Gegenüber dem Bauen im ebenen Gelände eröffnet das alpine Bauen weiter reichende Dimensionen und Ebenen.
Ganz allgemein betrachtet ist die Informationsdichte, die eine Landschaft bietet, für die Bewertung derselben ganz wesentlich. Unsere Sinnesorgane wollen ständig neu stimuliert werden. Wesentliche Erkenntnisse aus den Verkehrswissenschaften liefern dazu den theoretischen Rahmen. Im alpinen Gelände liefert alleine die dritte Dimension, die Höhe, ein Vielfaches mehr an Information als dies im ebenen Gelände der Fall ist. Die Geomorphologie liefert damit eine ganz eigene Dimension.
Hinzu kommt der Umstand, dass im alpinen Gebiet nur ein Bruchteil der Oberfläche auch effektiv bebaubar ist. Die restlichen Gebiete sind wichtige Rückzugsorte für die Natur und das Ökosystem und zwar nicht nur im kleinflächigen, sondern – wie im Falle der Alpen – durchaus im kontinentalen Maßstab.
Alles Leben, Kommunizieren und Bauen ist im alpinen Gebiet folglich durch die Morphologie bestimmt. Ein Tal schottet ab, verbindet durch ein Brückenbauwerk aber auch sowie durch eine ganzjährig befahrbare Straße.
Das Bauen selbst kann folglich gar nicht anders, als im Dialog mit der natürlichen Umgebung zu stehen. Dazu gehören zu allererst einmal die alpinen Gefahren. Bauen im Hang bedeutet besondere hydro-geologische Bedingungen, die im Rahmen einer sicheren und zuverlässigen Planung mit einem vertretbaren Restrisiko nicht wegdiskutiert werden können.
Weiters ist die Ästhetik wesentlich. Das alpine Gelände bietet auch ganz ohne menschliche Bebauung genügend Sinneseindrücke, die ästhetisch gewertet werden (können). In diesem Sinne hat der Architekt Heinrich Tessenow, der der Reformarchitektur zuzuordnen ist, recht, wenn er meint, dass die Landschaft am schönsten sei, wenn gar nicht gebaut werde. Das Gebaute hat folglich immer einen Dialog zur natürlichen Umgebung aufzunehmen, die Schwingungen derselben aufzunehmen.
Alles Bauen ist letztlich eine materielle und eine konstruktive Angelegenheit. Insbesondere im alpinen Gebiet, wo Schneemengen, Lawinen, Hangrutschungen, Wind und Wasser auf unsere menschlichen Behausungen einwirken. Wir erwarten uns vom Gebauten, dass dieses nicht 20, sondern mitunter 200 Jahre lang standfest ist.
Nicht zuletzt geht es um eine ökologische Sichtweise. Bauen ist besonders dann gut, wenn der ökologische Fußabdruck möglichst gering ist. Baumaterialien werden bestenfalls aus der direkten Umgebung entnommen, mit möglichst wenig Verarbeitung verbaut und nach der Nutzungsdauer wieder in die Natur abgegeben. Bauen mit Holz oder mit Stein erreicht die höchste Stufe der Naturnähe. Wahrlich, eine romantische Sicht, aber ein anzustrebendes Ideal.
Grundsätzlich hat Adolf Loos seine „Regeln für den, der in den Bergen baut“ bereits 1913 wie folgt und auszugsweise ( in bewusster Kleinschreibung) dargelegt:
- Baue nicht malerisch. Überlasse solche wirkung den mauern, den bergen und der sonne.
- Baue so gut als du kannst. Nicht besser. Überhebe dich nicht. Und nicht schlechter.
- Achte auf die formen, in denen der bauer baut. Denn sie sind der urväterweisheit geronnene substanz. Aber suche den grund der form auf. Haben die fortschritte der technik es möglich gemacht, die form zu verbessern, so ist immer diese Verbesserung zu verwenden. Der dreschflegel wird von der dreschmaschine abgelöst.
- Die ebene verlangt eine vertikale baugliederung; das gebirge eine horizontale.
- Denke nicht an das dach, sondern an regen und schnee. So denkt der bauer und baut daher in den bergen das flachste dach, das nach seinem technischen wissen möglich ist. In den bergen darf der schnee nicht abrutschen, wenn er will, sondern wann der bauer will. Der bauer muß daher ohne lebensgefahr das dach besteigen können, um den schnee wegzuschaffen. (Anmerkung: Der Wille, den Schnee selbst abzuschöpfen, dürfte inzwischen eher gering sein).
- Sei wahr! Die natur hält es nur mit der Wahrheit.
- Fürchte nicht, unmodern gescholten zu werden. Veränderungen der alten bauweise sind nur dann erlaubt, wenn sie eine Verbesserung bedeuten, sonst aber bleibe beim alten. Denn die Wahrheit, und sei sie hunderte von jahren alt, hat mit uns mehr inneren Zusammenhang als die lüge, die neben uns schreitet.

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