Nördlich von Trient und südlich der Salurner Klause erstreckt sich in dem Gebiet, in dem das Nonstal in das Etschtal mündet, die Rotaliana-Ebene, berühmt für die weit gestreckten Weinfelder, von denen man sagt, dass sie bereits durch die Kelten kultiviert wurden. Prägend für das Gebiet ist die Pergel oder Pergola als Kultivierungsform der Weinrebe.
Ästhetisch und kulturhistorisch bewegt man sich in einem Grenzgebiet, was grundsätzlich für das gesamte Gebiet Südtirols und des Trentinos gilt – mit unterschiedlichen Schattierungen und Stufen. Und, umso weiter südlich man sich bewegt, umso klarer wird der südliche Einschlag.
Historischer Abriss
Für das Gebiet nördlich von Trient muss man wissen, dass Trient im Mittelalter zur Hälfte deutsch besiedelt war, die Sprachgrenze bei Trient verlief und das Konzil von Trient aus eben jenem Grund – als Lanze gegen den nördlichen Protestantismus – in Trient abgehalten wurde. Durch das Konzil selbst, das immerhin 8 Jahre lang von 1545 bis 1563 andauerte, sind viele Orte an den Hängen Trients heute mit herrschaftlichen Ansitzen bestückt. Der hochrangige Klerus zog es vor, die Sommerfrische nicht in der glühenden Hitze des Etschtales, sondern in höheren Lagen zu verbringen [1].
Nach dem Zerfall des Römischen Reiches waren es grundsätzlich die Bajuwaren, die das heutige Südtirol besiedelten, die Alemannen im Westen vom Vinschgau bis nach Vorarlberg und in die Schweiz, im Osten rund um teilweiser Osttirol slawischer Einschlag und südlich von Südtirol die Langobarden. Bis Karl der Große das ganze Reich in die fränkische Herrschaft brachte, später die Bischöfe von Brixen und Trient als Lehensherren folgten und schließlich die Grafen von Tirol sich als eifrigste Lehensnehmer in Raubritter-Manier erwiesen und jenes Land prägten, das heute als Tirol gilt und sich irgendwo zwischen dem nördlichen Alpenvorland und dem Gardasee erstreckt.
Was bleibt, ist langobardische Kunst im gesamten oberitalienischen Raum, in der Lombardei, besonders aber auch in der Gardasee-Region, die in die Nibelungen-Sage eingeht, sowie im Trentino.
Baukulturelle Einordnung
Weil es hier um keine historische Abhandlung, sondern um eine ästhetische Auseinandersetzung aus der Sicht eines Ingenieurs mit Hang zu Baukultur und Ästhetik, bleibt für das Gebiet der Rotaliana zu sagen, dass hier das tirolerische Bauen mit dem mediterranen Bauen verschmilzt – viel offensichtlicher noch als weiter nördlich. Grundsätzlich gilt allerdings das, was baukulturell für den Überetscher Stil gilt: Es verschmelzen nördliche Gotik mit südlicher Renaissance.
Die Siedlungsstruktur mag in den welschtiroler Tälern durch die praktizierte Realteilung verschachtelt und ordnungslos erscheinen – ein typisches Erscheinungsbild eines bäuerlichen Dorfes im Trentino. Die Häuser gruppieren sich kreuz und quer um kleine, verschachtelte Plätze und um Brunnen. Die Praxis der Realteilung – im Gegensatz zum Anerbenrecht – schlägt sich strukturell, in der Art und Weise, wie der Raum geprägt wird, aber auch durch die Art und Weise, wie Gebäude unterteilt sind, nieder. Überall grenzen Mauern den Raum ab. Der Raum wirkt unstrukturiert und ist damit anders, als die stolzen Städte und Dörfer, die weiter südlich liegen mit ihrer inszenierten „Grandezza“ förmlich glänzen.
Aber doch, der Einfluss der Renaissance mischt sich sichtbar in den Dorfcharakter: Loggien und Biforienfenster mögen einen venezianischen Einfluss kennzeichnen, ebenso die geschwungenen steinernen Balkone mit eisernen Brüstungen. Die vielen marmorgerahmten Torbögen haben hingegen etwas „typisch trentinerisches“ schreiben die Architekten Guido und Francesco Moretti in einer sehr beeindruckenden Studie zum Bauen im Trentino [2]. Das offene Giebeldreieck mit der sichtbaren Holzkonstruktion zum Trocknen von Heu hat hingegen eher einen nördlichen Charakter. Das Gebiet stellt sich ähnlich dar, wie die vielen Übergänge im Unterland, die ähnliche Charaktere hervorbringen.
Eindrücke des Reisenden
Für den Reisenden, der sich nicht auf ausgelatschten Touristenpfaden bewegen will, für baukulturelle Grenzgänger und für diejenigen, die das wahrlich „Echte“ suchen, das nicht touristisch inszeniert ist, bieten die zahlreichen Dörfer im Trentino wahre Schätze. Nicht umsonst galt für Johann Wolfgang von Goethe das Trentino als erste Erfahrung des Südens. Für Albrecht Dürer und für viele weitere Größen der deutschen Geistesgeschichte natürlich auch.
Baukulturell ist der südliche Einfluss des Werkstoffes Stein als wesentliches Konstruktionsmaterial durchschlagend, der sich in der Kunst des Wölbens in seiner höchsten Ausprägung manifestiert. Man versteht die Baukultur kaum, wenn man sich nicht der Divergenz der beiden Werkstoffe Holz und Stein, ihrer konstruktiven Details und mechanischen sowie bauphysikalischen Eigenschaften, vergegenwärtigt.
Hinzu kommen in diesen südlichen Gegenden ausgeprägte Balkonkonstruktionen mit Lattungen, die zum Dörren von Mais oder anderweitiger landwirtschaftlicher Produkte und letztlich zum Trocknen der Wäsche genutzt wurden. Vielleicht bekommen diese Bauelemente durch die enge und verschachtelte Bauweise ihre besondere Ausprägung.
Grundsätzlich gilt zu dem Geschriebenen: Wer sich auf Geschichte und Baukultur einlässt, wer sich auf die Suche nach der „verlorenen Zeit“ begibt – um ein Motiv Balzacs zu zitieren -, entdeckt eine tieferreichende Magie, die sich in Details, Kulinarik und authentischer Lebensweise manifestieren, die anderswo längst unter dem Einfluss des Massentourismus endgültig verloren gegangen sind. Letztlich gilt immer das, was der Schriftsteller Hans Magnus Enzensberger auf den Punkt gebracht hat: Der Tourist zerstört, was er sucht, indem er es findet.
Wie schön, dass es das Andere, das Echte, noch gibt, das durch baukulturelles Bewusstsein, das nicht an der Oberfläche bleibt, in Form zu bringen ist.
Weiterführende Artikel:
Alpines Bauen: „Suche den Grund der Form auf“!
Literatur:
[1] Walter Pippke und Ida Pallhuber: „Gardasee, Verona, Trentino“, DuMont Kunst-Reiseführer, Köln 1995
[2] Guido Moretti und Francesco Moretti: „Architettura tradizionale nelle Giudicarie – Indirizzi a supporto della pianificazione territoriale dei comuni”, Comunitá delle Giudicarie, Tione 2015
Kommentar verfassen