Bauwerke sind in Stein gehauene Gedanken. Weil Bauen niemals nur funktionelle Anforderungen erfüllt – das Bauhaus irrt massiv -, verkörpern Bauwerke folglich immer auch Übersinnliches, den Willen zum Überdauern, zur Repräsentation und zur Symbolik. Im Bauen äußert sich diese oder jene Philosophie. Allerdings ist das Bauwerk keine reine Kunst, sondern definiert sich über den Gebrauch. Funktionalität und Ästhetik sind folglich gleichberechtigt.
Viele Architekten – und auch Ingenieure – sind gewissermaßen Philosophen. Bei den Architekten: Valerio Olgiati, Peter Zumthor, Gion Caminada. Paul Schmitthenner. Le Corbusier. Bei den Ingenieuren: Fritz Leonhardt. Pier Luigi Nervi. Und sogar der Felsbauer Leopold Müller. Alles Große zeichnet sich durch große Gedanken aus. Auf der anderen Seite beschäftigen sich auch Philosophen mit dem Bauen. Die Grenzen verschwimmen. Alles ist Gedanke und Form zugleich.
Gottfried Semper gilt als Klassiker des Bau-Philosophie. Gottfried Semper, der herausragende deutsche Architekt des 19. Jahrhunderts, prägte den Begriff des „Elementaren“ im Bauen. Im Bauen treten folglich nach Semper elementare Gegebenheiten zu Tage.
In seinem Werk „Die vier Elemente der Baukunst“ schreibt Semper: „Das erste Zeichen menschlicher Niederlassung und Ruhe nach Jagd, Kampf und Wanderung in der Wüste ist heute wie damals, als für die ersten Menschen das Paradies verloren ging, die Einrichtung der Feuerstätte und die Erweckung der belebenden und erwärmenden speisebereitenden Flamme. Um den Herd versammelten sich die ersten Gruppen, an ihm knüpften sich die ersten Bündnisse, an ihm wurden die ersten rohen Religionsbegriffe zu Kulturgebräuchen formuliert. Durch alle Entwickelungsphasen der Gesellschaft bildet er den heiligen Brennpunkt, um den sich das Ganze ordnet und gestaltet. Er ist das erste und wichtigste, das moralische Element der Baukunst. Um ihn gruppieren sich drei andere Elemente, gleichsam die schützenden Negationen, die Abwehrer der dem Feuer des Herdes feindlichen drei Naturelemente; nämlich das Dach, die Umfriedigung und der Erdaufwurf“.
Bei Semper geht es folglich darum, die elementarsten und ursprünglichsten Anforderungen an das Bauen zu formulieren.
Adolf Loos hat mit seiner Schrift zum Bauen philosophische Grundsätze aufgestellt. Besonders im „alpinen Bauen“ fordert Loos dazu auf, dem „Grund“ der Form nachzugehen.
Martin Heidegger dringt tiefer vor. Im Bauen definiere sich das Menschsein im Raum: „Was heißt nun Bauen? Das althochdeutsche Wort für bauen, »buan«, bedeutet wohnen. Dies besagt: bleiben, sich aufhalten. Die eigentliche Bedeutung des Zeitwortes bauen, nämlich wohnen, ist uns verlorengegangen. Die Art, wie du bist und ich bin, die Weise, nach der wir Menschen auf der Erde sind, ist das Buan, das Wohnen. Mensch sein heißt: als Sterblicher auf der Erde sein, heißt: wohnen. Das alte Wort bauen, das sagt, der Mensch sei, insofern er wohne, dieses Wort bauen bedeutet nun aber zugleich: hegen und pflegen, nämlich den Acker bauen, Reben bauen“ [1].
Der Dichter Ernst Jünger eröffnet uns in einem seiner Romane die materiellen Ebenen des Lebens und des Todes, welche sich im Gebauten äußern: „Wenn wir vom hohen Sitze auf die Stätten schauten, wie sie der Mensch zum Schutz, zur Lust, zur Nahrung und Verehrung sich errichtet, dann schmolzen die Zeiten vor unserem Auge innig ineinander ein. Und wie aus offenen Schreinen traten die Toten unsichtbar hervor. Sie sind uns immer nah, wo unser Blick voll Liebe auf altbebautem Lande ruht, und wie in Stein und Ackerfurchen ihr Erbe lebt, so waltet ihr treuer Ahnengeist in Feld und Flur“ [3].
Nach Alain de Botton sind Häuser hingegen unsere „eingeweihten Mitwisser“, verwoben mit unseren Geschichten, Gefühlen und Lebenserfahrungen. Das Haus bietet in diesem Sinne „nicht nur physische, sondern auch psychische Zuflucht und ist ein Wächter der Identität“ [4].
Der besondere Wert liege darin, dass Häuser uns auch nach vielen Jahren immer noch sagen würden, wer wir eigentlich sind. Dazu genügt meistens auf die Räume, die wir bewohnt haben und bewohnen. Daraus erklärt sich aber auch, weshalb uns die Inneneinrichtung dermaßen wichtig erscheint. Wir wollen es uns nicht nur schön einrichten, sondern uns darin auch verwirklichen.
Darüber hinaus verändern Gebäude unser Bewusstsein und unser Sein. Darin besteht die eigentliche Wirkung der Baukunst. „Der Glaube an die Bedeutung der Architektur setzt nicht nur die Annahme voraus, dass wir – ob wir wollen oder nicht – an einem anderen Ort ein anderer Mensch sind, sondern auch die Überzeugung, dass es Aufgabe der Architektur ist, uns vor Augen zu halten, wer wir im Idealfall wären“ meint de Botton.
Die Philosophie kann wunderbare Gedankenschlösser bauen. Zu viel Geist lenkt allerdings vom Eigentlichen ab, dass Bauen nämlich immer eine materielle Angelegenheit ist, die natürlich einen Geist materialisiert, aber konkret bleibt. Bauen ist kein Kunstschaffen, sondern – auch – Kunst als Baukunst und Baukultur. Wesentlich ist, dass sich diese Baukunst im Elementaren niederschlägt, nämlich in unseren menschlichen Erfordernissen an Raum und Materie.
Literatur:
[1] Martin Heidegger: „Bauen Wohnen Denken“ in Gesamtausgabe Band 7, Vittorio Klostermann Verlag, Frankfurt 2000
[2] Gion A. Caminada.: „Unterwegs zum Bauen – Ein Gespräch über Architektur mit Florian Aicher“, Birkhäuser Verlag, Basel 2018
[3] Ernst Jünger: „Auf den Marmorklippen“, Hanseatische Verlagsanstalt, Hamburg 1939
[4] De Bottom, Alain: „Glück und Architektur – Von der Kunst, daheim zu Hause zu sein“, S. Fischer Verlag, Frankfurt am Main 2008