Bauen steht für das Grundvertrauen in den Ort. Aus dem Bauen ergibt sich die Sesshaftigkeit. Weil sich gegenüber der wilden Natur eine menschliche Ordnung durchsetzt, die Sicherheit gibt. Der Begriff Genius Loci steht mystisch für diese Verbindung zum Ort.
Der Wiener Architekt Roland Rainer schreibt zu der Faszination des elementaren Bauens: „Warum üben die mit einfachsten Mitteln in einfachster Weise überraschend gleichartig gebauten Orte eine so nachhaltige Wirkung, eine eigenartige Anziehungskraft aus? Warum wirken die geordneten, niedrigen Häuser an weiten übersichtlichen Straßen so selbstverständlich als Teil der Landschaft? Gegenüber der bedrückenden Fülle der Eindrücke des urbanen Raumes wirkt die Weite, Ruhe und Einfachheit, der wohltuende menschliche Maßstab der ländlichen, unberührten Orte wie eine Befreiung“ [1].
Und weiter: „Der Stil ist nicht das Elementare. Das Elementare ist das Material, das Handwerk und das Bedürfnis“.
Es stellt sich in diesem Zusammenhang die Frage, was beim Bauen „elementar“ sein soll. Vielleicht sollten wir das „Elementare“ als Synonym für das Grundlegende auffassen und für die letzten Ursachen, die unserem Sein und Tun vorausgehen.
Das Elementare im Bauen findet sich zuallererst im traditionellen Bauen. Der Blick auf das traditionelle oder vernakuläre Bauen – vom Lateinischen „vernaculus“ abgeleitet, das eine Struktur bezeichnet, die sich aus dem Ort heraus ergibt – zeigt Formen auf, die aus der Auseinandersetzung mit der Natur entstammen sowie aus den entkontextualisierten und symbolisierten Erfahrungen, die wir „Kultur“ nennen.
Kultur ist im Gegensatz zur Natur das, was der Mensch selbstgestaltend hervorbringt. Zwischen der unberührten Natur und der Kultur gibt es allerdings auch noch – sie macht den Großteil, wenn nicht alles aus – eine menschliche Natur, also die geprägte, begrenzte und in ihre Bahnen gelenkte Natur. Weil selbst jene Bereiche, die der Natur überlassen sind, auf bewusste menschliche Entscheidung zurückzuführen sind, ist die menschliche Natur die Regel.
Der Begriff „Kultur“ kommt vom Lateinischen „cultura“ und meint die Bebauung, Bearbeitung und Pflege. Anfangs auf die landwirtschaftliche Kulturalisierung bezogen, bekommt der Begriff eine zunehmend geistige Bedeutung und bezieht sich auf die geistigen Ergebnisse menschlicher Betätigung.
Der italienische Kunsthistoriker Marco Bussagli schreibt zu den grundlegenden Anforderungen an das Gebaute: „Die Architektur, im ursprünglichen Sinn des Planens und Bauens, ist eines der Mittel, die dem Menschen zur Verfügung stehen, um seinen Lebensraum zu gestalten. Mittels der Baukunst schaffen wir Räume, die funktionieren, indem sie kollektive und individuelle Bedürfnisse befriedigen. Der Drang des Menschen, sich eine dauerhafte, standfeste Behausung zu schaffen, ist elementar und uralt“ [2].
Es sind die menschlichen Bedürfnisse – und vorerst jene nach Schutz und nach Wohlbefinden –, die den Menschen zur Umgestaltung seiner materiellen Umgebung bewegen.
„Die Beziehung des Menschen zu seinem Lebensraum wird von seiner anatomischen Struktur konditioniert“ schreibt Marco Bussagli. Damit ist gemeint, dass der Mensch, der sich im Raum bewegt, den Raum im menschlichen Maßstab umgestaltet.
Der Mensch definiert sich zuallererst über seine Sinne. Der früheste Sinn ist der Tastsinn, durch den wir uns bewusst werden, dass wir als Menschen eine räumliche Gegebenheit sind. Indem wir sehen, stellen wir räumliche Beziehungen her und schätzen die Dinge ein. Unser Gehörsinn erweitert unsere Wahrnehmung und ermöglicht die Kommunikation. Geruch und Geschmack ordnen die Gegebenheiten ein.
Damit ist vielleicht die erste und vorerst wesentliche Gegebenheit des „elementaren Bauens“ erreicht: Die gefühlte Leiblichkeit im Raum. Dieser Leiblichkeit sind wir uns nicht immer bewusst. Erst im Dialog mit den äußeren Einflüssen wird unsere Leiblichkeit fühlbar.
Im Bauen treten folglich elementare Gegebenheiten zu Tage. Gottfried Semper, der herausragende deutsche Architekt des 19. Jahrhunderts, prägt den Begriff des „Elementaren“ im Bauen.
In seinem Werk „Die vier Elemente der Baukunst“ schreibt Semper: „Das erste Zeichen menschlicher Niederlassung und Ruhe nach Jagd, Kampf und Wanderung in der Wüste ist heute wie damals, als für die ersten Menschen das Paradies verloren ging, die Einrichtung der Feuerstätte und die Erweckung der belebenden und erwärmenden speisebereitenden Flamme. Um den Herd versammelten sich die ersten Gruppen, an ihm knüpften sich die ersten Bündnisse, an ihm wurden die ersten rohen Religionsbegriffe zu Kulturgebräuchen formuliert. Durch alle Entwickelungsphasen der Gesellschaft bildet er den heiligen Brennpunkt, um den sich das Ganze ordnet und gestaltet. Er ist das erste und wichtigste, das moralische Element der Baukunst. Um ihn gruppieren sich drei andere Elemente, gleichsam die schützenden Negationen, die Abwehrer der dem Feuer des Herdes feindlichen drei Naturelemente; nämlich das Dach, die Umfriedigung und der Erdaufwurf“.
Bei Semper geht es folglich darum, die elementarsten und ursprünglichsten Anforderungen an das Bauen zu formulieren.
„Elementar“ bedeutet im Lateinischen so viel wie grundlegend, wesentlich, substanziell und bezeichnet den Grundstoff, aus dem die Dinge sind, sodass der Begriff der „Materie“ synonyme Bedeutung zu haben scheint. Die Materie ist der Stoff, die Ursache, die Substanz. Der Begriff entstammt dem Lateinischen „mater“ für Mutter oder „materies“ für Holz und Baumstämme.
Bei Aristoteles sind der „Stoff“ oder die „Materie“ der Gegenbegriff zur „Form“. Die Materie ist das Ungeformte und (noch) Gestaltlose.
Die Form wird bei Semper aus den elementaren menschlichen Bedürfnissen sowie aus der Materialität der Dinge heraus entwickelt. Die Antike war nach Semper folglich weniger ein Phänomen der Naturnachahmung, denn der Formgebung. Die Form sei „Ausdruck einer Idee“ [3], womit sich Sempers Anspruch an das Bauen erklärt.
Wenn es um die Form geht, dann geht es um die Materialisierung einer Idee. Von den elementaren Bezügen im Raum ausgehend, vollendet sich der Entwurf durch die bewusste Form.
In der konkreten Form, die nicht nur Oberfläche ist, sondern in der eine Innerlichkeit mit einer Äußerlichkeit ineinander greift, vereinen sich das Sinnliche und das Geistige.
Zur Einbeziehung des Geistigen muss man die Elemententheorie wohl weiter denken. Neben den vier materiellen Elementen gibt es noch ein fünftes Element, die so genannte „Quintessenz“ oder das „fünfte Seiende“. Dieses fünfte Seiende ist das Erhebende, das Leuchtende, das Scheinende. Die Erscheinung steht auf der „Schwelle von Immateriellem zu Materiellem“, schreiben Gernot und Harmuth Böhme. Bei Platon ist das Schöne das „Leuchtendste des Seienden“.
Das eine sind die Sinne, etwas anderes ist das, was wir in unserem Innersten wahrnehmen und fühlen und das die Wirklichkeit zu heben oder zu senken vermag.
Gianni Bussagli verortet unser Bewusstsein für Schönheit und Proportion in unserem Herzen: „Unsere gesamte biologische Existenz wird von ganz bestimmten Rhythmen dominiert: Einatmen, Ausatmen, Schlafen und Wachen, der stete Herzschlag. Mit anderen Worten, der dem Menschen angeborene Sinn für den Rhythmus schafft die Voraussetzungen für eine Empfindung der Harmonie, die die Architektur durch entsprechende Strukturierung von Baukörpern im korrekten Wechselspiel auslösen kann“ [2].
Und weiter zu Raum und Zeit, also zu den wesentlichen Bedingungen des Menschseins: „Der architektonische Raum hat auch eine zeitliche Dimension. Es dauert eine gewisse Zeit, Räume zu durchschreiten, und der Raum zwingt demjenigen, der ihn durchquert, diesen Rhythmus auf. Idealerweise begünstigt und unterstreicht die Raumabfolge und Dimension die Gestaltung und Funktion der Räume. Dann erwacht Architektur zum Leben“.
Folglich gilt für das Gebaute und für die Umgebung exakt das, was auch für die Musik gilt. Musik ist ebenso und nicht weniger eine rhythmische Abfolge von Inhalten und Pausen, die im Raum vernehmbar wird.
Im Gegensatz zu einem Bauen, das vor allem „Inszenierung“ ist, gibt es folglich ein Bauen, das elementare Gegebenheiten zu materialisieren vermag. Um dieses Bauen soll es, ausgehend vom bodenständigen Bauen, gehen.
Der Zugang zu diesem Bauen beginnt beim Territorium und bei den räumlichen Gegebenheiten. Das Territorium ist in diesem Zusammenhang der Grund und steht für die ganz spezifische, persönliche Heimat.
Das, was uns die Natur schenkt, wird in das Bauen projiziert. Immer wird durch das Bauen das Land strukturiert und es entstehen menschliche Umgebungen, mitunter auch Formen, die Schutz und Geborgenheit stiften.
Erst mit der Zeit scheint das Bedürfnis nach Ästhetik und Repräsentation zunehmend wichtig zu werden. Formen entstehen, die sich über das Bodenständige erheben und ihre Ordnung in einer ästhetischen Welt begründen. Erst mit der Moderne wird die Beziehung zum Territorium und zur Umgebung scheinbar beendet. Und doch: In einer Welt, in der alles flexibel und unverbindlich erscheint, gibt uns die bewusste Form, die sich in Raum und Zeit einordnet, und wie sie im elementaren Bauen postuliert wird, Zuversicht und Sicherheit.
Literatur:
[1] Rainer, Roland: „Ein Plädoyer für die Einfachheit“, „Denkmalpflege in Niederösterreich“ – Amt der Niederösterreichischen Landesregierung, Band 57, St. Pölten 2017
[2] Marco Bussagli: „Was ist Architektur – Epochen, Stile, Techniken von der Antike bis zur Moderne“, Kaiser Verlag, Klagenfurt 2004
[3] Gottfried Semper: „Der Stil in den technischen und tektonischen Künsten oder Praktische Ästhetik“, Verlag für Kunst und Wissenschaft, Frankfurt am Main 1860