Was ist Ästhetik? Leben als Wille zur Form

Was ist Ästhetik? Ist dieses Gebäude „ästhetisch“? Kann eine Landschaft „ästhetisch“ sein? Oder doch nur ein vom Menschen geschaffenes Kunstwerk mit einer Idee, die materialisiert wird?

Eine ästhetische Herangehensweise ist eine Haltung. Die Dinge ästhetisch betrachten, bedeutet, in ihrer Erscheinung einen Wert zu erfassen. Der Wert einer Sache ergibt sich durch ihre Erscheinung selbst und muss durch keinen anderen Zweck begründet sein.

Eine Landschaft kann folglich durchaus ästhetisch betrachtet werden, indem wir einen Wert in ihrer Beschaffenheit erkennen ohne einen konkreten Nutzen, der über diese „Schönheit“ hinaus geht, aus dieser ziehen. Wenn wir den landwirtschaftlichen Ertrag oder die Bauspekulation im Schilde führen, ist der Nutzen nämlich ein anderer. Indem wir ästhetisch betrachten, werten wir ästhetisch.

Für den Philosophen Richard Müller-Freienfels ist „Ästhetik“ das, was keinem anderweitigen Zweck dient: „Alles, was man tut und erlebt, kann man entweder um des Tuns oder Erlebens selber willen, oder um eines außerhalb dieses Tuns oder Erlebens liegenden Zweckes halber tun oder erleben“[i].

Das eigenwertige Erleben äußere sich nach Müller-Freienfels im „Lustgefühl[ii]. Ästhetik sei alles andere als lebensfremd: „Ästhetische Betätigung im Allgemeinen und Kunst im Besonderen sind nicht ein Gegensatz zum Leben, sondern selber Leben in reinster, ja oft gesteigerter Form[iii].

Für den Philosophen Gernot Böhme bestehen Ästhetik oder Schönheit analog dazu in einer „Lebenssteigerung“[iv].

Das Ästhetische ist auf sich selbst und nicht auf eine anderweitige Bedürfnisbefriedigung bezogen. Deshalb kann die Lust am Schönen gar nicht erst gestillt werden, sondern erblüht ständig neu. So wie die körperliche Liebe, die nie rein körperlich ist, sondern Inneres zum Ausdruck bringt. Wenn dies nicht so wäre, wäre es nebensächlich, mit wem wir diese Liebe vollbringen würden, meint der britische Philosoph Roger Scruton. Weil aber ein inneres Wesen wesentlich sei, sei das Subjekt dieser Liebe eben nicht nebensächlich.

Wenn wir von „Schönheit“ sprechen, dann meinen wir grundsätzlich durchaus verschiedene Dinge. Eine Landschaft kann „schön“ sein, weil sie „natürlich“ ist. Das ist allerdings eine gänzlich andere Schönheit wie sie sich beispielsweise auf eine Schönheit bezieht, die einem konkreten Stilprogramm entspringt.

Bei Ersterer müsste man eigentlich vom „Erhabenen“ sprechen. Das Erhabene stellt uns selbst „in Relation zum Unendlichen“[v]. Bei Schönheit als Produkt bewusster ästhetischer Betätigung wäre vielleicht der Begriff der „Anmut“ zutreffender.

Das Erhabene besteht im „abstrakt Allgemeinen“. Das Erhabene ist nach Georg Wilhelm Friedrich Hegel das in sich Seiende. Demgegenüber besteht das Anmutige in der „makellosen Äußerlichkeit“, die einer Innerlichkeit entspricht[vi]. Darin äußert sich ein Stil.

Der Begriff „Stil“ kommt vom Lateinischen „Stilus“, bezieht sich eigentlich auf den Schreibgriffel und meint im Übertragenen die literarische oder künstlerische Handschrift. Demgemäß meint der Stil eine charakteristische Erscheinungsform. Indem sich viele Einzelheiten auf eine Gesamtheit der Eindrücke ausrichten, entsteht der Stil als das gemeinsam Gerichtete.

Kunst kann, aber muss nicht ästhetischen Ursprunges sein, wenngleich Kunst als Ergebnis ästhetischer Betätigung die ursprünglichste Form ist. Mit der Kunst kommt auf jeden Fall der Wille zur Gestaltung zutage.

Ernst Cassirer erachtet den Willen zur Form als lebens- und kulturimmanent: „Leben ist nicht blinder Drang, es ist Wille zur Form, Sehnsucht nach Form“[vii]. Nach Cassirer kennzeichnen das Formen und Umformen das Leben selbst. Es handelt sich folglich um ein Lebensprinzip des Kulturmenschen. Das „eigentliche Leben der Natur“ bestehe „im Übergang, in ihrer Entwicklung und Umbildung“.

Das Vermögen zur Form ist vielmehr eher ein Drang zur Form: „Als der Grundzug alles menschlichen Daseins erscheint es, dass der Mensch in der Fülle der äußeren Eindrücke nicht einfach aufgeht, sondern dass er diese Fülle bändigt, indem er ihr eine bestimmte Form aufprägt, die letzten Endes aus ihm selbst, aus dem denkenden, fühlenden, wollenden Subjekt herstammt“.

Das Formen ist ein Ordnen, damit die äußere Welt in unser menschliches Weltbild passt. Das Dargestellte erlangt dabei die Qualität der „Dauerhaftigkeit“. Gestaltung ist folglich ein Wert an sich und nicht nur die „hübsche“ Verkleidung. Weil wir als Menschen ästhetisch wertend sind, bewerten wir die Gegenstände nach ihrer äußerlichen Erscheinung, erwarten uns dadurch allerdings auch eine Qualität in den Dingen. Das „Design“ ist dann keine reine Umhüllung, sondern drückt – bestenfalls – etwas Inneres aus.

In einer „schönen“ oder „ästhetisch ansprechenden“ Umgebung fühlen wir uns gut aufgehoben. Wir fühlen uns wohl. Wir müssen gar keinen anderen „Nutzen“ aus dieser „Schönheit“ ziehen. Es geht um ein innerliches Wohlbefinden. Dies setzt allerdings die Fähigkeit zu ästhetischer Muse voraus. Schwierig in einer hektischen Zeit, in der es nur um materielle Werte geht. Aber ein Distinktionsmerkmal.

Indem wir planen, bauen, konstruieren, materialisieren, setzen wir immer eine immaterielle Form in die materielle Wirklichkeit um.

Dies betrifft auch den Bauingenieur. Das Tragwerk ist eine Möglichkeit unter Unzähligen, aber bestenfalls die „ansprechendste“ und „schönste“. Nicht anders versucht der Geotechniker diese „innere Schönheit“ im Gestein durch technisches Können und Wille zur Gestaltung zu verwirklichen. In diesem Sinne ist der Baumeister im Grunde mit dem Künstler und Handwerker innerlich verbunden.

Literatur:

[i] Müller-Freienfels, Richard: „Psychologie der Kunst – Band 1: Allgemeine Grundlegung und Psychologie des Kunstgenießens“, Springer Fachmedien, Wiesbaden 1922

[ii] Müller-Freienfels, Richard: „Psychologie der Kunst – Band 1: Allgemeine Grundlegung und Psychologie des Kunstgenießens“, Springer Fachmedien, Wiesbaden 1922

[iii] Müller-Freienfels, Richard: „Psychologie der Kunst – Band 1: Allgemeine Grundlegung und Psychologie des Kunstgenießens“, Springer Fachmedien, Wiesbaden 1922

[iv] Böhme, Gernot: „Atmosphäre – Essays zur neuen Ästhetik“, Suhrkamp Verlag, Berlin 2013

[v] Scruton, Roger: „Schönheit – Eine Ästhetik“, Diederichs Verlag, München 2012

[vi] Hegel. Georg Wilhelm Friedrich: „Vorlesungen über die Ästhetik“, Suhrkamp Verlag, Berlin 1986

[vii] Cassirer, Ernst: „Zur Metaphysik der symbolischen Formen“, Felix Meiner Verlag, Hamburg 1995

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