Törggelen in Südtirol: Von traditioneller Baukultur und vom Leben im Jahreskreis

Wenn der Herbst hereinbricht – es sich aber noch nach Spätsommer anfühlt -, das Laub sich verfärbt, der Himmel endlich blauer und alle Farben klarer werden, die Ernte in Teilen bereits abgeschlossen ist, der frische Wein bereits gepresst und im Keller eingelagert ist und die ersten Kastanien geerntet werden, schickt es sich in Südtirol, zum so genannten „Törggelen“ zu laden. Der Begriff „Törggelen“ kommt von der „Torggl“, der Weinpresse. Dazu gereicht werden Herbstgerichte, nämlich frisch geschlachtetes Fleisch, Gerstsuppe, Knödel und Sauerkraut. Das Braten der Kastanien auf offenem Feuer schließt immer auch die Elementarkraft Feuer mit ein, die besonders dann, wenn es kälter wird, eine außergewöhnliche Faszination auf uns ausübt.

Das Südtiroler Törggelen ist längst eine Tourismus-Attraktion und ein fixer Bestandteil des gastronomischen Jahres in Südtirol. Der Star-Immobilien-Investor René Benko hat das Törggelen sogar nach Wien exportiert und lädt alles, was in der Welt der Politik und Wirtschaft Rang und Namen hat, zu dieser Südtiroler Tradition ein. Wer nicht eingeladen wird, gehört nicht dazu.

Abseits davon zieht das Südtiroler Törggelen Gäste aus Nah und Fern an und verdeutlicht ihnen die Schönheit gewachsener Bauernhöfe in beeindruckender Kulisse, wo sich Weinbau und Hochgebirge auf engstem Raum treffen. In einer althergebrachten, holzgetäfelte Stube mit Kachelofen, unter reich verzierten Ornamenten sowie in alten Gemäuern mit beeindruckenden Gewölben und einem Holzbau aus alter Zeit färbt die Magie, die nur in antiker Bausubstanz entstehen kann, auf die Gäste über und vereint uns für diese paar Stunden mit jener Welt, die war, bevor sie „modern“ wurde und die sich im Einklang mit den Jahreszeiten und dem Lauf der Natur vollzog. Wir fühlen uns aufgehoben in der Zeit und treten kurz aus aus der hektischen Welt, wie sie sich uns heute darstellt, heraus. Für kurze Zeit offenbart sich uns die Welt, wie sie vermeintlich sein sollte. Oder auch nicht. Das liegt im Auge des Betrachters.

Die Magie geht – neben der Baukultur – von der Kastanie und vom Wein aus. Die Kastanie war bereits – wie der Wein – zu vorrömischer Zeit in Tirol mehr oder weniger verbreitet, die Römer kultivierten den Anbau der Kastanie und des Weins. Die Bajuwaren bezogen Wein und Kastanien aus dem südlichen Tirol, ebenso trugen die Langobarden zur Verbreitung bei. Karl der Große regte mit der Landgüterverordnung „Capitulare de villis“ unter anderem auch Kastanienbäume rund um die Bauernhöfe an. Und die bayrischen Bistümer bezogen Kastanien und Wein aus intensivem Anbau aus diesen mediterran geprägten Tiroler Gegenden [1]. Die Symbiose von Kastanie und Weinrebe vollzieht sich im südlichen Tirol letztlich mit de Kulturform der „Pergel“, für die das Kastanienholz verwendet wurde.

Eine persönliche Einschätzung: Jene Bauernhöfe, die im südlichen Tirol auf steilen Hängen, in Vereinigung von Weinbau und Kastanienhain entstanden sind, die gemauerte Bausubstanz mit dem Holzbau vereinen, und wie wir sie südlich von Meran und Brixen, aber nicht nur, finden – und die den Überetscher Stil beeinflussen -, üben auch heute noch die größte Faszination aus, weil die Fruchtbarkeit und Reichhaltigkeit einer Landschaft in der vielfältigen Landwirtschaft zum Ausdruck kommen. Eine Zeit lang die Fülle des Lebens genießen – bis der Winter herein bricht und sich das Leben von einer anderen, einer kargeren Seite zeigt, die es zu überstehen gilt – das ist es, was das Törggelen ausmacht.

Literatur:

[1] Siegfried de Rachewitz: „Kastanien in Tirol“, Arunda 33, Schlanders 1992

Abbildung: Pixabay

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