Im Stadt-Grau ist das Grün an der Fassade eine zunehmen erfrischende Erscheinung. Insbesondere dann, wenn verschmierte Fassaden in vielen Städten die Regel sind und stark abstoßend wirken, weil irgend jemand davon ausgeht, fremdes Eigentum willkürlich beschmieren zu dürfen.
Begriffe wie “sustainability”, “green architecture” oder “green engineering” werden heute international populär und zieren die Design- und Architektur-Magazine. Neben den grünen und begrünten Fassaden werden aber auch Dachbegrünungen, die Entsiegelung von Flächen, Mico Gardening und Urban Gardening sowie die Mikro-Landwirtschaft zunehmend bedeutend und unterstreichen, dass die lange geglaubte erfüllende Entfremdung des Menschen von der Natur im Sinne einer technizistischen Welt nicht erfüllend und das „Zurück zur Natur“ eine Notwendigkeit ist. Natürlich nur mit modernem Komfort. Eine Einschränkung, die teilweise widersprüchlich, aber kulturimmanent ist.
Die Frage ist dann immer auch, ist es wirklich nachhaltig und zwar im gesamten Lebenszyklus oder reines Greenwashing? Wenn wir die Substanz und nicht nur die Oberfläche im Blick haben wollen, müssen es immer Ingenieurleistungen sein, die grundlegenden Wandel zu einer grünen Kultur bewirken.
Was die Gartenstadt, die sich aus der Reformbewegung heraus ergibt, in der Horizontalen postuliert, postuliert die Grüne Fassade in der Vertikalen. Der Garten wächst an der Fassade entlang oder am Dach. Gerade in Zeiten wie diesen, in denen die Begrünung alleine aus Klimagründen zentral wird, da es einfach nicht mehr akzeptabel ist, den Stadtraum willkürlich aufzuheizen, werden Alternativen notwendig.
Grüne Fassaden bewirken ein erfrischendes Mikroklima und wirken darüber hinaus als Staubfilter. Der Zugang zur Natur und den Jahreszeiten ist ein unmittelbarer. Das Menschsein steht damit im geglaubten Einklang mit der Natur – zweifelsohne in vielen Fällen ein vorwiegend ästhetischer oder gar ästhetisierender Einklang.
Natürlich wirft die Grüne Fassade nicht nur Fragen nach der passenden Vegetation auf, die pflegeleicht und dauerhaft ist. Die Bauphysik hat gänzlich neue Herausforderungen, die sie zu lösen hat, weil Belichtung, Wärmeverhalten und Feuchte, aber auch Regenwassermanagement eine ganz andere Relevanz erhalten. Die Planung der Bewässerung und Entwässerung ist komplex.
Im Sinne der Tragwerksplanung ist bei der Ermittlung der Lasten auch die maximale Wasseraufnahme relevant. Neben Wind und Schnee ist auch die Eisbildung relevant. Nicht zuletzt ergeben sich im Sinne der Tragwerksplanung wichtige Fragen zur statisch-konstruktive Bemessung der Befestigungen sowie der Dauerhaftigkeit im Sinne des Korrosionsschutzes, welche sowohl bei einer Metallkonstruktion als auch bei einer Holzkonstruktion relevant ist. Edelstahlseile, Edelstahlnetze oder Leichtbaukonstruktionen aus Aluminium oder Holz sind naheliegend. Muss dann allerdings auch noch das Substrat befestigt und bewässert werden, wird die statische Herausforderung natürlich komplizierter. In allen Fällen sind die Verbindungsmittel im Sinne der Dauerhaftigkeit sorgfältig zu wählen.
Interessant ist in diesem Sinne das Spannungsfeld, das sich angesichts der konstruktiven Herausforderungen und der ästhetischen Wirkung ergibt. Die ästhetische Wirkung der grünen Fassade besticht nämlich. Die Natur wird direkt in den Entwurf eingegliedert, das Grün, das zeitweise auch Gelb und Rot sein kann, überdeckt den Hochbau und wird zur grünen Haut. Die Bekleidungstheorie Gottfried Sempers erhält dadurch neue Geltung.
Die „grüne Fassade“ klingt nach einer architektonischen Spielerei, ist aber letztlich eine ingenieursmäßige Herausforderung. Angestrebt wird dabei die Höchstform des Ingenieurswesens, nämlich das konstruktive Beitragen zu natürlicher Intelligenz und Evolution. Das Ingenieurbauwerk gliedert sich dann erfolgreich in die natürlichen Zusammenhänge ein. Eine wohltuende Steigerungsform des herkömmlichen Bauens ist erreicht. Tragwerksplanung ist dann keine stumpfe Statik mehr, sondern ein gestalterisches Ganzes im Sinne der Ingenieurbaukunst.
Der Zauber entsteht immer dann, wenn die Natur das Geplante und Gebaute förmlich annimmt und wir uns selbst in die Natur eingliedern können.
Der Einsatz von Netzen sprengt das klassische, lineare Bauen und erweitert die Formensprache drastisch. Wird die Netzkonstruktion gespannt, entstehen nicht nur Umlenkkräfte, die konstruktiv durch die Befestigungen aufgenommen werden müssen, sondern im besten Sinne des Wortes „dynamische“ Formen, die durch die Begrünung ihre Rückgliederung in der Natur erhalten und nicht im Verdacht stehen, technizistische Anmaßungen darzustellen.
Der Schritt in Richtung Bau-Bionik ist gesetzt. Irgendwo ist aber auch die Baubotanik ein Thema, wo bauliche Formen und Tragwerke, die aus Pflanzen bestehen, angestrebt werden.
Gesetzt ist aber auch der Schritt in die nichtlineare Welt, in der die Kreativität entfesselt wird und wirklich neue Formen und neuartige Bauwerke entstehen. Die Zukunft erhellt am Horizont, gründet aber auf dem Bewährten, nämlich der Natur.
Manchmal muss es in diesem Zusammenhang aber auch der Mut zum grünen Bauen und zur grünen Fassade – auch nur in Teilen – sein. Mit einher geht der Mut zu neuen Werkstoffen, neuen Planungsmethoden und neuen Ideen und Köpfen. Der Mut zahlt sich immer aus.
Der Bezug auf die Norm hilft. Nach ÖNORM L 1131 – „Gartengestaltung und Landschaftsbau – Begrünung von Dächern und Decken auf Bauwerken – Anforderungen an Planung, Ausführung und Erhaltung“ ist im Sinne der grünen Fassaden zwischen den folgenden Kategorien zu unterscheiden:
Kategorie 1: Bodengebundene Vertikalbegrünung – Selbstklimmer: Die Pflanzen wurzeln im Erdreich, es wird keine Rankhilfe benötigt. Bis zu 30 Meter sind möglich, die Artenvielfalt ist aber gering.
Kategorie 2: Bodengebundene Vertikalbegrünung – Rankhilfen: Die Pflanzen wurzeln im Erdreich, es wird allerdings eine Rankhilfe benötigt. Bis zu 30 Meter sind möglich, die Artenvielfalt ist größer.
Kategorie 3: Troggebundene Vertikalbegrünung: Die Artenvielfalt ist hoch, hoch ist aber auch der technische Aufwand zur Befestigung der Trogvorrichtungen.
Kategorie 4: Wandgebundene Vertikalbegrünung teilflächig: Die Artenvielfalt ist hoch, hoch ist aber auch der technische Ausführung von teilflächigen Vegetationstragschichten in Form von Einbuchtungen in der Fassade.
Kategorie 5: Wandgebundene Vertikalbegrünung vollflächig: Die Artenvielfalt ist hoch, hoch ist aber auch der technische Ausführung von vollflächigen Vegetationstragschichten in Form von Einbuchtungen in der Fassade.
Literatur:
[1] Nicole Pfoser: „Grüne Fassaden“, Detail, München 2023
[2] Sebastian El Khouli, Viola John, Martin Zeumer: „Nachhaltig konstruieren: vom Tragwerksentwurf bis zur Materialwahl: Gebäude ökologisch bilanzieren und optimieren“, Detail, München 2014