Das vernakuläre (oder bodenständige oder elementare) Bauen bezeichnet jenes Bauen, das aus dem Boden, aus den funktionellen und physischen Bedürfnissen des Menschen heraus im Konflikt und Dialog mit der „wilden“ Natur entsteht. Bedingt sind die Bauernhöfe in Südtirol bis heute hin lebendiges Symbol für dieses Bauen. Bedingt, weil selbst das vernakuläre Bauen sich immer am repräsentativen Bauen orientiert und nicht mehr vom Eigentlichen zu unterscheiden ist.
Das repräsentative Bauen entspricht hingegen dem kulturellen Bedürfnis des Menschen, sich selbst in der Materie zu verewigen und dadurch vielleicht und vermeintlich den Tod zu überwinden.
Um dieses repräsentative Bauen soll es in diesem Rahmen hier in 5 Teilen gehen, während das vernakuläre Bauen – der Bauernhof, das ländliche Haus, die Scheune -, das mein eigentliches Interesse auf sich zieht, in einer anderen Form aufgearbeitet werden wird. Die Form steht noch aus.
Persönliches
Als Bauingenieur, der sich seit mehr als 15 Jahren – und spätestens seit dem Schulabschluss – intensiv mit Baukultur, Baukunst und historischem Bauen befasst, übt das Bauen im historischen Kontext natürlich eine ganz besondere Faszination auf mich aus. Jede historische Mauer und vor allem der Dialog des Gebauten mit Grund und Boden, Naturraum und Geschichte sind eine starke persönliche Triebfeder. Nach dem Bauingenieurstudium in Trient und an der Technischen Universität Wien sollten es folglich noch ein paar Semester Kunstgeschichte an der Universität Wien werden, um der baulichen Praxis, die zu Beginn vor allem den Umbau des Parlamentsgebäudes in Wien mit den geistigen Welten, die Theophil Hansen schuf, zum Inhalt hatten, einen geistigen Unterbau zu geben. Der Rest war lesen, sammeln, schreiben und denken – ohne Ende.
Insbesondere in einer Zeit des (vermeintlichen) Verfalls, den die derzeitige Pandemie zeitweise fühlbar hat werden lassen, sind in der Folge diverse Texte zum Bauen entstanden, die teilweise im Rahmen dieses Blogs erschienen sind und teilweise noch erscheinen. Insbesondere die folgende 5-teilige Serien zum traditionellen und historischen Bauen von der Antike bis ins 20. Jahrhundert unterstreicht diese Ambition, dem Verfall etwas Konstruktives entgegen zu stellen und mit der Ästhetik das Schöne, Wahre und Gute in den Mittelpunkt zu stellen. Den ersten Einschnitt markiert die Antike, weil in ihr das menschliche Bewusstsein entsteht, die Natur nach eigenen Maßstäben zu formen. Den zweiten Einschnitt und das Ende markiert das angehende 20. Jahrhundert, das zunehmend „nervös“ wird und das vorhergehende Bauen radikal und kulturpessimistisch bis avantgardistisch verwirft.
Diese Serie erhebt keinen Anspruch auf Vollständigkeit und bereichert vielleicht den, der bewusster durch die gewachsenen Städte und Dörfer, Landschaften und Täler gehen will und für den kultureller Tiefgang ein Mehrwert ist in einer Welt, die sich zunehmend auf die Oberflächen konzentriert. Selbst oder gerade für einen Bauingenieur, für den Ästhetik (scheinbar) etwas Fremdes ist – was so nicht sein sollte – ist das Bewusstsein für die Form wesentlich. Jedes Tragwerk ist Materie in Form. Nur durch Formbewusstsein entstehen großartige Tragwerke und Bauwerke.
Die Serie: Baukultur statt „Netflix“ am #ästhetiksamstag
Prolog: Was ist Ästhetik?
Teil 1: Antikes Bauen
Teil 2: Romanik und Gotik (in Südtirol)
Teil 3: Renaissance (in Südtirol)
Teil 4: Barock und Klassizismus (in Südtirol)
Teil 5: Historismus und Romantik (in Südtirol)