Theodor Christomannos mag für die meisten höchstens in Bezug auf den Bronzeadler ein Begriff sein, der kühn die Felsen am Karerpass überblickt und immerhin 2,70 Meter hoch ist und 350 Kilogramm schwer. Für die meisten mag das eine Touristenattraktion sein, so wie es heute offenbar der Glaspalast in der unberührten Natur sein muss. Es gibt aber auch einen tiefgründigeren Zugang zu den Dingen, zu den Menschen und zur Geschichte. Wer sich auf diese Tiefe einlässt, erlebt eine wahre Bewusstseinserweiterung.
Theodor Christomannos entstammte einer griechischen Kaufmannsfamilie in Wien. Bereits in seiner Jugend sollte es ihn ans Bozner Franziskanergymnasium verschlagen. Christomannos studierte fortan Rechtswissenschaften in Innsbruck. Dort wurde er Mitglied im Corps Gothia Innsbruck – der markante Schmiss an der linken Wange kennzeichnet alle seine Abbildungen. In Meran ließ sich Christomannos als Richter und Anwalt nieder – und erbte ein beachtliches Familienvermögen. Die eigentliche Triebfeder im Leben von Theodor Christomannos sollte der Alpinismus sowie die Erschließung der Alpen für den Fremdenverkehr werden.
Zeitlebens war Christomannos eine schillernde Persönlichkeit und ein Haudegen. Man könnte zu Recht von einem „Dandy“ sprechen. Die „bessere“ Gesellschaft und ihren Habitus kannte Christomannos aus Wien. Als Bergsteiger wagte er riskante und waghalsige Bergtouren und wurde Vorstand des Deutschen und Österreichischen Alpenvereins in Meran. Um diese Bergtouren entstehen Mythen unglaublicher alpinistischer Leistungen und Übertreibungen. Freilich, Christomannos mag Talent in Selbstinszenierung gehabt haben. Nicht umsonst widmete Arthur Schnitzler dem Tourismuspionier das Werk „Das weite Land“. Politisch engagierte sich Christomannos in der Deutschfreiheitlichen Partei, für die er ab 1905 im Tiroler Landtag saß. Dort wusste er sein politisches Engagement geschickt in den Dienst der touristischen Erschließung der Alpenpässe zu stellen und sich für Verkehrslösungen ins Zeug zu legen und zu vernetzen.

In dieser „Gründerzeit“ zu Beginn des 20. Jahrhunderts, in der sich Baugewerbe, liberal gesinntes Unternehmertum und Tourismus mit ihren gemeinsamen Interessen trafen, erkannte Christomannos die Gelegenheiten, die quasi vor der Türe in der Tiroler Bergwelt lagen. Der Historiker Hans Heiss schreibt in einer Biographie, dass der Konkurrenzdruck der anderweitigen alpinen Destinationen groß war und die „bessere“ Gesellschaft im südlichen Tirol kaum ein Haus vorfand, das mit den Schweizer Hotels und dem entsprechenden Komfort mithalten konnte. Adel und aufstrebendes Bürgertum hatten Präeferenzen, die man nur am Ästhetik-Begriff jener Zeit verständlich machen kann.
Den Beginn machte der Bau der Straße nach Sulden, für welche Christomannos tatkräftig werben sollte. Aus diesem Erfolg resultiert die Gründung des „Verein für Alpenhotels“ im Jahre 1895. Das Ziel: Die „Erschließung der Hochtäler Tirols für das reisende Publikum, insbesondere durch Erbauung und Führung komfortabler Hotels, Erhaltung von Gebirgsstraßen, Förderung, eventuell Beteiligung an Eisenbahnunternehmen und sonstigen den Fremdenverkehr in Tirol fördernden Anstalten“ [1]. Die Macht der Bilder in der touristischen Werbekommunikation erkannte Christomannos bereits damals. Folglich mussten die baulichen Entwürfe kühn sein in kühner alpinen Kulisse.
Man muss die baulichen und verkehrstechnischen Aktivitäten in den größeren Kontext stellen, der sich aus verkehrswissenschaftlicher Sicht ergibt [2]. Ab 1864 wurde mit dem Bau der Brennerbahn begonnen, was eine wahrliche Revolution bedeutete, reduzierte sich die Verkehrszeit von Innsbruck nach Bozen von etwa 15 Stunden mit dem Pferdepostwagen auf nur 6 Stunden mit dem Eilzug. 1869 erfolgte hingegen der Bau der Pustertalbahn und um 1880 der Bau der Arlbergbahn, sodass Tirol an das internationale Bahnsystem angeschlossen war. Daneben entstand eine Vielzahl an Nebenbahnen in die Seitentäler. Man muss in diesem Zusammenhang den Namen Alois von Negrelli nennen. Der Bauingenieur Negrelli leistete Herausragendes, um die zentralen Alpen mit der Eisenbahn zu erschließen. Im Großen entstand folglich ein Verkehrsnetz, das die kleinteilige touristische Erschließung der Alpen erst möglich machte,
Gemeinsam mit dem Architekten Otto Schmid sollte Theodor Christomannos nun bedeutende Grand Hotels erbauen. das Sulden-Hotel wurde 1893 eröffnet. Das Hotel Trafoi 1896. Das Hotel Karersee ebenso 1896. Diese Grandhotels waren nur in Zusammenhang mit der Verkehrspolitik nachvollziehbar: „Seine verkehrspolitischen Ziele waren die Vinschgaubahn und die Dolomitenstraße, um die er in politischen Mandaten, mit seinem Ansehen und seiner Vermittlungskunst bis an sein Lebensende kämpfte. Während die Dolomitenstraße Bozen – Cortina 1901 bis 1909 in drei Abschnitten verwirklicht wurde, blieb die Vinschgaubahn mit der 1906 eröffneten Linie Meran – Mals ein Torso, die seine Vorstellungen von einer Verbindung ins Engadin noch nicht erfüllte“ schreibt Hans Heiss [1].
Durch die kühnen Straßenbauprojekte im alpinen Gelände avancierte Theodor Christomannos zum „wahren Vater des Unternehmens Dolomiten“ [3].
Und jetzt kommt das entscheidende Moment des Ästheten Christomannos hinzu. Hans Heiss schreibt dazu: „Der Tiroler Grieche wünschte eine Verbindung von Ökonomie, Ästhetik und sozialer Programmatik zu einem Gesamtkunstwerk“ – ein anspruchsvolles Vorhaben, das seine Zeitgenossen aber inspirierte und mitriss“. Vielleicht ist das auch das entscheidende Moment bei all den schillernden und herausragenden Persönlichkeiten, die nicht nur auf reine Nützlichkeit achten, sondern ihr Leben so ausrichten, damit sie etwas ästhetisch Wertvolles hinterlassen. Der kolumbianische Philosoph Nicolás Gómez Dávila bringt es auf den Punkt, wenn er schreibt: „Wenn wir wollen, dass etwas Bestand hat, sorgen wir für Schönheit, nicht für Effizienz“. Vielleicht fehlt uns diese Größe in unserer oberflächlichen und austauschbaren Welt heute zunehmend.
Eine letzte Frage, die sich im Gesamtbild Theodor Christomannos ergibt, ist die Frage nach der Ästhetik seiner Bauwerke. Meines Erachtens urteilt Hans Heiss bei der baukulturellen Einordnung der Bauwerke, die das Gespann Theodor Christomannos und Otto Schmid verwirklicht haben, nicht detailliert genug. Einzuordnen ist das Bauen in den Historismus, der das Bauen ab der Mitte des 19. Jahrhunderts kennzeichnet und auch als „Gründerzeitstil“ oder als „Ringstraßenarchitektur“ literarisch vernommen wird. Der Historismus äußerte sich grundsätzlich in den Stilen Neogotik, Neobarock oder Neorenaissance. Gegen Ende des 19. Jahrhunderts war man dieser inszenierten Oberflächlichkeit allerdings zunehmend überdrüssig – verständlich. Die Stilistik wird – ebenso wie die Gesellschaft – brüchig.
Als Gegenmodell zu den Städten mit ihren so genannten „Zivilisationskrankheiten“ ergeben sich frühe „grüne“ Bewegungen [4]. Dem Verlust an Sicherheit und Geborgenheit tritt man durch die Idealisierung des „gesunden“, ländlichen Lebens entgegen – zweifelsfrei eine Kulturtechnik. Die Formen im Heimatstil „suggerieren die erwünschte Primitivität, aber auch Naturnähe und nicht zuletzt – über die Ästhetik der Gewohnheit – auch Schutz und Geborgenheit (…) Das Elementare ist für den Heimatstil eine bestimmendere Kategorie als das (damit ebenfalls verknüpfte) Nationale“ [5]. Die Bewegungen waren also vorwiegend „grün“. Auf den Heimatstil folgen mit Jugendstil und Reformarchitektur bauliche Epochen, die die Frage nach dem Rückzug zum Ursprünglichen und der Entsagung der Zivilisation und ihrer Fehlentwicklungen neu und drastischer stellen.
Theodor Christomannos steht für eine Zeit, in der die urbane Vornehmheit im Sinne der Belle Époque ihren Einzug in die Tiroler Berge nahm. Eine Zeit, die uns heute vielleicht nostalgisch werden lässt, uns aber auch in Erinnerung ruft, welcher unternehmerische Einsatz notwendig war, um diese wilden und kargen Alpen für den modernen Fremdenverkehr zugänglich zu machen.
Literatur:
[1] Hans Heiss: „Theodor Christomannos – Wegbereiter alpiner Erschließung im südlichen Tirol“, Berg 2020 Alpenvereinsbuch 144, 2020
[2] Michael Demanega: „Das Verkehrswertmodell als Grundlage für eine intelligente und transparente Verkehrsplanung am Beispiel Südtirols“, Technische Universität Wien 2017 (Link)
[3] Ulrike Kindl: „Dolomitensagen und Dolomitenführer“, Mitteilungen aus dem Brenner-Archiv 37, Innsbruck 2018
[4] Nils Aschenbeck: „Reformarchitektur: Die Konstituierung der Ästhetik der Moderne“, Birkhäuser Verlag, Basel 2016
[5] Amt der Niederösterreichischen Landesregierung, „Denkmalpflege in Niederösterreich – Elementares und Anonymes“, Band 11, Wien 1993