Brennerbasistunnel – und dann?

Während an der Tunnelröhre – mit Verzögerungen – fleißig gebaut wird, fehlen Rahmenbedingungen, Betriebsprogramme, Transparenz, innovative Ansätze bei Infrastrukturprojekten sowie eine gesamtheitliche Ausrichtung in der alpinen Verkehrsplanung.

Der Brennerbasistunnel ist zuletzt medial in den Fokus geraten. Wieder einmal steht eine Bauverzögerung zur Debatte, womit sich die Fertigstellung um Jahre verzögert. Abgesehen von der Problematik rund um den Bau des Tunnels ist es mehr denn je notwendig, die Frage aufzuwerfen, welche Verkehrsverlagerungen der Brennerbasistunnel bewirken kann und welche begleitenden baulichen sowie verkehrstechnischen Maßnahmen erforderlich sind, damit sich der Erfolg einstellt.

Grundsätzlich besteht in Bezug auf den Brennerbasistunnel nach wie vor das Manko, dass die baulichen Begleitmaßnahmen – im Spezifischen die Zulaufstrecken – zu wünschen übrig lassen. Insofern die Zulauftunnel nicht gleichzeitig mit der Hauptröhre fertiggestellt werden, ergeben sich gleich mehrere Flaschenhälse. Mit Blick auf die Zulaufstrecken, insbesondere im Süden, fehlt es an konkreten technisch-wirtschaftlichen Planungen. Aber auch im Norden spricht derzeit nichts für eine baldige Verkehrsverlagerung: „Brennerbasistunnel – Deutsche Bedenken bremsen Bauprojekt“ (Link).

Darüber hinaus stellt sich die Frage, inwiefern durch den Brennerbasistunnel eine Verkehrsverlagerung von der Straße auf die Schiene zu erwarten ist. Grundsätzlich wären dazu nicht nur konkrete Betriebsprogramme notwendig, sondern ebenso verkehrspolitische Weichenstellungen, die unabhängig von der Fertigstellung der Tunnelröhre zu betrachten sind und auch heute schon möglich wären. Wären. Wenn es derzeit ein Preisgefälle zwischen Straße und Schiene gibt, dann wird dieses Gefälle alleine durch die Erweiterung des Angebotes durch den Brennerbasistunnel nicht aus der Welt geschafft. Insbesondere dann nicht, wenn man sich die Zahlen rund um den alpinen Umwegverkehr vor Augen hält.

Transparenz, innovative Ansätze, Austausch und Dialog sind eher Mangelware im Infrastrukturbereich und sprechen eher für eine „old economy“. Dabei gäbe es heute im Rahmen der Digitalisierung unzählige Möglichkeiten, die Menschen bei derartigen Infrastrukturvorhaben mitzunehmen. Diese Möglichkeiten sind allerdings eher von innovativen Start-ups zu erwarten – und werden mit ihrem disruptiven Charakter früher oder später auch den Infrastrukturbereich überrumpeln.

Projekt Brennerbasistunnel – aus verkehrstechnischer Sicht

Der Bau des Brennerbasistunnels, der als Jahrhundertprojekt im europäischen Verkehrsbau gilt, verspricht die folgenden verkehrstechnischen Verbesserungen am Verkehrssystem:

  • Verkehrsverlagerung von der Straße auf die Schiene
  • Verbesserung der Erreichbarkeit im Personen- und Güterverkehr
  • Verkürzung der Strecke Innsbruck – Waidbruck um 21 Kilometer
  • Zeitersparnis im Personenverkehr von 75 Minuten zwischen Innsbruck und Waidbruck
  • Verdopplung der Kapazität im Güterverkehr von ca. 250 auf knapp 600 Zügen

Eine Verkehrswertprognose, also eine einfache, transparente und plausible Modellierung der erwartbaren Verkehrsflüsse, die im Rahmen der Diplomarbeit des Verfassers an der Technischen Universität Wien durchgeführt wurde, ergibt die im Folgenden dargestellten Szenarien.

Geht man im Güterverkehr von einer Verkehrsverteilung von 28% für die Schiene und 72% für die Straße aus, ergibt sich für die oben angeführten Projektparameter – nach Fertigstellung des Brennerbasistunnels – die folgenden Verteilung:

Eine Verdopplung der Straßenmaut würde hingegen bei Beibehaltung des derzeitigen Verkehrssystems und Erreichen der Kapazitätsgrenzen im Bestand (ohne Brennerbasistunnel) die folgende Verteilung bewirken:

Urteil – Ohne Rahmenbedingungen klappt es nicht

Die Analyse besagter Ergebnisse ist nicht als Kritik am Projekt Brennerbasistunnel zu verstehen, sondern als Notwendigkeit, die gesamten Einflussparameter zu analysieren und eine gesamtheitliche Verkehrsplanung und Verkehrspolitik anzupeilen. Wir leben in Zeiten, in denen die öffentliche Verschuldung sowie die Ökobilanz es nicht mehr zulassen, dass Maßnahmen unkoordiniert, kurzfristig, mit unzähligen persönlich-politischen Verstrickungen und ohne gestaltenden Ansatz mit zuverlässigen Prognosen und Rahmenbedingungen umgesetzt werden.

Der Brennerbasistunnel ist wesentlich, um eine Verkehrsverlagerung anzuregen, insbesondere dann, wenn der Verkehr über den Brenner weiter zunimmt. Die begleitenden Maßnahmen sind aber unabdingbar und diese sind nicht erst nach Fertigstellung des Gesamtprojektes anzuregen. Nicht zu unterschätzen sind die ökologischen sowie die hydro-geologischen Risiken, die mit dem Projekt zusammenhängen. Mehr als Zusagen kann sich die betroffene Bevölkerung allerdings auch kaum erwarten.

Zu den Rahmenbedingungen gehören Maßnahmen gegen den Umwegverkehr, verpflichtende Maßnahmen zur Verlagerung auf die Schiene – insofern die Angebotspolitik im Schienennetz nicht zu wirken scheint -, sowie Planungen am gesamten Verkehrssystem. Die Sorgen der Bevölkerung sind definitiv nicht wegzuwischen. Die betroffene Bevölkerung ist endlich aktiv in den Gestaltungsprozess einzugliedern. Gerade in Zeiten sozialer Medien, Fridays-for-future-Demonstrationen sowie einer wachsameren Zivilbevölkerung sind öffentliche Meinungen als Gewinn und nicht als Last im System zu erahnen. Der Politikwissenschaftler Paul Decarli unterstreicht diesen Ansatz, dass die Bevölkerung bei Infrastrukturvorhaben nicht Last ist, sondern Gewinn, Ideengeber und Kapital. Ein Ansatz, der heute unter geht.

In Zeiten wesentlicher Innovationen, die durch Start-ups und durch das Silicon Valley ausgehen und die den Menschen endlich wieder das Gefühl geben, an wesentlichen Entscheidungen aktiv teilzuhaben, sind Bewusstseinswandel – auch und vor allem in der Infrastrukturpolitik – notwendig, zielführend und zeitgemäß. Man darf gespannt sein.

Weiterführende Literatur:

[1] Michael Demanega: „Das Verkehrswertmodell als Grundlage für eine intelligente und transparente Verkehrsplanung am Beispiel Südtirols“, Technische Universität Wien 2017 (Link)

Michael Demanega | Bauingenieur Südtirol

Stichworte: Verkehrsplanung in Südtirol, Verkehrsplaner in Südtirol, innovative Verkehrsplanung, Integrale Mobilität, Mobilitätskonzepte, Verkehrsgutachten, Güterverkehr, Logistik 4.0

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