Postmodernes Bauen: Teil 4 von 4 – Post-Post-Moderne

Was bleibt im Heute?

Aus dem Umstand heraus, dass es heute keine verbindlichen und verbindenden Werteordnungen mehr gibt, ist die Frage nach dem Bauen gänzlich anders als in der Vor-Moderne zu stellen. Die persönliche Selbstverwirklichung und die Verwirklichung jedes nur denkbaren Traumes des Einzelnen rückt an die Stelle alter Wertemuster. Vielleicht wird gerade deshalb ein neues Stilbewusstsein notwendig.

Der Schweizer Architekt Valerio Olgiati hat die vielleicht treffendsten Gedanken zum zeitgenössischen Bauen formuliert. In einer Zeit, in der uns der Sinn abhandengekommen sei, hätten Gebäude sinnstiftend zu wirken. Bei Olgiati ist das Bauen folglich souverän.

Olgiati prägt den Begriff des „nicht-referentiellen“ Bauens und meint damit ein Bauen, das seinen Sinn nicht mehr blind aus der Umgebung beziehe, sondern den Sinn über die bewusste Form etabliere.

Diese Form habe durchaus objektivierbare Eigenschaften. Valerio Olgiati meint nämlich, die Raumwirkung sei etwas Objektives. Ähnlich wie eine bestimmte Art von Musik ein bestimmtes Verhalten und bestimmte Emotionen erzeugt, verhält es sich auch beim Bauen. Es wird auch niemand anzweifeln, dass ein Filmregisseur nicht in der Lage sei, durch gekonnte Szenographie eine bestimmte Haltung beim Betrachtenden zu erzeugen. Gleiches gilt auch für das Gebaute.

Ob ein Bauwerk Demut, Anmut, Respekt, Gelassenheit, Stille, Kommunikation, Kreativität oder sonstige Verhaltensweisen hervorruft, liegt zu einem guten Teil beim Entwurf und ist nach Olgiati auch nur sehr bedingt kulturbezogen: „Ein bestimmtes Ordnungssytem und eine konkrete Raumerfahrung“ beruhen „auf einem elementaren Empfindungsvermögen“. Eine gotische Kathedrale erfasst mit ihrer Raumwirkung nicht nur Angehörige einer bestimmten Kultur. Gleiches gilt für einen fernöstlichen Tempel.

Wesentlich ist für Olgiati die „konstruktive Konsequenz“ im baulichen Entwurf: „Es ist vollkommen unmöglich, eine kohärente architektonische Idee zu verfolgen, ohne das spezifische strukturelle Konzept eines Gebäudes zu kennen“. Die Konstruktion ist in der Folge nicht Beiwerk zum Bauwerk, sondern immanenter Bestandteil der Idee.

Valerio Olgiati bringt es auf den Punkt, wenn er meint: „Architektur destilliert die Idee eines Lebens heraus und sublimiert sie auf die eine oder andere Weise. Ein Gebäude ist nicht die mechanische Umsetzung einer abstrakten Ordnung, sondern deren sinnstiftende Ausformulierung. Das Ziel dieser Sinnstiftung ist die Erweiterung der Möglichkeiten. Durch ein Gebäude nehmen wir das Leben physisch als eine Gestaltung und Erfahrung von Raum wahr – und auf diese Weise rückversichern wir uns des Lebens an sich“.

Die konstruktive Konsequenz, die Olgiati meint, kommt im konstruktiven Ingenieurbau zu Tage, wenngleich das Ingenieurwesen vielfach nur Beiwerk zur architektonischen Idee zu sein scheint.

Wenn das Tragwerk – wie heute so oft – nur noch Beiwerk ist, um eine anders geartete Idee zu verwirklichen und zu ermöglichen, dann wird das Tragwerk reproduzierbar, austauschbar und vielfach zum reinen Kostenfaktor.

Im Bauen geht es niemals nur um Effizienz. Ebenso wesentlich ist die Ästhetik. In der höchsten Form des Bauens gelingt es, Effizienz und Schönheit zu vereinen.

Schönheit verhindert, dass das Effiziente nur technischen Gesichtspunkten entspricht, dabei die vielfältigen ästhetischen Ansprüche des Menschseins berücksichtigt werden. Effizienz schränkt hingegen vermeintliche „Schönheit“ ein, die sich in Verausgabung, Übertreibung sowie Aufsehenerregen um jeden Preis äußert. Die Effizienz holt den „Entwurf“ auf den Boden der Tatsachen zurück und unterstreicht, dass das Gebaute nur in den seltensten Fällen reine Kunst ist, stattdessen elementaren Bedingungen zu genügen hat.

Der Bauingenieur Fritz Leonhardt definiert „wahre Schönheit“ sinngemäß als „Übereinstimmung von Form und Gehalt“[vii]. Gemeinsam mit dem Architekten Paul Bonatz formuliert der Bauingenieur Fritz Leonhardt die Worte: „Schönheit liegt nicht im Beiwerk, sondern in der echten, sinnvollen und wahren Grundform, im Einfachen, im Weglassen und Vermeiden alles Willkürlichen, Zufälligen, Modischen. Modisches wird altmodisch und vergeht: Das Einfache, Wahre bleibt. Zum Schönen, zum Letzten, kommt das Werk aber nicht von selbst oder durch Zufall, sondern nur dann, wenn ein bewusster und geschulter Wille dorthin führt“ [viii].

Und weiter: „Die gute schöne Form entsteht, wenn der Handwerks- oder Baumeister das Technische beherrscht und dazu mit Gefühl für die Harmonie der Verhältnisse, mit Schönheit und Ordnungssinn begabt ist. Die Pflege und Schulung dieses Gefühles, verbunden mit der von Gott so selten vergebenen schöpferischen Gestaltungskraft kann es dem Baumeister gelingen lassen, Schönheit oder monumentale Wirkung zu erzielen oder gar die Ausdruckskraft seiner Bauwerke so zu steigern, dass sie den Menschen in seinem Innersten ergreifen, ihn tief beeindrucken und anziehen“ .

Ähnlich sieht es der Bauingenieur Mike Schlaich, der die Prinzipien Schönheit und Eleganz als Grundlage für das gute Bauen erachtet. Eleganz ist dabei so etwas wie „unangestrengte“, mühelose oder dezente Schönheit. Dem Prinzip der Eleganz schwingt die Charakteristik des Natürlichen und Authentischen mit.

Schlaich schreibt: „Eleganz im Bauwesen ist natürlich mehr als elegantes „Endprodukt“. Auch Berechnungsansätze, konstruktive Durchbildung und Baumethoden können elegant sein. Wie können wir in diesem Sinne zu mehr guten und eleganten Tragwerken kommen? Einfache Rezepte gibt es nicht, aber [es] lassen sich zumindest einige Ansätze ableiten. Der Entwurf eines Tragwerks ist die ganzheitliche Verfolgung der oben genannten Prinzipien. Er entsteht in einer bewussten und zutiefst befriedigenden Auseinandersetzung mit dem lokalen Kontext, dem sorgfältigen Einbeziehen vielfältiger örtlicher Randbedingungen. Erfolgreich entworfene Tragwerke zeichnen sich oft durch ablesbaren Kraftfluss aus, vielleicht weil wir das, was wir verstehen, gerne haben“.

Und weiter: „Gutes Bauen kann zu gutem Leben beitragen (…) Eleganz zeigt sich, wenn die Lösung der anspruchsvollen Aufgabe, die Prinzipien des guten Bauens in einem Bauwerk zu vereinen, unangestrengt erscheint. Das Leben ist anspruchsvoll, und wäre es nicht schön, wenn unsere Anstrengungen es zu meistern zu einem unangestrengt schönen Ergebnis führten? Umgeben wir uns mit eleganten Bauwerken! Vielleicht können sie zu elegantem Leben beitragen“ [ix].

Literatur:

[i] Knippers, Jan; Schmid, Ulrich; Speck, Thomas (Hrsgb.): „Bionisch bauen“, Birkhäuser Verlag, Basel 2019

[ii] Klotz, Heinrich: „Revision der Moderne. Postmoderne Architektur 1960–1980“, Ausstellungskatalog des Deutschen Architekturmuseums, Prestel, München 1984

[iii] Weber, Stefan: „Der Wohnpark Alt-Erlaa im Kontext von sozialem Wohnbau und utopischer Architektur“, Universität Wien, Wien 2014

[iv] Radisch, Iris: „Genug dekonstruiert! – Das Café der Existenzialisten“, Die Zeit, 12.01.2017

[v] Moravánszky, Ákos: „Stoffwechsel – Materialverwandlung in der Architektur“, Birkhäuser, Basel 2018

[vi] Reidemeister, Johann Christoph: „Nachdenken über Einfachheit“, Neue Zürcher Zeitung, 28.12.2004

[vii] Weber, Christiane: „Fritz Leonhardt »Leichtbau – eine Forderung unserer Zeit. Anregungen für den Hoch- und Brückenbau« – Zur Einführung baukonstruktiver Prinzipien im Leichtbau in den 1930er- und 1940erJahren“, Karlsruher Institut für Technologie, Karlsruhe 2010

[viii] Bonatz, Paul & Leonhardt, Fritz: „Brücken“, Karl Robert Langewiesche Verlag, Königstein m Taurus 1951

[ix] Schlaich, Mike: „Eleganz“, Schlaich Bergermann Partner Internet-Präsenz, 08.01.2017

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