Südtiroler Bauerngärten: Vielfalt und Freude

Bäume sind im Rahmen eines bäuerlichen Hofes nicht beliebige Erscheinungen, sondern Symbole im Raum. Dazu schreibt der Südtiroler Architekt Bernhard Lösch: „Jede einzelne Hofstelle wurde von einem „eigenen“ Baum markiert, einem Lindenbaum, einer Rosskastanie, einem Nussbaum, einem Kaki- oder Feigenbaum. Dies waren nicht nur auffallende Elemente in der Landschaft, sondern gleichzeitig Symbole für menschliche Präsenz in der Natur – Elemente, die zum großen Teil verschwunden sind“ [i].

In der Antike war die „Pergola“ ein Pfeiler- oder Säulengang, der im Übergangsbereich zwischen Draußen und Drinnen als beschatteter Raum entstand. In Südtirol bestehen die so genannten „Pergeln“ aus Weinreben oder Kiwi und bilden nicht nur beschattete Außenbereiche, sondern wurden auch als landwirtschaftliche Erziehungsform im Weinbau verwendet. Im Weinbau handelt es sich bei der „Pergel“ um eine Anbauform, die über Pfosten und Streben laubenartig kultiviert oder im Hang neben Mauern situiert wird.

Der Hof ist der Raum, der von dem Gebäude umgeben, aber bereits im Freien ist. Die Wiener Architektin Ute Woltron schreibt dem Bauen, das sich in die Natur eingliedert, gestalterische Größe zu: „Die Großen unter den Baumenschen haben immer schon mit Behutsamkeit mit der Topografie und der Natur gespielt. Sie haben das Licht eingefangen, den Wind ausgesperrt – und dennoch das Drinnen und das Draußen ineinanderfließen lassen“.

Woltron unterstellt aber andersherum dem zeitgenössischen Bauen: „Die uralte Beziehung zwischen Gebäude, Garten, Landschaft – abzulesen in den Resten untergegangener Hochkulturen, zur Blüte gebracht etwa in der maurischen Architektur – ist jedoch brüchig geworden. Vielerorts haben die Häuser gewonnen und sind zu rücksichtslos in die Landschaft gepflanzten Blöcken degeneriert. Kein Dialog mit dem Draußen. Das, was an Platz übrig bleibt, darf dann „begrünt“ werden“[ii].

In der antiken Architektur waren es das Peristyl oder das Atrium, die den Außenbereich in das Hausinnere integrierte. Die Römer legten ihre Gärten im Atrium an, womit die kultivierte Natur direkt zugänglich war. Die Benediktiner befassten sich im Mittelalter mit der Verbreitung von Pflanzen und Samen in Europa. Heilkräuter, Gemüsearten und veredelte Obstarten finden ihre Verbreitung. Gärten werden strukturiert angelegt.

Garten und Umfriedung stehen in einem direkten Verhältnis. „In der altnordischen Sprache bedeutet „gard“ Wall, Zaun, Mauer. Im Gotischen ist „gairden“ umschließen, Gürtel. Aus dem Germanischen stammen der italienische „giardino“, der französische „jardin“, der englische „garden“. Also beginnt der Garten mit einer Umfriedung, als Schutz gegen das Wild, als die Urfrauen mit einem Stock in der Erde eine Furche zogen, Pflänzchen setzten und Samen säten und das Ganze mit einem Zaun umschlossen. So wächst selbst aus dem Wortstamm eine ganze Geschichte“[iii] schreibt Martha Canestrini zum Wesen des Gartens.

Martha Canestrini unterscheidet dabei durchaus zwischen Gärten germanischer Prägung und Gärten romanischer Prägung. Dieser Übergang vollzieht sich in einem Grenzgebiet wie Tirol.

„Im Trentino sind die Gärten anders als bei uns in Tirol. Zwar gibt es viele Gemeinsamkeiten, besonders in abgelegenen Gebieten, und dort, wo deutschsprachige Siedler und deren Nachkommen wohnen, aber in etwas unterscheiden sie sich ganz wesentlich. Es gibt dort weniger Blumen und mehr Gemüse. Dinge, die man also essen kann. Dabei sind mir so allerhand Gedanken durch den Kopf gegangen. Vorurteile. Zugegeben. Aber ich liebe meine Vorurteile. Vorurteile sind meine Blumen. Wo andere Blumen pflegen, da pflege ich Vorurteile. Zum Beispiel meine Behauptung, dass Italiener die sinnliche Liebe in die Nähe des Essbaren ansiedeln. Aber Liebe ist nicht nur Begegnung zwischen Mann und Frau. Liebe ist Begegnung schlechthin. Italiener suchen Begegnungen über den Gaumen. Skeptische, durch viel Geschichte geprägte Völker suchen Begegnungen über den Gaumen. Das ist auch viel friedlicher“.

Besonders ist es für den deutschtiroler Garten kennzeichnend, dass dieser vielfach in den landwirtschaftlichen Grund hinein gebaut und durch einen Zaun umfriedet wird, während dies für den welschtiroler Garten eher nicht der Fall ist, der um das Haus herum angelegt wird. Die vom Holzzaun umgebenen Bauerngärten bilden „einen Restbestand der ehemals autarken Wirtschaft“  (Kristian Sotriffer)[iv].

Martha Canestrini ordnet die verschiedenen Ausprägungen bäuerlicher Gärten in Südtirol wie folgt ein: „Beim älteren rätischen Typ oder bei höher gelegenen Bergbauernhöfen grenzt der Garten direkt ans Haus, um die Wärme der Hausmauern aufzufangen und zu nutzen. An den restlichen drei Seiten ist der Garten umzäunt. An der Mauer wächst vielerorts ein Hausbaum, meist ein Marillen- oder ein Birnbaum, der als Beschützer des Hauses gilt, da in ihm Naturgeister weilen sollen, die den Menschen wohlgesinnt sind. Hausbäume sind auch in den Tälern (wo sie auch frei stehen können) noch anzutreffen. Der Garten des bajuwarischen Typs hingegen befindet sich frei in unmittelbarer Nähe des Wohnhauses und ist auf vier Seiten eingezäunt. Heute fast vollständig aus der Landschaft verschwunden ist der kleine Obstanger des karolinigschen Typs, der dem Federvieh Auslauf bot und auch eine gemähte, in sonniger Lage am Haus liegende Wiese umfasste, die zur Tuchbleiche diente“[v].

Bauerngärten versorgen mit Nutzpflanzen, Heilkräutern und Gewürzen und sind damit die höchste Form, die Natur zu kultivieren, sich ihrer anzunehmen und diese in den eigenen Lebensentwurf einzugliedern. Nirgends ist die Verbindung zu den Elementen naheliegender.

Das Wissen, das in der Kultivierung der Pflanzen besteht, die Weitergabe dieses Wissens, sowie die Arbeit, die in Hege und Pflege fließen, sind von unschätzbarem Wert. Mitunter schwimmt dabei auch etwas Mystisches, vielleicht sogar Alchemistisches mit, war es zu früher Zeit doch immer die Begabung besonderer Menschen, Pflanzen auch zu Heilzwecken sinnvoll einzusetzen, ob in direkter Form, veredelt oder durch die Räucherung. Im bäuerlichen Leben spielt die Art und Weise, Gärten anzulegen, sie zu nutzen, nach den Jahreszeiten und nach dem Mond zu leben, eine besondere Rolle.

Martha Canestrini schreibt zu diesem kulturellen Wissen, das in eine unreflektierte Tradition übergeht: „Auch die Bäuerinnen pflanzen, gleich wie die Sumerer (und wissen es nicht) in die Mitte des Bauerngartens eine Buchsstaude, Sinnbild des Todes und der Wiedergeburt, oder einen Rosenstock, Sinnbild der Liebe, Ursprung des Lebens. Diese uralten Gartenformen bleiben durch die Zeit hin unverändert“ [vi].

Gärten stehen für Vitalität und für Leben. Sie üben einen besonderen Eindruck auf uns aus. Der Garten vor dem Haus verbindet mit der Natur und macht die eigentliche Natur für die menschlichen Zwecke nutzbar.

Neben den Gärten sind rund um Bauernhöfe vielfach Obstbaumwiesen angelegt. Dort kommen Äpfel und Birnen, Pflaumen und Pfirsiche vor. Die Streuobstwiesen sind vor allem typisch für bäuerliche Kulturlandschaften in Österreich, besonders im Mostviertel, wo das Streuobst für die Produktion von Apfel- und Birnenmost verwendet wird. Streuobstwiesen sind Formen intelligenter Landbewirtschaftung. Genutzt wird dabei sowohl der Boden in Form von Wiesen als auch die hochstämmigen Obstbäume. Die lichte Bepflanzung, ein festgestellter „Pathos der Distanz“ (Nietzsche), wirkt ästhetisch stark.

In Südtirol sind es vielfach mediterranere Pflanzen, die die ganz besondere Kulturlandschaft ausmachen: „Südtirol ist die erste Manifestation des Südens. Im Windschatten der Alpen lässt sich in den Tälern bereits mediterranes Klima spüren, «eine milde, sanfte Luft füllt die Gegend», wie schon Goethe notierte. In Sichtweite der Berggipfel gedeihen Feigen und Palmen, Wein und Kernobst. Das uralte Kulturland an der Nahtstelle zwischen Süden und Norden ist seit Menschengedenken urbar gemachtes Bauernland“[vii].

Ob Kastanienhaine, Weinreben oder der Feigenbaum vor dem bäuerlichen Anwesen – die Note ist eine südliche. Der Effekt, in einem alpinen Land, derartige südliche Noten zu spielen, ist ein ergreifender.

Gärten sind zudem architektonische Elemente, weil sie den Raum gliedern. Dem Übergangs- und Schwellenbereich vom Haus ins Freie kommt ein immens großer Stellenwert bei der Beurteilung von Lebensqualität bei.

Klaus Osterwold bezeichnet Gärten als „Zwischenräume zwischen drinnen und draußen, zwischen Heim und Welt, zwischen Geborgenheit und Ausgesetztsein“[viii]. Dieses Zwischendasein kommt auch dem Grün bei, das wir uns in Form von Pflanzen, Sträuchern, Kränzen oder dem sonntäglichen Blumenstrauß ins Haus holen. Wir stellen unseren Wohnraum damit in den Dialog zum Natürlichen.

Vom reinen Bauerngarten, der uns mit der Natur verbindet und die Natur gewinnbringend in unseren Alltag holt, ist es ein bestimmter Schritt zu den Ziergärten, die in allen Fällen eine menschliche Natur ausdrücken. Natur wird nachgeahmt und geformt. Gärten dienen sowohl der Bewirtschaftung, haben aber vor allem auch eine ästhetische Komponente, die jene Gärten umfasst, die zur Zier und Erholung da sind.

Literatur:

[i] Lösch, Bernhard: „Bauen im ländlichen Raum – Beispiele bestehender Hof- und Architekturtypologien in Südtirol“, Autonome Provinz Bozen, Bozen 2001

[ii] Woltron, Ute: „Gebaute Oden an die Schönheit“, Die Presse, 20.05.2017

[iii] Canestrini, Martha: „Bauerngärten in Tirol und im Trentino“, Arunda 21, Schlanders 1987

[iv] Sotriffer Kristian: „Südtirol – Eine Elegie“, Edition Tusch – Arunda Lizenzausgabe, Wien 1979

[v] Canestrini, Martha: „Bauerngärten in Südtirol“, Folio Verlag, Wien 2012

[vi] Canestrini, Martha: „Bauerngärten in Tirol und im Trentino“, Arunda 21, Schlanders 1987

[vii] Diemar, Claudia: „Obstkulturen, so weit das Auge reicht“, Neue Zürcher Zeitung Online, 15.3.2001

[viii] Osterwold, Klaus: „Natur und Bauen“, Württembergischer Kunstverein, Stuttgart 1977

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