Teil 2 von 5: Romanik und Gotik (in Südtirol)

Von Antike und Romanik…

Dass sich von der Antike nach dem Zusammenbruch des Römischen Reiches mit der Stilistik der Romanik eine bedingte Fortsetzung, jedoch auch eine Ernüchterung, ein Erden und eine Archaisierung ergeben, mag mit den politischen Zusammenhängen zu tun haben. Es drangen nun Völker aus dem Norden in Richtung Süden, die das Bauen nüchterner auffassten. Wo man auf römischer Seite noch nach filigraner Ausgestaltung strebte, wurden die Baukörper nun massiver und solider. Die Romanik macht aus der Mauer eine scheinbar „plastisch formbare Substanz“ [1].

Charakteristisch ist das Mauseoleum Theoderichs in Ravenna, das im 6. Jahrhundert nach Christus entstand.

Grabmahl Theoderichs in Ravenna

Die Romanik war schließlich der Stil der Karolinger, die seit dem 8. Jahrhundert die Königswürde im Frankenreich innehatten und mit Karl dem Großen im Jahr 800 die Kaiserwürde erlangten. Die Ästhetik stand mit den politischen Ideen im Einklang: Die Karolinger strebten nach der Erneuerung des römischen Reiches. Dieser politischen Idee sollte eine monumentale Architektur und Ästhetik zur Seite gestellt werden. Die Romanik erwies sich in der Folge als „kaiserliche Herrschaftsarchitektur“ [1].

Zentral war in der Romanik in gestalterischer Sicht die Auseinandersetzung mit dem Tod: „Dass die Erde nur ein Durchgangsstadium zu einem anderen, einem ewigen Leben sei, davon gingen fast alle aus. Und jeder hoffte für sich, dass sein irdisches Dasein eine Fortsetzung im Himmel, dem jenseitigen Abbild des einst verlorenen Paradieses, finden würde. Gewiss war aber jedem das ewige Leben in der Hölle, der sein irdisches Leben nicht im Sinne der Gebote Gottes und in dessen Wohlgefallen lebte. Der Tod markierte den Übergang von der diesseitigen Existenz zum jenseitigen Leben, auf das man sich bereits auf Erden vorzubereiten hatte. Keine andere Epoche der abendländischen Kunst ist so reich an künstlerischen Darstellungen, die den Tod und die damit verbundenen Vorgänge des Übergangs ins Jenseits thematisieren, wie die Romanik“ [1].

Insgesamt ist die Ästhetik im Mittelalter eine göttliche Angelegenheit. Thomas von Aquin spricht von „moralischer Schönheit“, die sich in Proportion, Glanz, aber auch Vollständigkeit äußere [2]. Bei Thomas von Aquin sind die der Schönheit zugrunde gelegten Eigenschaften: Die „perfectio“ als Integrität der Form, die „proportio“ oder Proportion und schließlich die „claritas“, die Helligkeit und das Licht. Der moralische Anspruch an die Schönheit wird erkennbar in den Worten: „pulchritudo est splendor veritatis“ (die Schönheit ist der Glanz des Wahren).

Der Künstler steht im Mittelalter im Dienste Gottes – oder zumindest im Dienste dessen weltlicher Vertreter. Das Kunstwerk besteht in der handwerklichen Fertigkeit und nicht in individueller künstlerischer Kreation.

Im profanen Bereich wurden im Zeitalter der Romanik Wehranlagen gebaut, aus denen sich später urbane Zentren bilden sollten. Kennzeichnend für die Romanik sind die Rundbögen, die vielfach schmucklosen Säulen sowie wuchtige und massive Wände. Der Wehrcharakter ist immanent.

…zur Gotik

Die Heranbildung der Gotik vollzieht sich politisch und theologisch im Kontext eines Erstarkens der Städte und ihrer Etablierung als Handelszentren sowie im Rahmen der Missionierung der großen Volksmengen im geistigen Kampf gegen die zahlreichen ketzerischen Sekten, wozu weiträumige Saal- und Hallenkirchen notwendig waren und worin sich gerade die Bettelorden intensiv betätigten [3]. Die gotischen Kathedralen hatten folglich vor allem auch eine kirchenpolitische missionarische Bedeutung.

Von Gotik kann ab dem 12. und bis zum 15. Jahrhundert die Rede sein.

Die Gotik führt die Kunst des Bauens schließlich bis an die Grenzen der Tragfähigkeit und vielleicht auch darüber hinaus. Durch diese kühne Formensprache entfernt sich die Baukunst verstärkt von der klassischen Antike und ihrer Formensprache. Dass die Vertreter der Renaissance in dieser „Entfremdung“ vom klassisch Schönen, wie sie durch Romanik und Gotik betrieben wurden, rückblickend ein „Barbarentum“ (Giorgio Vasari) erkannten und der Gotik damit ihren Namen gaben, liegt – ob des moralischen Anspruches, den die Renaissance stellte – auf der Hand.

Die Gotik stellt die Vollendung der Konstruktion dar, um ästhetisch und konstruktiv nach Höherem zu streben. Die schier unglaublich anmutenden Höhen sind durch Spitzbögen verwirklicht, die statisch gegenüber Rundbögen wegen der steileren Geometrie und dem verminderten Bogenschub vorteilhafter sind. Die Rippengewölbe sind als lokale Verstärkungen des Querschnitte der Gewölbe ausgebildet. Aufgrund der augenscheinlichen Schlankheit der Konstruktionen wurden Strebewerke in das Äußere verlegt, die von außen her den Gewölbeschub aufnahmen. Erst durch diesen Kunstgriff waren die Gewölbe konstruktiv ausführbar.

Ging man in der Romanik bei größeren Spannweiten noch dazu über, die Konstruktionsquerschnitte drastisch zu erhöhen, setzte man sich in der Gotik daran, die Konstruktion schlanker zu gestalten und diese durch ausgeklügelte statisch-konstruktive Lösungen standfest zu machen. Die Methodik war folglich um ein Vielfaches raffinierter.

Die Frage, ob die gotische Baukunst eine Folge der neu errungenen technischen Möglichkeiten war oder ob sich die Entwicklungen in der Ingenieurskunst direkt aus den hochgesteckten ästhetischen Zielen, die höher und höher strebten, ist wohl kaum zu beantworten. Grundsätzlich kann die Gotik keinesfalls nur als „frühe Form der Ingenieursarchitektur“ dargestellt werden, sondern nur als „dialektisches Ineinandergreifen ästhetischer und konstruktiver, politischer und religiöser, wirtschaftlicher und geistiger Tendenzen“[3].

Die Planung einer gotischen Kathedrale war statisch wie auch geometrisch äußerst komplex. Die dreidimensionale Gliederung der Gewölbe und ihre statische Standfestigkeit mit dem „Übergang von den Gewölbeauflagern in die sich räumlich ausfächernden Rippen“ lief in Ermangelung statischer Berechnungsmethoden auf Versuch, Scheitern und Neukonzeption hinaus.

In Wirklichkeit war die Nachahmung der römischen Mauerwerkskunst alles andere als einfach. Über lange Zeit hinweg wurden die filigranen Techniken vergessen. Die Romanik ging dazu über, bei höheren Spannweiten und folglich höheren Lasten die Mauerwerksdicken entsprechend zu erhöhen. Erst im Laufe der Gotik wurde der Mauerwerksbau in Form der Mauerwerksverbände weiterentwickelt, sodass Möglichkeiten zur Verfügung standen, das Mauerwerk auch im profanen Bereich effizient und tragfähig einzusetzen. Die fortschreitenden Techniken in der sakralen Kunst wirkten sich auch auf die profane Baukunst beispielgebend aus.

Und Südtirol

St. Valentin in Tramin: Romanischer Kirchenbau, im 14. Jahrhundert (Gotik) umgebaut

Für die romanische Epoche zwischen 11. und 13. Jahrhundert war es in Südtirol charakteristisch, einen steinernen Unterbau zu errichten und die Wohnräume in Holzbauweise darauf zu setzen.

„Mit jener Lösung, den Wohnteil vom Erdboden, von Feuchtigkeit und Kälte, von Wasser und Schmutz abzuheben und ihn hoch auf einen festummauerten Kellersockel zu stellen, haben die Bauleute der Romanik bereits die Grundlage für eine vorbildliche Wohnkultur geschaffen. Voraussetzungen hierfür waren das Bauen am Steilhang, das Bauen am und auf dem Fels sowie die klar ausgeprägte Hofanlage mit getrennten Wohn- und Wirtschaftsgebäuden, also die für den inneralpinen Raum bestimmenden Faktoren“ [5] schreibt Martin Rudolph-Greiffenberg.

Als Ausgangspunkt der Hausentwicklung wird ein Laubenhaus mit einem überdachten offenen Vorplatz ausgemacht. Davon ausgehend war man versucht, im Bereich der Wohnräume im oberen Geschoss eine Vorkragung zu schaffen. Der „zur Sonne geöffnete Raum“ erhielt später den aus dem Lateinischen abgeleiteten Namen „Soller“ oder „Sölder“.

Die frühe Gotik, die aus dem Norden stammte, wurde in Südtirol besonders durch die Bettelorden vorangetrieben. Das Franziskanerkloster entstand in Bozen 1240, während das Dominikanerkloster 1270 entstand und aus Regensburg entstammte. Geprägt ist diese gotische Phase durch süddeutsche Formgestaltung.

In Tirol setzte in dieser Zeit ein wirtschaftlicher Aufschwung ein. „Städte und Gemeinden nahmen am wirtschaftlichen Aufschwung teil, der von zwei Säulen getragen wurde: Von der Steigerung des Fernverkehrs zwischen Oberdeutschland (Nürnberg, Augsburg) und Venedig durch Tirol und vom Silber- und Kupferbergbau, der dem Land einen Spitzenplatz in Europa verschaffte“ urteilt Erich Egg [6].

Mit der Gotik ab 1400 änderten sich das Stil- und Formempfinden: „Die gotische Epoche Südtirols hat die vorangegangene Zeit noch übertroffen. Mit dem Ideenreichtum und der Gestaltungskraft ihrer Baumeister brachte sie Schöpfungen hervor, die zu den vollendeten alpinen Bauten gehören. Hierbei mögen zwei Gesichtspunkte eine derartige Beurteilung rechtfertigen: Einmal die Schaffung klar geformter, kubischer Baukörper, frei am Berg stehend als ein natürlich wirkender Teil der Landschaft, und zum anderen die reiche Innengestaltung der Häuser mit feinen Steinmetzarbeiten und künstlerisch ausgestatteten gotischen Stuben“ schreibt Martin Rudolph-Greiffenberg.

Im Bozner Unterland, diesem Gebiet zwischen Bozen und Salurn, entstand in der Folge in der Durchmischung von nordischer Gotik und italienischer Renaissance der so genannte „Überetscher Stil“, der bis heute hin der Umgebung ihr charakteristisches Gesicht gibt. Wer Rang und Name hatte, hatte sich lombardische Baumeister geholt.

Der Baustil wird bis heute hin durch spätgotische Formen gekennzeichnet, die um Elemente, die aus der Renaissance stammen, bereichert wurden und grenzt sich stilistisch von der reinen Renaissance, wie sie unwesentlich weiter im Süden vollendet wurde, ab.

Besonders der Erker, der seit der Gotik als Vorbau der Fassade diente und wehrtechnisch den Zweck der Übersichtlichkeit hatte, erhielt zunehmend die Bedeutung der Erweiterung des Wohnraumes. In der italienischen Renaissance sollte der Erker als solcher nie große Anerkennung finden, ging es im Rahmen der Renaissance nämlich eher um geschlossene, regelmäßige Fassaden [7]. Eher als der Erker findet in der italienischen Renaissance der Altan oder der Balkon in symmetrischer Anwendung seine Anwendung.

In Südtirol vereinen sich die Formen zur „besten beider Welten“.

Literatur:

[1] Rolf Toman: „Romanik – Architektur, Skulptur, Malerei“, Tandem Verlag, Potsdam 2004

[2] Eco, Umberto: „Die Geschichte der Schönheit“, Deutscher Taschenbuch Verlag, München 2006

[3] Rolf Toman: „Gotik – Architektur, Skulptur, Malerei“, Tandem Verlag, Potsdam 2004

[4] Paul Naredi-Rainer, Lukas Madersbacher (Hrsg.): Kunst in Tirol. 2 Bände, Athesia/Tyrolia, Bozen/Innsbruck 2007

[5] Martin Rudolph-Greiffenberg: „Alpine Baukultur in Südtirol“, Athesia Verlag, Bozen 1982

[6] Erich Egg: „Kunst im Südtiroler Unterland“, Verlagsanstalt Athesia, Bozen 1991

[7] Arbeitskries Hausforschung Südtirol: „Der Überetscher Stil – Renaissancearchitektur an der Schnittstelle von Nord und Süd“, Athesia Tappeiner Verlag, Bozen 2018

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