Projekte gibt es viele. Wohnprojekte. Büroprojekte. Gastronomische Projekte. Und noch viele mehr. Eine Facette des Bauens und Planens ist das Schaffen von Orten, die dem Genuss und der Entspannung dienen – und sei es nur für die eine Stunde in der Mittagspause.
Die Suche nach dem „perfekten“ Ort
Südtirol kann – aufgrund seiner geographischen und kulturellen Lage – eine Spitzengastronomie der Extraklasse bieten. Darüber hinaus stellt sich einmal mehr die Frage, wie besondere Orte, herausragende Kulinarik und die viel zitierte „Erreichbarkeit“ miteinander verbunden sind.
Dass ein Reifenhersteller, namentlich Michelin, einen Reiseführer herausgibt, liegt irgendwo auf der Hand. Dass es sich beim „Guide Michelin“ in der Folge um den wichtigsten Reiseführer in Gastronomiefragen handelt, ist vielleicht ein französisches Spezifikum.
„Seinen Ruf als wichtigster Gastronomieführer der Welt verdankt der Guide Michelin nicht zuletzt dem Prinzip, sich niemals zu erklären. Als Zutaten für den Erfolg reichten jahrzehntelang einige allgemein gehaltene Kriterien (Qualität, Beständigkeit, Kreativität) und feste anonyme Testesser („Inspektoren“), über die vor allem Gerüchte kursierten“ schreibt die Süddeutsche Zeitung.
Michelin kategorisiert die Sterne nach verkehrstechnischen Gesichtspunkten und beantwortet die Frage: Welchen Umweg lohnt es sich für eine kulinarische Gelegenheit zu fahren? Dabei handelt es sich grundsätzlich um eine Fragestellung, die – so banal diese auf den ersten Blick auch klingen mag – die Essenz der Verkehrsökonomie und der Standorttheorie aufwirft [1]. Aus Sicht der Verkehrswissenschaften stellt sich die Frage dann auch umgekehrt: Welches Verkehrssystem bedingt welchen Verkehr?
- ein Stern – „einen Stopp wert!“
- zwei Sterne – „einen Umweg wert!“
- drei Sterne – „eine Reise wert!“
Mobilität entsteht immer aus einem Bedürfnis oder aus einem Mangel heraus: Was ich vor Ort nicht erfüllen kann, suche ich irgendwo anders [2]. Der Rest ist einerseits eine Frage von Angebot und Nachfrage und andererseits eine Frage der Widerstände, um zum gewünschten Ziel zu kommen. Wenn ich für eine gewünschte Destination 5 Stunden im Stau stehe, muss mir diese Destination diese Nachteile wert sein. Wenn die Destination zwar verlockend ist, allerdings der Mobilitäts-Aufwand nicht in Kauf genommen werden will, entsteht ein Standortnachteil.
Interessant ist die Frage, welche Widerstände wir – als Kollektiv – konkret in Kauf nehmen wollen. Und wie verlockend die Angebote sind. Daraus ist eine komplexe Standorttheorie zu entwickeln. Freilich mit der einschränkenden Gegebenheit, dass zu viel Verkehr und Verkehrsinfrastruktur jede Destination zerstört.
Boden und Nahrung: Eine intime Beziehung
Nicht nur beim Wein, für den der Begriff „Terroir“ charakteristisch ist, sondern besonders bei Lebensmitteln ist der Boden das Essentielle. Als Konsument will ich vor allem eines: Die Produkte einer Landschaft in ihrer höchsten Form erleben. Zu dieser Form trägt einerseits die Natur bei. Dann die Kultur als landwirtschaftliche Kultur und sodann als Kultur der Zubereitung in Form der Kulinarik.
Es geht dann immer auch um eine Einzigartigkeit: Eine Speise, die nur in einem bestimmten Ort, zu einer bestimmten Zeit und dann auch noch begrenzt zur Verfügung steht. Der Erlös der Jagd oder des erfahrenen Sammelns. Letztlich das Produkt der hingebungsvollen Kulinarik und Kultiviertheit.
„Essen und Raum stehen in vielfältiger Weise in Beziehung zueinander. Sämtlichen Stationen eines Lebensmittels – von der (agrarischen) Produktion über die Verarbeitung, den Transport, die Vermarktung bis hin zum Konsum – sind jeweils spezifische Raumdimensionen und – Relevanzen eigen“ schreibt Christoph Kirchengast [3].

Mary Francis Kennedy Fisher, die eines der schönsten Bücher über das Essen geschrieben hat, interpretiert in das Essen eine tieferreichende Ebene des Daseins, wenn sie schreibt: „Wenn ich über den Hunger schreibe, schreibe ich eigentlich über die Liebe und den Hunger nach Liebe, über die Wärme und den Hunger nach Wärme … die Wärme, Reichhaltigkeit und pure Wahrheit des Hungers … es ist alles eins“. Und weiter: „Ich bin überzeugt, dass Essen in den meisten Fällen auch Nahrung fürs Herz ist, um den ungezügelten, nachdrücklicheren Hunger zu stillen … Wenn das Brot gebrochen und der Wein getrunken wird, ist das mehr als die Vereinigung unserer Körper“ [4].
Es steht außer Zweifel, dass die bewohnten Räume folglich nicht nur physische, sondern vor allem auch emotionale Nahrung versprechen.
„Wenn die Zeit zwangsläufig vergeht, so wie auch die Menschen sterben müssen, dann sollte sie mit gutem Essen und guten Gesprächen ausgefüllt und mit dem Parfüm der Geselligkeit einbalsamiert werden. Lasst uns den Abend in Muße totschlagen, mit angenehmen Unterhaltungen und mit einem einfachen wie auch aufwendigen Essen, in einem Raum mit weichem Licht, das vom lebendigen Feuer aus Wachs, Öl oder Holz oder vom Licht einer kunstvoll verschleierten Glühbirne stammt“ schreibt Fisher.
Für das Essen gilt das, was grundsätzlich auch für alles Äußerliche gilt, das mehr ist als Oberflächlichkeit, sondern ein innerer Ausdruck und ein Anspruch nach Schönheit, der immer wieder neu begeistert. Das Auge isst effektiv mit. Das – und nichts anderes – ist Ästhetik. Mehr ein inneres Auge, das eine innere Welt eröffnet, sobald wir etwas „Schönes“ entdecken. Fisher weiter: „Vielleicht spüren zu wenige von uns, dass das Brechen von Brot, das Teilen von Salz, das gemeinsame Löffeln aus einer Schüssel mehr ist als die bloße Befriedigung eines Bedürfnisses. Wenn man diese ursprünglichen Dinge so beiläufig verrichtet, vergisst man ihr Geheimnis und ihre Kraft. Auch wenn wir uns von den Ur-Regeln des Lebens entfernt haben, sollten die mit anderen eingenommenen Mahlzeiten ein schöner und vertrauensvoller Akt sein und nicht bloß die Erfüllung gesellschaftlicher Verpflichtungen“. Es sind die schönen Stunden in der Familie, das gemeinsame Essen, die immer einen ganz besonderen Platz in unserem Herzen einnehmen.
Die Frage nach der Struktur: Unvergleichbarkeit schaffen!
Strukturen sind die spezielle Konstellation von Materie, Form und Atmosphäre im Raum. Die Form stellt einen Bezug her. Zu einer immateriellen Welt. Zur Geschichte. Oder zu einer besonderen kulturellen oder natürlichen Ausformung. Geht es darum, einen Bezug zur „Mutter Natur“ (Terra mater) und zum Boden herzustellen, kommt man kaum um eine Einbeziehung des Naturraumes sowie der natürlichen Ressourcen herum. Genius Loci symbolisiert dieses Konzept.

Das Wesentliche ist die nicht-materielle Ebene: Welche kulturellen und natürlichen Verweise, welche Emotionen, welche Erinnerungen, welches Gefühl von Wohlbefinden und Aufgehoben-Sein in Raum und Zeit kann eine gebaute Struktur verwirklichen und erfahrbar machen?
Und andersherum gefragt: Welches Gefühl von Zerstreutheit, Unruhe, Abweichung von Idee und Wirklichkeit und Missgefallen können Strukturen hervorlösen, in denen die Balance zwischen Nutzer und Materie nicht gelingt, bewirken?
Das Wesentliche ist die Verortung in der Geschichte sowie die Fähigkeit zu Geschichten. Das sind dann immer auch Geschichten, die mit uns als Nutzer sowie mit unserem innersten Wesen zusammenhängen. Wichtig ist aber auch ein Gefühl der Aufgehobenheit in der Zeit, wozu es wichtig ist, dass uns etwas vorausgeht und größer ist als wir selbst, wie die Natur. Das ist dann die Ebene der Rückgebundenheit in die Natürlichkeit, wie sie gerade im Essen zu Tage kommt.
Man kann natürlich viel von „Tradition“ philosophieren (und Kitsch meinen) und dabei einen vermeintlichen Kontrast zur Moderne herstellen. Man kann andererseits natürlich auch von der internationalen „Moderne“ träumen – und außer Acht lassen, dass das Moderne vielfach in wenigen Jahren unzeitgemäß, abbruchreif und kaum noch ansprechend ist. Wesentlich ist : Wer die Tradition nicht versteht – und dazu gehören im spezifischen Fall Gewölbe, Fach- und Bundwerke oder Dachstrukturen, der schafft eine Kulisse und nichts Echtes. Nur das Echte kann uns berühren, während das Inszenierte von sehr kurzer Freude ist. Wesentlich ist: Dieses Echte zeitgemäß und zeitlos weiterentwickeln. Die Meisterleistung.
Der österreichische Sternekoch Max Stiegl hat recht wenn er sagt: „Der neue Luxus ist nicht das Teure, sondern das Rare“. Dazu gehört etwa Wildbret als gesundes Lebensmittel aus der Natur, eine Renaissance der Tradition in der Küche, sowie eine vollständige Verwertung von Lebensmitteln. Wenn das Essen mit dem Territorium verschmilzt, entstehen geistige und kulinarische Höhepunkte.
Der Zauber entsteht aus einer Vielzahl an Eindrücken: Der perfekte Ort. Die atemberaubende Landschaft. Eine bauliche Struktur, die Emotionen hervorlöst, Erinnerungen weckt und hinterlässt. Das perfekte Essen. Die perfekte Weinbegleitung. Der Service mit Bedacht und Anspruch. Die perfekte Begleitung. Aber das ist ein anderes Thema.
Anmerkung: „Karte und Gebiet“ ist der Titel eines Romans des französischen Skandalsutors Michael Houellebecq, in dem der „Guide Michelin“ eine zentrale Rolle spielt.
Literatur:
[1] Werner Schnabel & Dieter Lohse: „Grundlagen der Straßenverkehrstechnik und der Verkehrsplanung: Band 2 Verkehrsplanung“, Beuth Verlag, Berlin 2011
[2] Michael Demanega: „Das Verkehrswertmodell als Grundlage für eine intelligente und transparente Verkehrsplanung am Beispiel Südtirols“, Technische Universität Wien, Wien 2017 (Link)
[3] Mary Frances Kennedy Fisher: „Die Kunst des Essens – Anleitung zum Genuss“, ebersbach & simon, Berlin 2018
[4] Christoph Kirchengast: „Wenn Essen auf Erbe trifft … Zum Wechselspiel von Essen, Kulturerbe & Raum“ in „Zweites Internationales DoktorandInnenkolleg – Nachhaltige Raumentwicklung 2008“, Universität Innsbruck, Innsbruck 2009
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