Wer die derzeitige Straße von Meran nach Schenna kennt, der kann sich vorstellen, dass in Sachen Verkehrseffizienz und Nachhaltigkeit bessere Lösungen möglich sein müssen. Die hohe Dichte an Beherbergungsbetrieben im Raum Schenna führt unweigerlich zu größeren Beeinträchtigungen des Nahverkehrs, sodass es nahe liegt, hier Verkehrslösungen anzustreben.
Vielfach entstehen Verkehrsinfrastrukturprojekte allerdings ohne konkrete Verkehrsprognoserechnungen, sodass die Zielsetzungen eher hoffnungstheoretische Angelegenheiten sind. In der Verkehrsplanung und in der Verkehrswissenschaft ist eine Auseinandersetzung mit den konkreten Anreizen das Um und Auf, um nämlich über zuverlässige Prognosen zu verfügen.
Der Plan für die Standseilbahn Meran-Schenna sieht die Talstation beim Karl-Wolf-Parkplatz in Meran, zwei Zwischenstationen beim Gewerbegebiet von Tirol und in der Nähe des Sportplatzes Schenna sowie die Berg- und Endstation neben dem Vereinshaus in Schenna vor.
Der Massenverkehr mit seinen Umweltauswirkungen und der Verbauung der Landschaft ist derzeit eines der großen Probleme unserer Zeit. Eine nachhaltige Verkehrslösung kann folglich nur darauf abzielen, den motorisierten Individualverkehr deutlich zu verringern und den öffentlichen Verkehr zu fördern. Seilbahnlösungen, zu denen auch Standseilbahnen gehören, sind effizient, da sie in wenigen Minuten viele Personen befördern können.
Darüber hinaus ist der bauliche Eingriff durch Seilbahnen im Vergleich zum Straßenbau relativ gering und damit können Boden und das Landschaftsbild geschont werden. Zudem ist die Seilbahn energiesparend, benötigt keine fossilen Energiequellen, sondern kann auf saubere, einheimische Energie zurückgreifen. Darüber hinaus sind Lärmemissionen und Schadstoffemissionen minimal.
Eine weitere wichtige Folgewirkung, die besonders für eine Tourismusdestination von Interesse sein muss, wird nachfolgend dargelegt. KNOFLACHER H. und PAPERNA O., 1982 haben in theoretischen und experimentellen Untersuchungen nachgewiesen, dass Fußgänger in ansprechenden, attraktiven und autofreien Umgebungen bereit sind, 70% weiter Wege zu gehen. Dies ist ein Maß für die Aufenthaltsdauer in attraktiven, autofreien Umgebungen.
Besonders in Tourismusregionen ist die Aufenthaltsdauer das entscheidende Maß, um wirtschaftlich erfolgreich zu sein. Damit leistet die Verlagerung des Verkehrs vom motorisierten Individualverkehr auf den öffentlichen Verkehr einen wertvollen Beitrag, damit sich Gäste länger in der Umgebung aufhalten. Dazu sind allerdings weitere Maßnahmen erforderlich, um den motorisierten Individualverkehr zu verringern und autofreie Umgebungen zu schaffen.
Seilbahnstationen müssen als Verkehrsknotenpunkte und Mobilitätszentralen konzipiert werden, welche Straßennetz, öffentlichen Verkehr, Fußgängerwege, Fahrradwege und Eisenbahn optimal verbinden. Dann und nur dann wird das volle Potential ausgeschöpft und es werden weitreichende positive Entwicklungen im Verkehrssystem bewirkt.
Um das verkehrstechnische Potential der Seilbahn abzuschätzen, wird die Nutzungswahrscheinlichkeit bei Berufspendlern analysiert. Grundlage für die vorliegende Verkehrsnachfrageberechnung ist das Verkehrsaufteilungsmodell nach WALTHER, K.; OETTING, A. und VALLEE, D., 1997. Walther et. al. kommen durch die Berücksichtigung zahlreicher Verkehrsangebotsparameter und deren subjektiver Bewertung zu einer umfassenden Verkehrsangebotsmodellierung, welche einfach durchgeführt werden kann. Das Modell bezieht sich grundsätzlich auf die Widerstandsfunktion, welche die Widerstände durch generalisierte Kosten mit subjektiver Gewichtung von Zugangs-, Warte-, Umsteige- und Abgangszeiten ausdrückt.
Wesentlich sind folglich Zeiten, Entfernungen und die subjektive Bewertung. Die subjektive Wahrnehmung kann grundsätzlich durch das Weber-Fechnersche Empfindungsgesetz erklärt werden. Walther et. al. sehen dafür Ausdrücke vor, die aus Forschungsergebnissen ermittelt wurden. Nachfolgend werden die durch Walther et. al. vorgeschlagenen Gleichungen mit den entsprechenden Parametern für den öffentlichen Verkehr und für den motorisierten Individualverkehr näher beschrieben.
Subjektive Bewertungsfaktoren:
Die subjektiven Bewertungsfaktoren werden in jener Form angenommen, wie sie Walther et. al. vorschlagen. Dabei wird bei der Definition der Bewertungsfaktoren zwischen motorisiertem Individualverkehr und öffentlichem Verkehr unterschieden. Beim öffentlichen Verkehr sind für die U-Bahn einerseits und für Bus und Straßenbahn andererseits verschiedene Bewertungsfaktoren vorgesehen.
Verkehrsaufteilung („Modal split“):
Die Verkehrsaufteilung errechnet sich über die Widerstandsfunktionen bzw. über die generalisierten Kosten. Je höher die generalisierten Kosten für ein Verkehrsmittel sind, umso geringer ist auch die Wahrscheinlichkeit, dass es zur entsprechenden Auswahl kommt und umgekehrt. Die Auswahlwahrscheinlichkeit für ein Verkehrsmittel ergibt sich über eine Wahrscheinlichkeitsberechnung, welche den Verkehrswert eines Verkehrsmittels mit dem Verkehrswert aller anderen verfügbaren Verkehrsmittel in Relation bringt.
Annahmen im Öffentlichen Verkehr
Das Verkehrsnachfragenmodell erörtert das verkehrstechnische Potential der Seilbahn. Dabei müssen vorerst die bereits vorhandenen öffentlichen Verkehrsmittel einbezogen werden. Um im Verkehrsnachfragemodell zu Ergebnissen zu gelangen, sind vorerst einige Annahmen notwendig, die sich auf Fahrtzeiten, Zugangs- und Abgangszeiten, Umsteigezeiten und Wartezeiten beziehen.
Die Fahrtzeiten lassen sich aus den zurückgelegten Entfernungen und der durchschnittlichen Reisegeschwindigkeit ermitteln. Zugangs- und Abgangszeiten werden der Einfachheit halber gleich angenommen und richten sich nach den durchschnittlichen Entfernungen zu den Haltestellen, wofür eine durchschnittliche Fußgängergeschwindigkeit von 4 km/h angenommen wird.
Wie eine ähnliche verkehrsplanerische Berechnung für eine Seilbahn in Aggsbach an der Donau in der Wachau belegt, die ich an der Technischen Universität Wien durchgeführt hatte, sind wesentliche Vorteile durch Seilbahnlösungen erzielbar. Wie dir dritte Grafik zeigt, müssen allerdings die Verkehrsrahmenbedingungen passen.
Modal Split Bestand:

Modal Split mit Seilbahn:

Modal Split mit Seilbahn und veränderten Zugangs- und Abgangsentfernungen:

Schlussfolgerungen und verkehrspolitische Empfehlungen:
Für die Akzeptanz der Seilbahnverbindung als Verkehrslösung ist es essentiell, dass auch die verkehrspolitischen Rahmenbedingungen auf das Projekt abgestimmt sind. Wie aus der Verkehrsnachfrageanalyse hervorgeht, ist es wichtig, das die Fahrgäste und Pendler möglichst schnell zur Seilbahnstationen gelangen und auch wieder eine rasche Anbindung an das nächste öffentliche Verkehrsmittel erfolgt. Dazu ist die Angebotsplanung, besonders in den Stoßzeiten des Pendlerverkehrs im gesamten öffentlichen Verkehr entsprechend anzupassen. Zudem müssen Fahrradwege und Gehwege so gestaltet sein, damit sie den Weg zur Seilbahn angenehm und attraktiv machen.
Darüber hinaus ist ein Standortmarketing zu betreiben, welches die öffentlichen Verkehrsmittel und die Verkehrswege in den Mittelpunkt stellt und den potentiellen Fahrgast mit umfassenden Informationen versorgt.
Gestaltung der Seilbahnstationen aus verkehrsplanerischer Sicht und strategische Planung
Besonders wichtig ist im vorliegenden Projekt die Gestaltung der Anlagen des Fußgängerverkehrs. Benutzer des öffentlichen Verkehrs sind nämlich sowohl vor der Benutzung der öffentlichen Verkehrsmittel, als auch nach der Benutzung der öffentlichen Verkehrsmittel Fußgänger, weshalb bei der Projektierung besonders die Bedürfnisse der Fußgänger zu berücksichtigen sind. Auf Fußgänger wirken dabei nach KNOFLACHER die folgenden Eigenschaften [2]: Umwegempfindlichkeit, Steigungsempfindlichkeit, unästhetische (d.h. eintönige, hässliche, laute, gefährliche) Umgebungen wirken störend, Witterungsempfindlichkeit.
Strategische Planung:
Da die Projektumsetzung wesentlich davon abhängt, dass sich die Seilbahnstationen als Verkehrsknotenpunkte etablieren, wurden diese Parameter in der Planung der Seilbahnstationen besonders berücksichtigt. Dazu werden in der Planung die folgenden Maßnahmen vorgenommen:
- Die Platz- und Grundrissgestaltung soll Seilbahn, Eisenbahn und Straßennetz auf kürzestem Weg verbinden.
- Die großzügige Überdachung soll den Fußgängern weitgehenden Schutz vor Witterung bieten.
- Die offene Platzgestaltung mit natürlichen Elementen soll einladend und ansprechend wirken. Es sind dabei viele natürliche Elemente vorgesehen, welche sich schonend in die Kulturlandschaft integrieren.
- Die Platzgestaltung erfolgt barrierefrei.
- Warteräume und Ticketautomaten sind möglichst zentral gelegen und sollen eine möglichst schnelle und effiziente Bedienung vor dem Einstieg in die Seilbahn ermöglichen. Die Zugänge und die Warteflächen werden unter Beachtung der Verkehrsflüsse der Fußgänger angelegt. Die Gangflächen für die Fußgänger werden großzügig angelegt. Dazu erfolgte auch eine spezielle Berechnung der Fußgängeranlagen.
- Die Fahrradstellplätze werden in unmittelbarer Nähe der Seilbahnstationen situiert, während die PKW-Parkplätze sich bewusst in größerer Entfernung befinden, um keinen übermäßigen Anreiz zum Autofahren zu erzeugen, sondern um Fahrradfahren und das Nutzen der öffentlichen Verkehrsmittel in den Mittelpunkt zu stellen.
Literatur:
[1] Hermann Knoflacher: „Grundlagen der Verkehrs- und Siedlungsplanung“, Böhlau Verlag, Wien 2007 und 2012
[2] Hermann Knoflacher: „Fußgeher- und Fahrradverkehr: Planungsprinzipien“, Wien 1995
[3] Michael Demanega: „Das Verkehrswertmodell als Grundlage für eine intelligente und transparente Verkehrsplanung am Beispiel Südtirols“, Technische Universität Wien 2017 (Link)
[4] Werner Schnabel & Dieter Lohse: „Grundlagen der Straßenverkehrstechnik und der Verkehrsplanung: Band 2 Verkehrsplanung“, Beuth Verlag, Berlin 2011