Südtirol liegt zwar mitten in den Alpen, verfügt über Dreitausender und Gletscher, Hochalmen und Weidewirtschaft, Bergbauernhöfe und schroffe Gebirgslandschaften, wird allerdings vom Süden her durch mediterranes Klima erwärmt. Nur so ist es denkbar, dass Gletscher, Hochgebirge, Weinbau und Palmen sich auf engstem Raum begegnen, befruchten und die so genannte „Magie der Vielfalt“ verwirklichen.
Wein in Südtirol. Wo sich alpin und mediterran treffen, müssen besondere Produkte entstehen, die die beste aus beiden Welten verflüssigen. Die vielfältigen Lagen machen jeden Wein einzigartig. Die Sozialisierung und Kulturalisierung der Südtiroler und damit der Winzer ergibt eine einzigartige Konstellation zwischen den deutschen Landen und Italien.
Befiehl den letzten Früchten, voll zu sein; gib ihnen noch zwei südlichere Tage, dränge sie zur Vollendung hin und jage die letzte Süße in den schweren Wein.
Rainer Maria Rilke
„Hendrik Thoma, Master-Sommelier und Betreiber des Wein-Blogs „Wein am Limit“, rühmt die kühle Frische der Tropfen: „300 Sonnentage im Jahr, nachts kühlt es sich ab. Diese Weinlage bringt einen alpinen frischen Stil, Wein mit Säure und Frische.“ Es seien keine überladenen Tropfen, sondern „Weine mit Anspruch, ohne kompliziert zu sein“. Für den Hamburger Thoma ist Südtirol eine „Melange von preußisch-deutsch und lässig italienisch“ (…) Südtirols Erfolgsgeschichte basiert für Thoma unter anderem auf einer „selektiven Arbeit im Weinberg und Keller mit dem Bewusstsein für den richtigen Standort“. Die Winzer wissen inzwischen genau, welche Sorte auf welchem Boden und in welcher Höhe am besten gedeiht“ (Link).
Boden, Terroir, Geologie und Wein

Wesentlich für das Weinbauland Südtirol ist, dass Südtirol ein alpines Land ist. Zur geographischen Lage kommt folglich die dritte Dimension, die Höhe, hinzu, die vielfältige lokale Gegebenheiten schafft, nämlich Höhenlage, Hänge, Sonnen- und Schattenseiten, Mikro- und Makrolima.
Hinzu kommt die Geologie. Die Zentralalpen bestehen aus metamorphem Gestein, aus Gneis, die Südalpen aus vulkanischem Gestein, aus Graniten, während die südlichen sowie die nördlichen Kalkalpen aus Sedimenten bestehen. Auf Fels kann keine Vegetation entstehen. Es ist folglich wesentlich, dass der Fels durch Wind, Wasser, Wärme – und durch den Menschen – erodiert, aufgelockert wird und Boden entsteht.
Hydrogeologische Prozesse wie Überschwemmungen, Hochwasser, Hangbewegungen, Muren und Wasserläufe verändern die Geomorphologie eines Landes zusätzlich und schaffen vielfältige Bodenschichten, Lagen, Bodenarten.
Weiters vollzieht der Mensch nachhaltige Veränderungen an der Landschaft, indem er das „wilde“ Land kultiviert, ebnet, terrassiert, vor Erosion schützt, bewässert, entwässert, entsumpft, bebaut, landwirtschaftlich nutzt, Häuser sowie Straßen anlegt. Immer verändert sich durch die intensive Landnutzung das Gesicht eines Landes. Stützmauern und Terrassierungen, Entwässerungen und Wasserabläufe schützen das Gelände vor Hangrutschungen und Murgänge.
Wesentlich für die Biodiversität sind die Nebenräume und die Randbereiche, die nicht intensiv und monoton bewirtschaftet, sondern dem natürlichen Lauf überlassen werden. Die Hecken, die Waldstreifen, die Trockensteinmauern, der Baum am Grundstücksrand, der Graben – sie alle geben Flora und Fauna, sowie dem natürlichen Wasser- und Nährstoffhaushalt Raum und Möglichkeiten und tragen mit dieser natürlichen Vielfalt dazu bei, dass die intensive Landwirtschaft sich in einen natürlichen Kreislauf eingliedert und selbst erhält. In diesem Sinne bilden Landwirtschaft, Waldwirtschaft, Biologie und Jagdwirtschaft jene dynamische Einheit, die die biodynamische Landwirtschaft für sich beansprucht. Es ist, allen Unkenrufen zum Trotz, besonders auch die Jagd, die nicht nur „Vergnügen“ ist, sondern die Biodiversität und die Lebensräume im Sinne eines biologischen Gleichgewichts erhält.
Zu dieser Biodiversität gehört auch, dass die bauliche Zersiedelung verhindert wird und die natürliche Landschaft unbedingt erhalten und gefördert wird, indem Baufläche schonend ausgewiesen und die Ressource Boden konsequent geschützt wird. Gerade baulich müssen wir künftig mit dem Mindestmaß an Flächenverbrauch auskommen und den Verkehr sowie den Verkehrswegebau auf das unbedingt Notwendige beschränken. Dadurch gewinnt der menschliche Maßstab an Bedeutung, die komplexe Dichte an Information am Wegesrand, die durch Natur, Kultur und Baukultur bestimmt wird, nimmt zu und es entstehen Landschaften mit hoher Qualität.
Der Wein wird selbstverständlich durch den Boden zu dem, was er ist. Die biodynamische Landwirtschaft versteht den Weinbau heute im Rhytmus und im Einklang mit der Natur. Die Rebe durchdringt mit ihren Wurzeln auf der Suche nach Wasser und Nährstoffen den Boden, nimmt Mineralien auf; umso größer die Widerstände durch Klima und Boden, umso raffinierter muss die Pflanze dabei vorgehen – und umso komplexer sind die Aromen. Komplexe Weine sind in entscheidendem Maße durch das Terroir und die Natur und nicht durch das Labor geprägt. Das ist auch die höchste Form der Kultivierung der Natur, indem natürliche organische Aromen zur Entfaltung gebracht und nicht künstlich erzeugt werden.
Baukultur und Kellerkultur

In den mediterran geprägten Gegenden Südtirols hinterließen die Römer die Technik der Wölbkunst, welche durch die Rätoromanen weiterentwickelt wurde und die sich mit der im Norden praktizierten Holzbaukunst vereinte. Durch das Bauen von Mauern und Gewölben aus Stein konnten unterirdische Keller angelegt werden, welche den Wein – auch bei warmen Temperaturen – kühl lagern lassen und vor Temperaturextremen schützen. Zum Lagern, zum Keltern und zum Kühlen von Lebensmitteln und Wein sind Keller notwendig, die im Erdreich verbaut sind und in der Folge die erforderliche Temperatur, eine bestimmte Feuchtigkeit sowie den notwendigen Luftwechsel ermöglichen.
Hinzu kommt in Weinbaugebieten ein weiterer Umstand: Der Weinbau ist gewissermaßen eine „atypische“ Form der Landwirtschaft. Der Weinbauer ist grundsätzlich weniger autark geprägt – insbesondere in Zeiten, in denen es aufgrund der Nachfrage opportun ist, möglichst hohen Ertrag aus dem Weinbau und möglichst geringen Ertrag aus anderweitiger Landwirtschaft zu erzielen. Daraus resultiert, dass der Weinbauer die Geldwirtschaft praktiziert [1] und historisch betrachtet die Liquidität hatte, um repräsentative Weinbauernhöfe schaffen, die mit dem Überetscher Stil eine Blüte erreichen und bis heute hin beeindrucken. Es kommt auch nicht von ungefähr, dass zahlreiche Weinbaugemeinden früh schon zu Märkten und zu Städten erhoben wurden [2].
Auf Südtirol bezogen waren zwar Adelige und Klerus eine treibende Kraft beim Weinbau. Interessanter ist aber vielleicht die durch Kleinbauern, oft in Pachtverhältnis, praktizierte Landwirtschaft, die in schier und unglaublicher Kleinstarbeit aus kargen Hängen und versumpften Tälern faszinierende Weinbaulagen verwirklichte. Es sind vielfach die verzwickten, vermeintlich „schlechten“ Lagen mit Geschichte, in denen Kleinarbeit und Schweiß und menschliche Schicksale stecken, die die größte Faszination ausüben.
Bauen in der Landschaft und im Spezialfall – der Landwirtschaft – „mit“ der Landschaft bedeutet bestenfalls, dass das Gebaute und die Landschaft ineinander verfließen, eine untrennbare Einheit bilden, natürlich mit Kontrasten und Widersprüchen, weil menschliche Kultur immer darauf ausgerichtet ist, eine „menschliche Natur“ zu schaffen, die von der eigentlichen Natur abweicht. Im Konkreten ist Weinbau ja ebenso kein natürlicher Prozess, sondern entspricht einer Kultivierung der Natur. Vielleicht oder sicher – und so dachten zumindest die antiken Völker – schwingt etwas Göttliches im Wein mit.
Wein produzieren ist letztlich so etwas, wie ein Geheimnis, eine „Alchemie“. Das Terroir, die Genialität des Winzers, die Beschaffenheit der Fässer sowie des Kellers tragen alle zum Endprodukt bei.
Der Agrarwissenschaftler Rainer Zierock, der für die Südtiroler Weinwelt den Rang des Pionieren und Philosophen einnimmt, und eine Zeit lang in Salurn wirkte, beschreibt die Faszination Wein mit den Worten: „Die Erde bildet mit allen Lebenswesen eine göttliche Unsterblichkeit; nie kann sie zu gar nichts zerfallen (…) In den alten Kulturvölkern bildete der Gott der Erde und der Geist der Erde eine sehr intensive Einheit des Menschen mit seinem Glauben an die Natur und ihren Mythen“[i]. Zierock beschwört in dem Buch „Das Pentagon“ sodann dionysische Zustände, die im Rausch kulminieren und das Göttliche scheinbar anklingen lassen.
Interessant am Wein ist, wenn eine Landschaft scheinbar im Glas erlebbar wird und sich Geschichte, Kultur, Idee, Boden, Klima und Jahreskreis in diesem einen Glas offenbaren. Gleiches gilt für das Essen. Und für das Bauen. Wobei es dann nicht mehr um das gefüllte Glas, sondern um die räumliche Atmosphäre geht.
Moderne Kellerei-Architektur

Schaut man sich die Architektur der renommierten Kellereien in Tramin, Kurtatsch, Margreid, Kaltern, Eppan, Bozen, Terlan oder Nals an, so wird deutlich, dass diese im zeitgenössischen Bauen architektonische Landmarken darstellen und der gesamten Gemeinde eine Identität stiften.
Mehr denn je geht es beim Bauen darum, ein Erlebnis und einen Aha-Effekt zu schaffen und durch extravagante und auffallende Architektur die Durchreisenden dazu zu verleihen, Halt zu machen und sich mit der Region, dem Territorium und den Wein zu befassen. Mehr denn je zielt das Augenmerk dabei auch auf die so genannten „Influencer“ und die Hochglanzbroschüren, die allerdings ständig neue Reize benötigen. Vielfach findet sich die moderne Hotel-Architektur in diesem Dilemma gefangen, ständig neue Attraktionen schaffen zu „müssen“, um sich im Gespräch zu halten. Zweifelsfrei ein Drehen ohne Halt.
Vielleicht geht es auch anders. Es gibt Weinkellereien, die jährlich neue Etiketten schaffen müssen und andere, die über Klassiker verfügen, die seit Jahrzehnten eine Marke darstellen. Es gibt auch Bauwerke, die immer zeitlos sind und solche, die nach wenigen Jahren schon veraltet, vergilbt, langweilig und „modisch“ – und folglich „altmodisch“ – sind.
Der Architekt Valerio Olgiati glaubt, dass wir durch das Bauen Sinn stiften und Bedeutung geben müssen. Das unterscheidet sich von moderner Effekthascherei. Der Architekt Peter Zumthor gibt dem Bauen ohnehin etwas Bedächtiges, Tieferes und Bedeutungsvolles, sodass es niemals nur um „Kulisse“ geht. sondern um Funktion und Konstruktion, die statisch bedacht und mit Sinn beladen in eine zeitlose Form übergeht. Zweifelsfrei die höchste Form des Bauens.
Landschaft, Materie und Geschichte vereint – im Wein wie im Bauwerk.

Die höchste Form des Bauens wird erreicht, wenn sich das Gebaute – wie der Wein ! – mit dem Territorium, dem Boden, der Geschichte, den historischen Materialien und Bautechniken, den funktionellen Anforderungen an den Raum – die durchaus moderne sind -, den Referenzen in unserer Kultur und in unserer Phantasie vereint, literarische Anspielungen macht, für Überraschungen gut ist und Räume schafft, die Nachdenken, Tiefgang, Erhabenheit und Anmut erzeugen.
Die moderne Industriehalle in der Landschaft ist einfach. Zu einfach. Nur: Wie sieht sie in 30 Jahren aus? Gibt es sie in 200 Jahren noch oder schon nach 20 Jahren nicht mehr? Und: Schaffen wir Identität und Baukultur, wenn das Gebaute eine Halbwertzeit von wenigen Jahrzehnten hat? Ganz zu schweigen von der viel zitierten Nachhaltigkeit.
Ebenso wie der Wein tief und komplex sein soll und Geschichten erzählen muss, ist es beim Bauen. Die „bauliche Moderne“ als „International Style“ kann nur bedingt Antworten auf diese Bedürfnisse und auf die Anforderungen unserer Zeit geben. Moderne, zeitlose Antworten auf aktuelle Fragen: Ja. Ideologische Borniertheit, nein. Das Einfache ist das Wahre. Das Wahre ist einfach. Und das Wahre ist das Bleibende.
Es geht darum, Kultur und Baukultur zu schaffen. Bleibend, nachhaltig, am besten ewig. Aber genug mit Pathos. Zum Wohl.
Lasst ihn, ihr Lauten, und stört nicht den schweigsamen Zecher! Tiefer als euch gehört Abend und Becher ihm in der Gnade der Trauer des Herzens. Ihm, ans Gestade entrückt, wo im Weltsein Verwehtes glühend noch glückt, blüht sein versehrtes Herz aus des Lebens heiligen Gründen.
Hubert Mumelter

Literatur:
[1] Richard Weiss: „Häuser und Landschaften der Schweiz“, Haupt Verlag, Bern 2017
[2] ÖIAV: „Das Bauernhaus in Österreich-Ungarn und in seinen Grenzgebieten – Textband und Atlas“, Österreichischer Ingenieur- und Architekten-Verein, Wien 1906
[3] Rainer Zierock: „Das Pentagon – Eine Denkschrift zum agrarphilosophischen Verständnis von Rebe und Wein“, Selbstverlag, Salurn 1995
[4] Oswald Kofler: „Reblandschaften Südtirol“, Verlagsanstalt Athesia, Bozen 1984
[5] Ulrike Barcatta & Gianni Bodini: „Rebsaft Arunda in Zusammenarbeit mit dem Weingut Alois Lageder“, Verlag Bibliothek der Provinz, Weitra 2012
[6] Andreas Gottlieb Hempel: „WeinBau – Wein und Architektur in Südtirol“, Folio Verlag, Wien/Bozen 2016