Tunnelbauprojekte und die öffentliche Debatte
Tunnelbauten geraten immer dann in den Fokus der Öffentlichkeit, wenn kontroverse Großprojekte wie der Gotthard-Basis-Tunnel oder der Brennerbasistunnel oder Stuttgart 21 medial und öffentlich-politisch thematisiert werden. Meistens unter Ausschaltung der Öffentlichkeit. Oder aber wenn Elon Musk wieder einmal versucht, das Ingenieurwesen – ob bei Elektromobilität mit Tesla, öffentlichem Verkehr mit HyperLoop, Raumfahrt mit SpaceX oder Tunnelbau mit TheBoringCompany – auf den Kopf zu stellen.
Dem Vorhaben des Tesla-Kopfes Elon Musk, das Tunnelbohren um „Lichtjahre“ zu beschleunigen, hält allerdings der alte „Hase“ des Tunnelbaus, Martin Herrenknecht, entgegen, dass das Sprücheklopfern allein bei komplexen Fragestellungen in Fels und Erdreich nicht genüge. Herrenknecht, der inzwischen Milliardär ist, beschließt mit 35 Jahren als Bauingenieur, in Ermangelung geeigneter Tunnelbohrmaschinen, ein Unternehmen zu gründen, das das Tunnelbohren neu aufstellt. Heute ist Herrenknecht weltweit führend. Vorangegangen waren dem Tunnelbau insgesamt die herausragenden Leistungen des Bauingenieurs Leopold Müller.
Leopold Müller und die Felsmechanik
Als Vater des modernen Tunnelbaus gilt der Bauingenieur Leopold Müller, der 1908 in Salzburg geboren war. Entsprechend auch die Namensschreibweise Leopold Müller-Salzburg. Müller studierte und promovierte 1933 an der Technischen Hochschule Wien und war in der Folge als Bauingenieur bei Straßen- und Tunnelbauprojekten, insbesondere im Autobahnbau, als Bauleiter tätig. Wichtige Projekte waren die Großglockner-Alpenstraße sowie die Kraftwerke in Kaprun und Kriegsbauten. Leopold Müller soll diese Phase als „Lehr- und Wanderjahre“ bezeichnet haben; über solche Lehr- und Wanderjahre verfügten zahlreiche bedeutende Bauingenieure, etwa Fritz Leonhardt oder Karl von Terzaghi.
1948 gründete Müller in Salzburg ein Ingenieurbüro für Geologie und Bauwesen und bemühte sich darum, die beschreibende Geologie in eine Ingenieurgeologie weiterzuentwickeln, was bei den Vertretern der klassischen Mechanik auf wenig Gegenliebe stieß. Ähnlich verhielt es sich bei Karl von Terzaghi mit dem Versuch, die moderne Bodenmechanik zu begründen [1].
Als Zivilingenieur plante Müller in Österreich und Deutschland, Afghanistan und Japan. Zu den Bauwerken gehörten Tunnel, Talsperren, aber auch die Sanierung der Festung Hohensalzburg. Unter anderem arbeitete Müller dabei auch Untersuchungen zur Vajont-Katastrophe 1963 aus. Das Vorhaben, eine Ingenieurgeologie zu begründen, mündete im „Salzburger Kreis“, der aus Geologen, Geophysikern, Berg- und Bauingenieuren bestand und darauf aus war, die moderne Ingenieurgeologie zu begründen. Damit wurde Salzburg neben Leoben ein Zentrum der österreichischen Montanistik. Später resultierte daraus die „Internationale Gesellschaft für Felsmechanik“ 1962. Die konkrete Bezeichnung erfolgte interessanterweise in Korrespondenz und Abstimmung mit Karl von Terzaghi.
Leopold Müller begründete mit seinem mehrbändigen Werk „Der Felsbau“, das ab 1963 erschien, die Fels- und Geomechanik als Unterdisziplin der Geotechnik [5].
Von 1965 bis 1976 leitetet Leopold Müller die Abteilung Felsmechanik an der Universität Karlsruhe. Der Forschungsansatz Müllers bestand darin, zum Verständnis für den Fels auf vier Wegen beizutragen: Laborexperimente an Prüfkörpern, Modellversuche mit äquivalenten Materialien, In-Situ-Versuche im Gebirge und theoretische Modellrechnungen. Dabei kritisierte Müller rein theoretische Berechnungen und trat für praktische Erfahrung im Gelände ein [1]. Unter anderem setzte Müller bei der Erkundung des Felses Fernsehsonden ein, welche den Verlauf von Klüfte im Gebirge bestimmten und somit einen wesentlichen Baustein zur Vorerkundung lieferten.
Der moderne Tunnelbau

Aus den Forschungen Leopold Müllers heraus entwickelte sich der moderne Tunnelbau, der auch „Neue Österreichische Tunnelbaumethode“ genannt wird.
Prinzipiell kann Tunnelbau in offener Bauweise erfolgen, wobei ein vollständiger Aushub erfolgt und das Bauwerk von oben gebaut wird, oder in bergmännischer oder geschlossener Bauweise unter Tage. Weiters ist bei der geschlossenen Bauweise zwischen zyklischer und kontinuierlicher Bauweise mittels Tunnelbohrmaschine zu unterscheiden.
Die zyklische Bauweise erfolgt im Sprengvortrieb [2], durch Baggervortrieb oder mittels Teilschnittmaschine, welche bei mittleren Gesteinsfestigkeiten, insbesondere bei geschichtetem und geklüftetem Gestein, zur Anwendung kommt.
Bei der kontinuierlichen Bauweise mittels Tunnelbohrmaschine, welche im nicht standfesten und verwitterten Fels mittels Schild geschützt sind, erfolgt der Einbau von Tübbingen, also vorgefertigter Betonelemente, welche den Tunnel aussteifen [3]: „Einsetzbar bei Festgestein mittlerer bis hoher Festigkeit und nicht zu hoher Abrasivität. Es werden ausschließlich Kreisquerschnitte (Durchmesser bis über 12 m) durch einen rotierenden Bohrkopf, der mit Rollenmeißeln bestückt ist, aufgefahren (sog. Vollschnittabbau). Um den Anpressdruck auf den Bohrkopf aufzubringen, wird die Maschine durch seitlich ausfahrbare Abstützplatten radial verspannt“ [4].
Grundsätzlich wächst die Beanspruchung des Gebirges mit dem Querschnitt des Tunnels, weshalb es in der Tunnelbautechnik bei größeren Tunnelquerschnitten bedeutend ist, die Querschnitte teilweise auszubrechen. Im Tunnelbau werden folglich diverse Methoden unterschieden [4]:
- Deutsche Tunnelbauweise (Kernbauweise): Diese Bauweise besteht darin, zuerst die Ränder durch Einzelstollen auszubrechen und zu sichern und erst in der Folge den Kern.
- Alte österreichische Tunnelbauweise: Diese beginnt mit dem Firstschlitz, der vom Richtstollen ausgeht. Die Arbeiten erfolgen parallel zum Firstschlitz.
Aus den Forschungen der Ingenieurgeologie heraus entsteht die neue österreichische Tunnelbauweise: „Eine Reihe österreichischer Tunnelspezialisten – darunter Leopold Müller – haben diese Tunnelbauweise entwickelt, die im Wesentlichen darauf beruht, den Tunnel konventionell (d.h. zyklisch) vorzutreiben, die Sicherungsmittel (in erster Linie Spritzbeton) möglichst sparsam anzuwenden und nach den Grundsätzen der Beobachtungsmethode vorzugehen. Das Gebirge soll dabei möglichst wenig zerrüttet (entfestigt) werden, wohl aber hinreichend deformiert, damit seine Festigkeit um den Tunnel herum weitgehend mobilisiert wird. Dadurch entfallen die früher verwendeten dicken und steifen Schalen, bei denen man nicht auf satten Kontakt zum anliegenden Gebirge achtete“ [4]. Die Definition geht davon aus, dass die neue österreichische Tunnelbaumethode dem Konzept folgt, „welches das den Hohlraum umgebende Gebirge durch Aktivierung eines Gebirgstragringes zu einem tragenden Bauteil macht“ [4].
Nach dem Ausbruch erfolgt das Sichern über Spritzbeton, Anker oder Schirmgewölbe und folglich die Förderung des Ausbruchs.
Gemäß „Neuer Österreichischer Tunnelbaumethode“ entfallen die Tübbinge, weil der Fels selbst als mittragendes Bauteil in Rechnung gestellt wird. Daraus ergeben sich grundsätzlich Kosten- und Effizienzvorteile. „Kennzeichnend ist (…), dass der ganze Querschnitt scheibenförmig von der Firste zur Sohle – in wenigen oder vielen Teilquerschnitten – ausgebrochen und abschnittsweise vorübergehend gesichert wird, bis dann der gesamte Querschnitt ausgebrochen und gesichert ist“ [2].
Eine genaue Definition der neuen österreichischen Tunnelbauweise existiert nicht – im Gegenteil. Die Kontroversen um die Begrifflichkeit bleiben bestehen. Vielfach bezieht sich der Begriff auf jene Tunnelbauweise, die durch Spritzbeton gesichert ist. Auf alle Fälle bleibt der Begriff international umstritten. Dimitrios Kolymbas schreibt allerdings das Wesentliche zum Begriff der Neuen österreichischen Tunnelbaus: „Unter NÖT im weiteren Sinn (bzw. österreichische Tunnelbau-Schule) kann man die weltweit anerkannte Erfahrung österreichischer Tunnelbau-Spezialisten verstehen. Ihre Grundphilosophie wurde von der stark wechselnden Geologie im Alpenraum geprägt und besteht darin, sich nicht so sehr auf Vorerkundungen zu verlassen, sondern flexibel zu sein und vor Ort Entscheidungen zum Vortrieb und zur Sicherung zu treffen“. Dazu hat im Wesentlichen Leopold Müller beigetragen.
Literatur:
[1] Otto zu Stolberg-Wernigerode (Hrsgb.): „Neue deutsche Biographie“, Duncker & Humblot, Berlin 1997
[2] Bernhard Maidl: „Tunnelbau im Sprengvortrieb“, SPringer Verlag, Heidelberg 1997
[3] Bernhard Maidl, Martin Herrenknecht, Ulrich Maidl, Gerhard Wehrmeyer: „Maschineller Tunnelbau im Schildvortrieb“, Wilhelm Ersnt & Sohn Verlag, Berlin 2011
[4] Dimitrios Kolymbas: „Geotechnik – Tunnelbau und Tunnelmechanik Eine systematische Einführung mit besonderer Berücksichtigung mechanischer Probleme“, Springer Verlag, Berlin Heidelberg 1998
[5] Karl-Eugen Kurrer: „Geschichte der Baustatik: Auf der Suche nach dem Gleichgewicht“, Ernst und Sohn Verlag, Hoboken 2015
Stichworte: Tunnelbau, Felsbau, Felsmechanik, Geotechnik, Geomechanik, Grundbau, Ingenieurgeologie, Baugrund, Baugrundrisiko