Gesellschaftliche Horizonte
Die Umbrüche zu Beginn des 20. Jahrhunderts äußern sich in zahlreichen Bereichen: In der Lebensreform, in einer allgemeinen Unzufriedenheit mit der Zivilisation und in der Dekadenz. Diese Stimmung äußert sich auch und gerade in der Kunst, die für gesellschaftliche Veränderungen ja besonders sensibel ist und als Seismograph wirkt.
Vorausgegangen waren der Dekadenz der Realismus und der Naturalismus. Beide gehen von einer Welt aus, wie sie ist. Der Realismus ist dabei eher auf den Inhalt bedacht, der sich auch in Abstraktion äußert und eine Idee hinter der Wirklichkeit verdeutlicht. Der Naturalismus stellt hingegen die gesellschaftliche Wirklichkeit mit ihren Abgründen und Tiefen schonungslos und wirklichkeitsgemäß dar. Damit sind sowohl Realismus als auch Naturalismus dem Idealismus, wie er sich in der Romantik äußert, grundsätzlich entgegengesetzt.
Als Gegenmodell zum Naturalismus bildet sich in den Künsten die so genannte Dekadenz heraus. „Dekadenz“ bezieht sich auf den allgemein festgestellten Verfall, welchem mit der Ästhetisierung begegnet werden soll. Diese Ästhetisierung resultiert in der Verbannung des Hässlichen im Sinne einer „Verabsolutierung der Kunst zum obersten Wert“ [1]. Mehr oder weniger synonym kann in Bezug auf die Dekadenz von Neuromantik, Neuklassik oder Ästhetizismus die Rede sein.
Die Wiener Moderne ordnet sich in die Dekadenz ein, während der Jugendstil noch die Fortsetzung des Historismus mit anderen Mitteln ist. Vielfach wurde versucht, den Ästhetizismus in fragwürdige politische Richtungen einzuordnen. Das Problem ist viel eher: Kunst wird immer zum Problem, wenn sie politisch wird und sich in Ideologie äußert. Gerade der Ästhetizismus war per se unpolitisch.
Der Student und Künstler Walter Prinzl

Wallter Prinzl kommt 1891 in Melk mit väterlicherseis böhmischen und mütterlicherseits Südtiroler Wurzeln zur Welt. Diese Verbindung zu Südtirol soll sich später auch künstlerisch äußern. Am Gymnasium in Melk kommt der junge Walter Prinzl auch in Verbindung mit Künstlern der Wiener Secession und der Künstlervereinigung Hagenbund.
Prinzl studiert sodann in Wien an der Technischen Hochschule Wien Architektur und wird Mitglied der Wiener akademischen Burschenschaft Teutonia. Die Hingabe zur Architektur wird im künstlerischen Werk Prinzls ersichtlich, das sich intensiv mit historischer Architektur befasst. Als Mitglied einer akademischen Studentenverbindung verewigt sich Prinzl in Kommersbüchern und auf Coleurkarten.
Der Erste Weltkrieg sollte schließlich Walter Prinzls akademische Laufbahn beenden. Nach Einsätzen am Balkan und in Kärnten erlebt Prinzl das Kriegsende bei der Verwandtschaft in Südtirol. Aus dieser Zeit stammen Werke, in denen Prinzl die Stadt Trient sowie den Eppaner Ansitz Hammerstein in Südtirol abbildet.

Walter Prinzl gibt die Architektur auf und entscheidet sich für die Kunst, besucht die Allgemeine Malerschule und kehrt nach Melk zurück, heiratet und erwirbt den alten Stadtturm, wo er sein Atelier einrichtet. Walter Prinzl wird in der Folge zum angesehenen österreichischen Künstler. Prinzls Werk dreht sich in erster Linie um die Stadt Melk. Dort fertigt er Graphiken an, vor allem Radierungen, aber auch Ölmalereien, Aquarelle, Holzschnitte und Fresken, etwa das bekannte Siegfried-Fresko am Nibelungen-Turm in Melk.
Die Erlebnisse aus ausgedehnten Reisen in Österreich, Deutschland, Italien und Böhmen sollte Prinzl künstlerisch festhalten.
Bei einer Radierung werden mit der Radiernadel Linien und Punkte in eine Druckplatte, die aus Kupfer, Messing oder Zink besteht, radiert oder geritzt. Vorausgegangen war der Radierung der Kupferstich, den etwa die Renaissance-Künstler Raffaello Sanzio und Albrecht Dürer anwandten.
Grundsätzlich sind Kupferstich und Radierung Tiefdruckverfahren, bei denen in die Platte geritzt wird, sodass die Einkerbungen später am Papier farbig sind. Beim Holzschnitt ist es andersherum, sodass die Erhebungen die Farbe übertragen. Der Kuperstich wird gröber durch Herausschaben der Kupferspäne ausgeführt. Demgegenüber ist die Radierung filigraner, die Einkerbungen bewirken leichte Erhebungen des Materials an den Rändern der Einkerbung, die sich als Rillen darstellen, sodass es im Gegensatz zum gestochen scharfen Kupferstich möglich ist, Graustufen und Schattierungen auf Papier zu bringen.
Die Radierung erfolgt mittels Kaltnadel direkt auf der Druckplatte oder auf einem Ätzgrund, der anschließend in einem Säurebad geätzt und folglich als Warmradierung bezeichnet wird. Die Kaltnadelradierung ist weniger filigran, da das Einritzen per Kraft erfolgt, sodass es schwierig ist, Rundungen auszuführen. Bei der Ätzradierung wird die Platte mit einem Lack oder mit Wachs beschichtet und anschließend geritzt. Es fällt die Kraftübertragung von der Spitze auf das Metall weg. Im Säurebad ätzt sich die Säure in die Ritzungen ein, die nicht mehr durch die Schutzschiucht bedeckt sind.

Die fertige Platte wird mit Tinte bestrichen und in die Druckerwalze gelegt, wo das Papier die Tinte dann aufsaugt. Tinte, die sich nicht in den Einkerbungen sammelt, wird weggewischt. An den Rillen sammelt sich naturgemäß die Tinte, sodass der Künstler damit spielen und Schattierungen umsetzen kann. Allerdings sammelt sich die Tinte naturgemäß bei jedem Druck anders. Infolgedessen handelt es sich immer um individuelle Einzelanfertigungen. Die Radierung erfordert grundsätzlich großes künstlerisches Talent, muss nämlich das Motiv spiegelverkehrt und kraftintensiv auf die Druckplatte geritzt werden.
Grundsätzlich war es durch die Radierung möglich, Kunstwerke mehrfach zu reproduzieren. Durch den Umstand, dass sich zu Mitte des 19. Jahrhunderts allerdings die Lithographietechnik durchsetzte, die in Form von Steindruckpressen und Tusche für Massenanfertigungen geeignet war, blieb die Radierung eine Kunstform. Es kommt nämlich erschwerend hinzu, dass die Druckplatte bei der Radierung schnell die Qualität verliert und jeder Folgeabdruck nicht mehr so aussieht, wie der erste.
Wirken
Walter Prinzl war ein Maler der Moderne, der der Dekadenz eine idealisierende Neoromantik entgegenstellte, welche sich monumental und bewegt äußert. Im Werk Prinzls kommt der Hang zur Architektur zutage. Dieser Hang äußert sich auch im Denkmal- und Heimatschutz, im Erhalt der Baukultur. In der Wachau betätigte sich Prinzl als Denkmalschützer und war maßgebend am Erhalt des Orts- und Landschaftsbildes beteiligt, arbeitete an Restaurierungen und Wiederherstellungen.
Walter Prinzl ging es mehr um die Welt, wie sie sein sollte, denn um die Welt, wie sie ist. Diese Weltauffassung entspricht einem tiefreichenden Idealismus und Ästhetik als Lebensform.
Literatur:
[1] Winfried Eckel: „Die totalitaristische Versuchung der Literatur in Ästhetizismus und Avantgarde. Das Beispiel Stefan Georges und F. T. Marinettis – mit einem Blick auf Gottfried Benn“, Comparatio – Zeitschrift für Vergleichende Literaturwissenschaft, Heidelberg 2011
[2] Karl-Reinhart Trauner: „Walter Prinzl, der Maler-Radierer der Wachau – Zum 75. Todestag“, Tillinger Verlag, Szentendre 2011.