Das komfortable Leben in der wilden, schroffem Natur übt eine besondere Faszination auf uns aus, ist dieser gegensätzliche Widerspruch ja nur durch höchsten technischen Aufwand zu verwirklichen. Das Unmögliche möglich machen – nachhaltig ist das vielleicht nicht, aber wann ist das bürgerliche Leben schon nachhaltig.
Heute ist diese wilde Natur mit modernem Komfort ganz im Sinne der unreflektierten Instagram-Kultur: Das atemberaubende Bild im Pool in der „Wildnis“. Es zählt nur die Inszenierung dieses einen Bildes. Und durch die digitale Vergleichbarkeit muss es immer außerordentlicher werden. Was heute Instagram-Bilder sind, waren früher eben die Postkarten.
Berghotels und mondäne Grand Hotels, man mag an Thomas Manns „Zauberberg“ denken. Oder an Friedrich Nietzsches Kuraufenthalte. Diese Epoche ist nicht ohne die Reformbewegung nachvollziehbar, die das „gesunde“ und echte Leben als Gegenentwurf zur Industrialisierung anstrebte. Die Verbindung des Hotels mit der Kuranstalt war wesentlich.
Eine wichtige Rolle spielten – wie heute – die Massenmedien und die Bildbotschaften, die das entsprechende, atemberaubende Angebot erst verbreiteten und eine Nachfrage entstehen ließen [1].
In der „Gründerzeit“ zu Beginn des 20. Jahrhunderts, in der sich Baugewerbe, liberal gesinntes Unternehmertum und Tourismus mit ihren gemeinsamen Interessen trafen, erkannten die Pioniere des Fremdenverkehrs die Gelegenheiten, die quasi vor der Türe in der alpinen Bergwelt lagen. Die Landschaft war das Kapital. Nicht mehr als Landwirtschaft, sondern als „hübsche“ Kulisse, die nicht zu sehr in das moderne Leben eingreifen sollte. Die Reformbewegung „löste“ die erkannten Probleme durch neue Probleme.
Der Konkurrenzdruck der anderweitigen alpinen Destinationen war groß und die „bessere“ Gesellschaft im südlichen Tirol fand kaum ein Haus vor, das mit den Schweizer Hotels und dem entsprechenden Komfort mithalten konnte. Zu Ende des 19. Jahrhunderts war das britische Großreich die Weltmacht, welche die Meere beherrschte, weltweiten Handel trieb und überall Kolonien unterhielt. Es waren folglich die Briten, die die Schweizer Alpen „kolonialisierten“ und mit ihrer Finanzmacht wesentliche Hotelbauten finanzierten. Großbritannien wirkte als Vorbild für die gesamte bürgerliche Gesellschaft. Adel und aufstrebendes Bürgertum kultivierten Präferenzen, die man nur am Ästhetik-Begriff jener Zeit verständlich machen kann.
Die Pioniere im Tourismus jener Zeit stehen für eine Epoche, in der die urbane Vornehmheit im Sinne der Belle Époque ihren Einzug in die Tiroler Berge nahm. Eine Zeit, die uns heute vielleicht nostalgisch werden lässt, uns aber auch in Erinnerung ruft, welcher unternehmerische und technische Einsatz notwendig waren, um diese wilden und kargen Alpen für den modernen Fremdenverkehr und den modernen Komfort zugänglich zu machen.
Viele dieser Hotelentwürfe waren Serienentwürfe ohne viel „Aufwand“ (was sich so leicht sagt), wenngleich diese Bauwerke ästhetisch bis heute hin einen Anspruch verkörpern, den kaum ein heutiger Neubau erreichen kann. Von da her ist heutige Kritik verfehlt und deplatziert. „Besseres“, das sich über die Zeit – mehr als hundert Jahre – bewährt, muss erst einmal geschaffen werden. Die Baukultur der Berghotels selbst ist durchwegs in die Historismus-Debatte einzuordnen.
Das Berghotel gilt im Sinne von technischer Innovation, Rationalisierung, Standardisierung und Systematisierung als Vorbote der Moderne und des Massentourismus [1].
Die Erreichbarkeit war um die Jahrhunderwende um 1900 wichtiger als heute. Die Eisenbahn war der Motor des Tourismus. Erst allmählich waren Personenkraftfahrzeuge verfügbar. Der Bau der Bergstraßen und der Bau der Berghotels gingen dabei Hand in Hand und bedingten sich gegenseitig. Der Bau der Straßen war wie der Bau der Großglockner-Straße eine ästhetische Angelegenheit, bei der ein „Erlebnis“ in den Fels gebaut wurde.
Die Landschaft, Markierungen in der Landschaft und das Hotel sollten architektonisch zur Einheit gebracht werden. Selbstverständlich mit Kitsch und der Erwartungshaltung des Bürgertums. Lokale und regionale ästhetische Elemente wie der Holzbaustil waren wesentlich zur Erfüllung des gestalterischen Anspruchs. Der Komfort umfasste fließendes Wasser und Heizung, gastronomisches Programm, Unterhaltung und Service.
Bautechnisch war der Bau in exponierter Lage alles andere als anspruchslos. Die exponierte Lage machte sowohl den Antransport der Baumaterialiek als auch die Jahreszeiten zur Herausforderung. Die Gestaltung war nämlich nicht wirklich einfach: Der Bau musste sich finanziell „auszahlen“ und entsprechend großzügig ausfallen, um die Fixkosten zu senken. Große Prunkhallen und Säle mussten erst einmal konstruktiv verwirklicht werden. Die exponierte Lage beschränkte das Bauen auf wenige Monate.
In Südtirol waren es die Hotels und Paläste in Trafoi, am Karerpass, in Toblach, an der Fleimstalerbahn im Unterland, bei denen Verkehrswegebau und Hotelbau zusammen spielten und ein Angebot erzeugten, das auch heute noch glänzt.
Mit der einen oder anderen Sanierung könnte auch heute eine Extravaganz wiederhergestellt werden, die kein Neubau erreicht. Von der echten Nachhaltigkeit ganz zu schweigen. Der Altbau ist die Zukunft.
In Zeiten, in denen „Storytelling“ bedeutet, dass man dem Gast irgendeine Geschichte auftischt, besticht das Historische, weil die Geschichte bereits authentisch zur Verfügung steht und der erfundenen „Story“ den Rang abläuft. Zu Recht.
Literatur:
[1] Bettina Schlorhaufer: „Berghotels 1890 – 1930: Südtirol Nordtirol Trentino“, Birkhäuser Verlag, Basel 2021
[2] Nils Aschenbeck: „Reformarchitektur: Die Konstituierung der Ästhetik der Moderne“, Birkhäuser Verlag, Basel 2016
[3] Hans Heiss: „Grand Hotel Toblach – Pionier des Tourismus in den Alpen“, Folio Verlag, Wien – Bozen 1999