Was ist „natürliches Design“? Eine spannende Suche. Die Bionik liefert Ansätze.
Der Begriff „Bionik“ ergibt sich aus den Begriffen „Biologie“ und „Technik“ und geht davon aus, dass die natürliche Evolution Anregungen zu technischen Innovationen gibt. Gerade die Komplexität in der Natur mit der Fähigkeit, komplexe Organisationen zu strukturieren und zu ordnen, ist heute im Sinne technischer Lösungen ein Anhaltspunkt. Aber nicht nur: Indem die Natur im Sinne der Evolution darauf ausgerichtet ist, maximale Effizienz zu verwirklichen, liefert sie Anhaltspunkte für technische Lösungen.
Die Bionik geht davon aus, dass die Biologie der Technik in der Lösungsfindung hilft. Bionik bedeutet keine Naturnachahmung, sondern Anregung aus der Natur für technische Herausforderungen. Insbesondere beim Bauen sind die Themen [1] Materialwahl, Konstruktionsart und klimatische Eigenschaften wesentlich.
Was ist von einer bionischen Technik zu erwarten?
Der Biologe Arnim von Gleich stellt hierzu fest: „Hinsichtlich der effizienten Nutzung von Energie und Stoffen können wir von der (manchmal durchaus auch verschwenderisch erscheinenden) Natur viel lernen. Effiziente Ressourcennutzung stellt schließlich im ökologisch-evolutionären Wettbewerb einen wesentlichen Selektionsvorteil dar, auf den hin seit Jahrmillionen optimiert wurde. Für den Übergang von einer linearen Durchfluss- zu einer abfallarmen Kreislaufwirtschaft können wir von der Natur lernen, weil sich die ineinandergreifenden geo- und biogenen Stoffwechselvorgänge mehr oder minder im Fließgleichgewicht befinden und über Jahrmillionen gewachsen und evolutionär erprobt sind“ [2].
Darüber hinaus geht es um eine „Mitproduktivität der Natur“. „Hier geht es um „naturgemäße Technik“, um „Partnerschaft“ mit der Natur, um Mitproduktivität der Natur, um Kultivierung, um ein Zusammenwirken der Produktivität des Menschen mit der (evolutionären und ökologischen) Produktivität der Natur in einer Allianztechnik, nicht nur zum Wohle des Menschen, sondern auch zum Wohle der Natur“ [2].
Um Rückschlüsse von der Natur für die Technik zu gewinnen, ist ein „Lernen von der Natur“ unerlässlich, das wiederum ein Verstehen der Natur voraussetzt. Das Lernen von der Natur im Sinne der Naturwissenschaften und Ingenieurwissenschaften garantiert aber noch lange keine Naturverträglichkeit.
„Normative Orientierungen wie Behutsamkeit, Risikominimierung oder gar NaturgemäBheit stammen nicht aus der Natur. Wenn wir uns an diesen ethischen Prinzipien orientieren, ist es aber möglich, aus dem Dargebot der Natur für die Art und Weise des Umgangs mit ihr (also für die Technik) die dem Ideal einer „ökologischen, naturgemäßen Technik“ am nächsten kommenden Möglichkeiten auszuwählen. Als Technikbewertungs- bzw. Auswahlkriterien bieten sich die Prinzipien und die Kriterien Eingriffstiefe und Sophistication an“ [2].
Indem die Natur in technische Prozesse integriert wird, wird es möglich, auf weniger Technik zurück zu greifen. Aber nicht nur: Es geht im Sinne einer natürlichen Technik nicht um einschneidende Eingriffe in die Natur, wie etwa durch die Nutzung nuklearer Energie, sondern um kongeniales Zusammenwirken.
„Vom ,,Lernen von der Natur“ erhofft man sich – vermutlich nicht zu Unrecht – elegante und raffinierte technische Lösungen, bei denen mit minimalem Einsatz von Stoffen und Energien trotzdem relativ, große, allerdings zielgenaue, hochspezifische Wirkungen erzielt werden können: hohe technische Effizienz also, möglichst „evolutionär erprobt“, mit geringen Risiken und Nebenwirkungen. Ökologische Technik soll also nicht nur sanfter, im Sinne von weniger wirkmächtig sein. Sie sollen vielmehr durchaus ein gewisses Maß an Wirkmächtigkeit erlangen, allerdings nicht durch die Eingriffstiefe in Naturzusammenhänge, sondern durch ein zielgenaues, hochspezifisches, an die Naturgegebenheiten angepasstes, elegantes, raffiniertes, möglichst „naturgemäßes“ Vorgehen““[2].
Weil unsere menschlichen Welten nicht der Natur entsprechen, sondern um die Kultur erweitert wurden, geht es immer auch um das Verfolgen von Absichten, die nicht vollends jenen der Natur entsprechen:
„Sanft und behutsam ist eine Technik, die nicht gegen die Naturprozesse, sondern mit ihnen arbeitet, sich sozusagen in diese Prozesse „einklinkt“. Sophisticated ist eine Technologie allerdings erst dann, wenn man sich sozusagen nicht nur mit der Natur treiben lässt, sondern auch mal gegen die Naturprozesse arbeiten kann, und wenn man dies sehr geschickt bzw. raffiniert und ausgeklügelt, mit geringem Aufwand an Stoffen und Energien realisiert“[2].
Der Physiker Claus Mattheck, der als Pionier in der Erforschung der Mechanik und des Bruchverhaltens von Bäumen gilt, skizziert die natürlichen Mechanismen der Selbstoptimierung am Beispiel Holz:
„Der wichtigste Mechanismus dieser Art ist das sogenannte adaptive Wachstum, das vor allem beim Aufbau tragender biologischer Strukturen, wie der Bäume oder der Knochen von Säugetieren, wirksam ist. Diese verfügen über bauteilinterne Rezeptoren und können damit lokale Spannungskonzentrationen registrieren und sich adaptiv wachsend reparieren. Diese selbstheilenden und somit ständig sich selbst optimierenden Bauteile sind im wahrsten Sinne „smart structures““[2].
Grundlage bildet das Axiom konstanter Spannungen, das davon ausgeht, dass die Lastverteilung in natürlichen Prozessen gleichmäßig ist, weil das Design sich an die Belastung anpasst. Die Grundlage bilden forstwissenschaftliche Untersuchungen an Fichten, bei welchen festgestellt wurde, dass die Biegespannungen in Fichtenstämmen infolge einer lastangepassten Stammverjüngung gleichmäßig über die Länge verteilt sind.
„Wenn ein Baum mit seinem allzeit wachen Kambium – der Wachstumsschicht zwischen Rinde und Holz – eine lokal erhöhte Spannung registriert, so bildet er dort als Folge dickere Jahresringe aus, um die Bruchgefahr zu bannen und die Spannungen auszugleichen. Entlastete Bereiche mit überflüssigem Material werden vom Baum, der nur wachsen, nicht aber schrumpfen kann, nicht aktiv abgebaut“. Demgegenüber verfügen Knochen über Fließzellen, die die Lastgeschichte verwischen.
Auf die Technik bezogen liefern moderne computergestützte Methoden konkrete Anwendungsmöglichkeiten. Unter Rückgriff auf die Finite-Elemente-Methode lassen sich Strukturen folglich in Analogie zu natürlichen, selbstoptimierten Strukturen optimieren:
- Indem sich höher belastetet Bereich beim Baum verdicken, kann eine Temperaturausdehnungs-Funktion implementiert werden, sodass es möglich ist, die Spannungsverteilung in Form einer Strukturanalyse beim Werkstoff Holz detaillierter zu analysieren;
- indem höher belastete Bereiche in der Natur ausgesteift und minder belastete Bereiche dagegen erweicht und schließlich ausgemerzt werden, erlaubt es die Anpassung der Bemessung an die natürlichen Prozesse, unter Variation des Elastizitätsmodules, naturangepasste Strukturen zu erzeugen;
- indem der Faserverlauf bei Holzwerkstoffen an den Kraftfluss angepasst wird, werden vorteilhafte Effekte bewirkt, weil die Linien des Kraftflussverlaufes (die sogenannten Hauptnormalspannungstrajektorien) frei von Schubspannungen sind.
Plädoyer für das naturnahe Bauen
Das naturnahe Bauen verfolgt zwei Ziele: Einerseits die Überzeugung, dass das tieferreichende Verständnis für die Natur effizienteste Lösungen bewirkt und zweitens die Gewissheit, dass es sich in naturnahen Strukturen besser wohnen / leben / arbeiten / Zeit verbringen lässt.
Literatur:
[1] Werner Nachtigall: „Bionik – Grundlagen und Beispiele für Ingenieure und Naturwissenschaftler“, Springer Verlag, Heidelberg 1998
[2] Arnim von Gleich: „Bionik – Ökologische Technik nach dem Vorbild der Natur?“, Teubner Verlag, Stuttgart 1998