Der Dürerweg im Südtiroler Unterland: Von Laag nach Buchholz und weiter

Wenn die Wiener Albertina Albrecht Dürers Feldhase ausstellt, was nicht so oft vorkommt, dann werden mit dem Feldhasen auch andere Werke des wichtigsten deutschen Renaissance-Künstlers ausgestellt, die unter anderem auch Dürers Weg nach Venedig darstellen, wo Albrecht Dürer im Südtiroler Unterland entlangwanderte.

Albrecht Dürer zog auf seiner Reise nach Venedig auch im Südtiroler Unterland vorbei. Aufgrund des versumpften Talgrundes musste er dabei eine Route entlang der Felswände und Bergkämme wählen und konnte nicht die Salurner Klause passieren. Im Tal verlief die Etsch mit ihrem kurvigen natürlichen Verlauf, dazwischen die Auwälder und sumpfigen Tallagen. Erst später sollten diese Tallagen durch die Begradigung der Etsch sowie durch umfangreiche und kleinteilige Meliorationen landwirtschaftlich bebaubar werden und inzwischen ein fruchtbares Terroir für Weinbau und Obstbau bieten.

In diesem Tal eröffnen sich die Dimensionen der alpinen Landwirtschaft. Der Acker- und Getreidebau ist auf trockene klimatische Verhältnisse angewiesen und hat sich folglich in der inneralpinen Trockenzone etabliert. Durch römischen Einfluss – oder auch schon früher – haben sich darüber hinaus Weinbau und Esskastanie in den inneralpinen Trockenzonen festgesetzt, wozu das Unterland gehört. Aufgrund der relativ geringen nutzbaren Flächen im Tal mussten die Hochflächen allerdings mitgenutzt werden. Einer intensiven Nutzung im Tal entsprach eine extensive Nutzung der Höhen. Somit kommen beide Wirtschaftsformen in Berührung. Eine Nutzbarmachung der Tallagen erfolgte erst später im Zuge der Entsumpfung zahlreicher Täler.

Am Klösterle in Laag wählte Albrecht Dürer wohl den Weg in Richtung Madrutberg. Der Madrutberg ist eine der markantesten Felsformationen im gesamten Naturpark und zeugt mit ihrem Relief von einem prähistorischen Felssturz, ist gleichzeitig auch das Gesicht des Naturparks.

Oberhalb der Tallagen dürfte sich Albrecht Dürer nicht nur eine faszinierende Geologie mit wechselndem Gestein eröffnet haben, sondern eine Flora, die ihresgleichen sucht. Das Südtiroler Unterland ist nämlich die „nördlichste Verbreitung“ der submediterranen Zone [1] und ein Übergang, besonders aber auch eine ganz besondere Verbindung der Gegensätze.

Heute bildet diese Natur den Naturpark Trudner Horn, der die Gemeinden Altrei, Montan, Neumarkt, Salurn und Truden umfasst. Im Gegensatz zu anderen Südtiroler Naturparks verfügt der Naturpark Trudner Horn über relativ geringe Höhen und besteht folglich zu fast 90 Prozent aus Wald. Im Sommer bieten folglich nicht ausgeprägte Höhen, aber schattige Wälder und feuchte Standorte eine Abkühlung, aber auch eine entsprechende Kulinarik.

Im Naturpark Trudner Horn treffen sich heute die verschiedenen Lebensgemeinschaften, der subalpine Fichtenwald und der submediterrane Buschwald. Eichen, Buchen und Eschen finden hier ihre nördlichste Verbreitung und machen den typischen Mischwald aus. An kargen und sonnigen Hängen bilden sich mit der Rotföhre Kiefernwälder aus. Ebenso deuten Eibe und Stechpalme im Naturpark Trudner Horn auf die randalpine Lage hin.

Die Eibe ist die älteste und schattenverträglichste Baumart Europas. Neben der Schattenverträglichkeit ist die Eibe dürreresistent, verfügt allerdings über eine geringe Frosthärte. Das Holz der Eibe ist hart und zäh, früher wurde die Eibe auch „Bogenbaum“ genannt. Die Gletschermumie „Ötzi“ hatte einen Bogenstab aus Eibe mit sich, tatsächlich wurde die Eibe sowohl in der griechischen Antike als auch bei den Kelten mit mystischen Kräften versehen, galt – da immergrün – als Symbol für die Ewigkeit und wurde als Heilpflanze genutzt. Holz, Rinde und Nadeln der Eibe sind giftig, nur der rote Samenmantel ist nicht giftig und wurde als Nahrungsmittel verwendet. Die Eibe ist in Südtirol selten, in den feuchten und schattigen Lagen in Salurn finden sich allerdings Bestände.

Die europäische Stechpalme deutet bereits auf submediterranes Klima hin. Der Standort der Stechpalme erfordert milde Winter, allerdings nicht zu trockene Sommer, womit sich das erforderte atlantische Klima begründet. Die Stechpalme, die in den Wäldern in Salurn Vorkommen findet, gilt in Südtirol in der Folge als Besonderheit. Die Stechpalme ist ebenso wie die Eibe immergrün, weshalb sie eine ebenartige Verehrung fand und besonders auch in den Wintermonaten Leben in die Stuben brachte.

Am Boden bilden sich in kalkhaltiger Umgebung Trockenrasen. Der klüftige Kalkstein bedeutet trockene Standorte. Im Porphyrgestein haben die Gletscher ihr feinkörniges Moränenmaterial zurückgelassen und wasserdichte Reliefs, Bäche und Moore in Muldenlage entstehen lassen . In diesen wasserführenden Böden finden allerlei bunte Pflanzen wie Lilien ein Habitat, aber auch eine entsprechende Fauna mit Smaragdeidechsen, Libellen und Faltern.

Aus diesen natürlichen Gegebenheiten, aus Stein und Holz, ergibt sich in der Folge auch immer die vernakuläre Baukultur.

Aus dieser Reise sind uns bis heute hin Bilder Dürers erhalten geblieben, es handelt sich um zwölf undatierte Aquarelle. Dürer wählte dabei den Weg vom so genannten „Klösterle“ in Laag – einem der vier letzten noch erhaltenen mittelalterlichen Pilgerhospize Europas [3].

Vom Klösterle aus stieg Dürer wohl den Steig bis nach Buchholz bei Salurn über die alte, so genannte „Römerbrücke“ hinauf. Ein Reisebericht schnappt die Stimmung auf, die wohl auch Dürer erfasst hatte: „Auf einer wuchtigen Steinbogenbrücke überqueren wir nun die Schlucht des Laukusbachs und finden uns auf einem einmalig schönen Panoramaweg wieder. Die Nachmittagssonne taucht die Szenerie in ein metaphysisches Licht, die Zeit ist stehengeblieben. Wortlos glücklich schlendern wir auf Buchholz zu, das letzte Südtiroler Dörfchen vor dem Aufstieg zur Passhöhe“ [3].

Dürer erreichte schließlich nach dem Passieren von Schluchten, Felsen und Wäldern und dem Übergang vom zerklüfteten, weißen Dolomitenkalk zum roten Bozner Quarzporphyr, der so genannten „Trudner Linie“, die geologisch durch Salurn verläuft, das Welschtiroler Cembratal. Die geologische Dimension dieser Trudner Linie ist faszinierend. Magmatisches Gestein, der Porphyr, wird von Grödner Sandstein, das im trockenen Klima entstand, und Meeressedimenten, dem Dolomit, überlagert, welche mehrere hunderte Meter ausmachen. Allerdings verlaufen diese Schichten im Gelände nicht chronologisch, was die Faszination, aber auch die Schwierigkeit der praktischen Bodenbestimmung im Fels sowie im Lockergestein ausmacht.

Dürer verewigte die so genannten „welschen“ Landschaften: „So waren der «Doss di Segonzano» und der «Ceramonte» auf der gegenüberliegenden Talseite die ersten «italienischen» Berge, die Dürer zu Gesicht bekam – und für die Nachwelt verewigte. Das kleinformatige Aquarell zeigt eine harmonische Berglandschaft und die Schluchten des Cembratals. In der Ferne erkennt man die Kirchtürme von Sevignano und Stedro-Sabion und einen Flecken terrassierter Kulturlandschaft, im Übrigen nur Natur. Wer genau hinschaut, sieht eine kleine Erdpyramide in der Bildmitte“.

Für Albrecht Dürer, der die italienische Renaissance erkunden wollte, war dies der erste Eindruck von Italien, den dieser sich nach Passieren des Südtiroler Unterlandes machen sollte, und somit das Eintauchen in eine damals noch „fremde“ Welt.

Diese Welt, dieses Südtiroler Unterland, ist für die einen eine „hübsche“ Kulisse auf dem Durchzug, für die anderen eine spezifische Heimat, in der die Wurzeln tief und das Herz verankert ist. Diese Heimat ergibt sich aus Landschaft und Mophologie, aus dem Boden und der Vegetation, aus Bächen und der Etsch, aus Trockenmauern und Weinstöcken, aus alter Baukultur und neuen Ideen.

Literatur:

[1] Martin Schweiggl: „Naturpark Trudner Horn – Eine sichtbare und eine verborgene Zeit“, Autonome Provinz Bozen, Bozen 2011

[2] Werner Bätzing: „Die Alpen: Geschichte und Zukunft einer europäischen Kulturlandschaft“, C.H.Beck, München 2005

[3] Gerhard Filzthum: „Eine rätselhafte Italienreise“, Neue Zürcher Zeitung, 13.3.2003

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