Es mutet skurril an, dass eine Gletschermumie nach über 5.000 Jahren noch immer die Gemüter erhitzt und mehr denn je zum Politikum wird. Konkret geht es um die Gletschermumie „Ötzi“, die sich als Besuchermagnet in Bozen erweist und in der Folge die verschiedenartigen politisch-ökonomischen Interessen im Land – und auch darüber hinaus – erweckt.
Derzeit geht es um die Frage nach einem angemessenen Standort für das Ötzi-Museum, wobei ein Museum ins Auge gefasst werden muss, das dem internationalen Vergleich standhält und zudem ein aufsehenerregendes Besuchererlebnis, bemerkenswerte Architektur mit Landmarken-Status, effiziente An- und Abreise sowie begleitende Dienstleistungen bietet, um sich in die Liste der angesagtesten Museen einzureihen.
Darüber hinaus – und das ist vielleicht das Wesentliche – stellt sich bei jeder Investition in Struktur und Infrastruktur die Frage nach den Kollateralwirkungen und Kollateralschäden. In den Verkehrswissenschaften spricht man grundsätzlich von „Gelegenheiten“ im Raum, die eine Nachfrage nach Mobilität erwecken, auf der anderen Seite aber durch räumliche Widerstände beschränkt werden. Damit ist auch schon bereits das grundsätzliche Problem angesprochen: Die „Gelegenheit“ Zentrum wird durch Attraktionen wie dem Ötzi-Museum in Stadtnähe und außerhalb grundsätzlich ausgebootet, weil die Widerstände, um ins Zentrum zu gelangen, dominieren.
Ein Ötzi-Museum, das sich außerhalb des Zentrums anordnet, beinhaltet folglich immer das Risiko, dass die Besucher die möglichst effiziente An- und Abreise zum Museum ins Auge fassen und die Stadt selbst – aufgrund des Verkehrssystems – weitgehend meiden. In diese Kerbe schlagen die anvisierten Standorte Gefängnis und ehemaliges Enel-Areal. Die Stadt verliert.
In meiner Diplomarbeit in Verkehrswissenschaften an der Technischen Universität Wien unter Betreuung von Professor Hermann Knoflacher wurde in diesem Sinne konkret untersucht, wie Kaufhäuser in Stadtnähe die Bozner Altstadt als Handelszentrum zunehmend gefährden, weil neu geschaffene Handelsstrukturen an verkehrstechnisch günstig gelegenen Knotenpunkten – zumindest mobilitätstechnisch – eine ganze Reihe an Vorteilen bieten. Die schnelle An- und Abreise mit genügend Parkplätzen bietet schlagende Vorteile, die manchen Stadtzentren in Österreich bereits zum Verhängnis geworden ist. Und die sich folglich kulturell und wirtschaftlich auswirken.
Für eine Anreise aus der Peripherie graben Handelsstrukturen am Stadtrand der Bozner Altstadt wesentlich die Besucher ab, was aus besagter Untersuchung hervorgeht [1]. Die „Schäden“ für das Zentrum lassen sich im Falle Kaufhaus konkret quantifizieren und werden auch beim Thema Ötzi nicht wesentlich anders ausfallen.
Gleiches gilt für ein Ötzi-Museum. Bei jeder Standortwahl müssen zuallererst einmal die Ziele und Wirkungen vergegenwärtigt werden, die je nach Projektstandort so oder anders ausfallen können. Wenn die Belebung der Bozner Altstadt ein erklärtes Ziel sein soll, muss zumindest die Stadtnähe als wesentlich erachtet werden. Ob direkt in der Altstadt oder am Virgl sei dahingestellt – wesentlich ist, dass die An- und Abreise ins Zentrum beziehungsweise aus dem Zentrum erfolgt.
Wer erst einmal im Zentrum ist, nimmt die weiteren, sich bietenden Gelegenheiten wahr. Ansonsten besteht die Gefahr, dass das Zentrum gemieden wird.
Welche Effekte die verschiedenartigen Standorte konkret auf das Verkehrssystem – und in der Folge auf das ökonomische und kulturelle System – haben, muss in konkreten Verkehrswertanalysen im Rahmen einer seriösen Studie ermittelt werden. Liegen transparente Zahlen vor, fällt die Entscheidung sachlicher und nachvollziehbarer aus.
Für den Virgl spricht, dass architektonisch Neues entstehen kann, das eine attraktive Wirkung erzielt. Zumindest, solange das Neue als „neu“ wahrgenommen wird. Zudem garantiert die Seilbahnanbindung aus der Innenstadt, dass die Stadt selbst nicht verliert und nur noch als Nebenerscheinung wahrgenommen wird.
Einen besonderen Charme würde allerdings ein Standort in historischer Bausubstanz in Bozen entwickeln, bei dem das Historische und Althergebrachte mit moderner Funktionalität und zeitgemäßem Design verbunden wird. Ein weitgehend entkernter Altbau, bei dem die historische Tragstruktur aus Mauerwerk-Gewölben zu Tage gebracht wird, verbunden mit moderner Struktur aus Stahl, könnte – als kühne Idee – ein angemessener Ort für den Ötzi sein, der dem Besucher dazu auch noch die Geschichte Bozens – von Grund auf – näher bringt. Bozen würde damit am ehesten mit seinen baukulturellen Facetten nachhaltig aufgewertet werden.
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Weiterführende Literatur:
[1] Michael Demanega: „Das Verkehrswertmodell als Grundlage für eine intelligente und transparente Verkehrsplanung am Beispiel Südtirols“, Technische Universität Wien 2017 (Link)