Lange Zeit hinweg hatten Bahnhöfe die Funktion, Portale zur Welt darzustellen. Repräsentativ gestaltete Eingangshallen sollten einerseits für die Stadt den Eintritt in die Welt der Mobilität symbolisieren und andererseits den Ankommenden den Eintritt in die Stadt signalisieren. Entsprechend aufwändig gestaltet sich die Architektur althergebrachter Bahnhofshallen. Charakteristisch kann heute noch der Wiener Westbahnhof für dieses Prinzip gelten. Als Kopfbahnhof ausgeführt, verspricht die eindrucksvolle Halle mit faszinierender Spannweite, Höhe sowie Lichtdurchflutung ein Erlebnis für den Reisenden.
Oder aber der Hauptbahnhof Stuttgart, der vom Architekten Paul Bonatz gestaltet wurde. Dazu meint der Star-Architekt Peter Zumthor heute: „Der Stuttgarter Bahnhof hat mir immer gefallen. Sein Architekt war vielleicht etwas konservativ. Aber er war ein guter Architekt.“
Diese Zeiten sind heute vorbei. Moderne städtische Bahnhöfe sind heute keine wirklichen Verkehrsinfrastrukturprojekte mehr. Sie sind es zwar, jedoch eher nebensächlich. Primäre Funktion scheint es zu sein, ein „Shopping“-Erlebnis und ein Kaufhaus zu errichten, das Einnahmen generiert. Die eigentliche Verkehrsinfrastruktur ist dann nur noch Nebensache und halt auch noch da. Am besten unterirdisch und dort, wo die Verkehrsinfrastruktur das Shopping-Erlebnis nicht stört. Diese Zugangsweise und Haltung ist denkbar schlecht. Damit nimmt man sich selbst die Bedeutung, die man eigentlich beanspruchen will. Und man entzieht der Verkehrs- und Mobilitätswende den Boden.
Ähnlich verwahrlost sind manche kleinere Bahnhöfe gestaltet. Negativbeispiel ist der Bahnhof Bozen, der in seiner jetzigen Form allen Grundsätzen einer modernen Infrastrukturplanung widerspricht. Weder der Zugang zu den Gleisen, noch die Wartebereicehe, noch die Fußgänger-Zu- und Abgänge, schon gar nicht der Fahrradverkehr, öffentliche Verkehr oder PKW-Verkehr sind sinnvoll angeschlossen. Entsprechend verwahrlost sind Gesamtbild und Umgebung. Bedenkt man dann auch noch, dass seit 40 Jahren nichts passiert, alle Ausreden sich auf den Sanktnimmerleinstag beziehen, inzwischen aber Kommissionen und „Expertenrunden“ tagen, erhält man den Eindruck, dass der öffentliche, schienengebundene Verkehr ohnehin nur ein Stiefmütterchen-Dasein fristet.
Viele kleine „Bahnhöfe“ scheinen auch nur noch die „eventuelle Möglichkeit“ zum Halt zu signalisieren und darüber hinaus – maximal – den Reisenden einen Unterschlupf bei Regen und Wind zu geben. Am „wirtschaftlichsten“ wären ohnehin nur noch irgendwelche Container-Lösungen oder Flugdächer, bestenfalls standardisiert und in Serienproduktion angefertigt, ähnlich lieblos und abweisend wie so vieles in unserer „modernen“ Welt. Und vor allem: Ein Fall für den Abriss nach 10, 20, 30 Jahren. Eine bewusste Gestaltung, bei welcher die Funktion und die Identität des Ortes hervorgehoben werden, scheint unerwünscht zu sein.
Und wo es nicht mehr gelingt, auf den spezifischen Ort zu verweisen, gelingt es kaum, in Sachen Lenkung der Verkehrsflüsse gestaltend zu wirken. Grundsätzlich sollten Bahnhöfe Mobilitäts-Drehscheiben darstellen und besonders in Zeiten des multimodalen Angebotes den Umstieg von einem Verkehrsträger auf den nächsten angenehm, effizient und ästhetisch wirksam ermöglichen, dabei vielfältige Mobilitäsangebote und Dienstleistungen bieten. Grundsätzlich. Worauf es dabei wirklich ankommt, lässt sich feststellen, wenn die wesentlichen Parameter, die eine Verkehrsmittelwahl beeinflussen, analysiert werden: Kosten, Zeiten, Umsteigezeiten, Taktzeiten, Umfeldgestaltung, Information, Kultur. Mehr dazu: Hier.
Mit der mangelnden ästhetischen Gestaltung geht eine mangelnde mobile Gestaltung der Verkehrsflüsse einher. Und vielleicht ist es wahrlich die autoorientierte Gesellschaft, von der Hermann Knoflacher spricht, die selbst die Betreiber des öffentlichen Verkehrs dazu animiert, Bahnhöfe so zu gestalten, dass man diese eher übersieht oder übersehen will.
Die Bundesstiftung Baukultur bemängelt diese Haltung zurecht. Der Vorsitzende Reiner Nagel stellt in seinem Rundbrief im März 2021 fest: „Bahnhöfe sind Visitenkarten für Städte und Gemeinden und für die Baukultur. Sie waren Kathedralen des Fortschritts in großen Städten, Meilensteine der Stadtentwicklung und selbstbewusste Statements kleinerer Orte, für die Verbundenheit mit der Welt. Heute können sie baulich häufig keinen glaubhaften Beitrag mehr zur Mobilitätswende leisten, oder als öffentliche Räume positiv wirken (…) Die Bundesstiftung sieht in der Aufwertung von Bahnhöfen einen Ansatz für eine gelingende Verkehrswende und eine Renaissance kommunaler Baukultur.“
Für viele Menschen da draußen ist ein Bahnhof nicht ein „überflüssiges“ Zweckgebäude, sondern ihr Zugang zur Welt und das Aushängeschild des Ortes. Neben dem Dorfplatz, der Dorfeinfahrt, dem Gemeindegebäude und den Kult-Bauten reiht sich der Bahnhof in die charakteristischen Orientierungspunkte eines Ortes ein und ist für die Entwicklung des Ortes die Hauptsache und nicht eine Nebensache.
Im Bild: U-Bahn-Bahnhof Hafencity, Hamburg / Architektur: gmp Architekten von Gerkan, Marg und Partner / Tragwerksplanung + Statik: sbp schlaich bergermann partner
Weiterführende Literatur:
Michael Demanega: „Das Verkehrswertmodell als Grundlage für eine intelligente und transparente Verkehrsplanung am Beispiel Südtirols“, Technische Universität Wien 2017 (Link)