fritz: „Brücken“, Karl Robert Langewiesche Verlag, Königstein m Taurus 1951

[ix] Schlaich, Mike: „Eleganz“, Schlaich Bergermann Partner Internet-Präsenz, 08.01.2017

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