Wie der Brennerbasistunnel zum Erfolg wird – Drohende offene Zulaufstrecke im Süden

Zweifelsfrei wird der Brennerbasistunnel der Entwicklung des öffentlichen Verkehrs in Europa sowie der europäischen Integration einen deutlichen Schub geben. Allerdings nur, wenn die Rahmenbedingungen stimmen.

Der Brennerbasistunnel war lange Zeit ein politisch-mediales Konfliktthema. Dieser Konflikt wurde allerdings nicht durch Dialektik, sondern durch politische Entscheidung unter Ausschluss partizipativer Prozesse „gelöst“. In Zukunft stellt sich die Frage, ob und inwiefern diese Praktiken überhaupt noch zeitgemäße Formen der Debatte und Entscheidungsfindung bei öffentlichen Infrastrukturprojekten darstellen. Die Akzeptanz derartiger Projekte sowie die Transparenz bei ihrer Umsetzung ist nämlich das Um und Auf.

Konrad Spang hält hierzu fest: „Über lange Zeit war die Technik der entscheidende Aspekt bei der Planung von Infrastrukturprojekten, also die Frage, wie lässt sich der Verkehrsweg hinsichtlich Trassierung und Minimierung von Einschnitten, Tunnel und Brücken optimal technisch lösen“ [1]. Demgegenüber habe die Fragestellung nach der gesellschaftlichen Akzeptanz stark zugenommen. „Die Frage der Akzeptanz durch die Gesellschaft wird ganz wesentlich davon abhängen, in welchem Maß die Bürger von der Sinnfälligkeit und dem Nutzen für die Gesellschaft, aber auch für sie persönlich überzeugt werden können“.

Für die Akzeptanz wesentlich seien: Vorteile für die Gesellschaft, Vorteile für die Volkswirtschaft, Vorteile für den einzelnen Bürger durch kürzere Fahrtzeiten und weniger Stau, Vorteile für den einzelnen Bürger durch bessere Erreichbarkeit seiner Fahrtziele, Vorteile für Unternehmen und die Wirtschaft. Akzeptanzverbessernd seien „vernünftige“ Kosten, Kosten- und Risikoehrlichkeit, Glaubwürdigkeit des Vorhabenträgers und Beteiligung der Bürger und Verbände in vollem Umfang.

Die Brennerroute

Die bestehende Trasse der Brennereisenbahn ist aufgrund ihres kurvenreichen Verlaufs, der zahlreichen geologischen Risiken mit Ausfallrisiken sowie der mangelnden Abstimmung des österreichischen und des italienischen Eisenbahnnetzes heute nicht zeitgemäß. Investitionen sind in jedem Fall notwendig. Mit dem Brennerbasistunnel, der eine flache Verbindung zwischen Innsbruck und Franzensfeste verwirklicht, ist eine deutliche Leistungssteigerung denkbar.

Die derzeitige Brennerstrecke hat eine Kapazität von rund 260 Zügen am Tag. Mit dem Brennerbasistunnel soll die Kapazität – mehr oder weniger – um zusätzlich 300 Züge pro Tag erhöht werden. Dazu muss allerdings erst einmal ein Betriebskonzept folgen, das bis heute hin aussteht und welches die Netzplanung realistisch erfasst.

Fest steht heute: Der Brennerbasistunnel wird gebaut und an der Realisierung führt kein Weg vorbei. Die Fertigstellung und Inbetriebsetzung ist – mit Verzögerungen – in den frühen 2030er-Jahren geplant. Es ist folglich notwendig, dass mit Blick auf den Bau der Zulaufstrecken im Norden sowie im Süden die Herausforderungen betreffend Baustellenlogistik, Baustellenmanagement, Handhabung des geologischen und hydrologischen Risikos mit höchster Sensibilität gelöst werden. Es öffnet sich allerdings auch eine Zeitspanne von 10 Jahren – oder mehr – zwischen Fertigstellung der Hauptröhre und potenzieller Fertigstellung der südlichen Zulaufstrecke, die verkehrsplanerisch gelöst werden muss.

Herausforderungen und Probleme

Fest stehen in diesem Zusammenhang zwei Tatsachen:

1. Der Brennerbasistunnel ist nur mit verkehrspolitischen Rahmenbedingungen sinnvoll, die auch heute möglich und notwendig sind, jedoch auf politischer Seite nicht mit absoluter Konsequenz verfolgt werden, sodass der berechtigte Zweifel besteht, dass diese Maßnahmen auch nach Fertigstellung der Tunnelröhren nicht umgesetzt werden.

Heute fehlt es nicht nur an Maßnahmen, die den Verkehr effizient von der Straße auf die Schiene verlagern, sondern es besteht ein permanenter Überlastungszustand auf der Brennerautobahn.

Verkehrsplanerische Auseinandersetzungen legen dar, dass der Bau des Brennerbasistunnels – abgesehen von höheren Kapazitäten – noch keine Verkehrsverlagerung im Güterverkehr von der Straße auf die Schiene bewirken und dass dazu verkehrspolitische Rahmenbedingungen auf Seiten der Preisgestaltung unbedingt notwendig sind [2].

2. Ohne Zulaufstrecken im Norden und im Süden der Hauptröhre zwischen Innsbruck und Franzensfeste ergeben sich einerseits Flaschenhälse und andererseits offene Trassenführungen, die – entsprechend der Anzahl der geplanten Zugverbindungen sowie des geplanten Geschwindigkeitsniveaus – eine beträchtliche Belastung für die Bevölkerung darstellen werden.

Die derzeitigen Prognosen sehen eine Realisierung der südlichen Zulaufstrecken frühestens ab 2040 vor. Dies geht aus einer Beantwortung einer parlamentarischen Anfrage durch die Bundesministerin Leonore Gewessler hervor, die als Vertreterin der Republik Österreich immerhin 50% des Bauprojektes trägt. Potenziell muss folglich rund 10 Jahre die derzeitige Trasse als offene Trassenführung genutzt werden. Insofern keine deutliche Beschleunigung der Fertigstellung der südlichen Zulaufstrecke denkbar ist und diese weit vor 2040 fertiggestellt wird, müssen verkehrsplanerische Rahmenbedingungen verwirklicht werden, die die Lebensqualität sichern.

Parlamentarische Anfrage, Antwort durch Bundesministerin Gewessler

Gefahren im Süden

Der Brennerbasistunnel selbst ist für Entwurfsgeschwindigkeiten für den Güterverkehr von 120 km/h und für Entwurfsgeschwindigkeit für den Personenverkehr von 250 km/h geplant. Groß ist folglich die Gefahr, dass für die verbleibenden 10 Jahre – oder mehr – die derzeitige Trasse im Südtiroler Unterland „angepasst“ wird, um mehr Gleise und höhere Entwurfsgeschwindigkeiten zu ermöglichen. Viel zu groß ist das Risiko, dass dadurch die Fakten geschaffen werden, damit die Trassenführung rein offen erfolgt.

In diesem Zusammenhang ist festzuhalten, dass in Nordtirol in einem Gutachten zur Lueg-Brücke der Tunnellösung knapp der Vorzug gegeben wurde. Im Südtiroler Unterland hätte die offene Trassenführung noch mehr – ökonomische – „Vorteile“ und deutliche Nachteile für die Bevölkerung und die Lebensqualität. Eine Inbetriebnahme der südlichen Zulaufstrecke ist ab 2040 geplant. Kennt man die Verzögerungen, dann darf diese Jahreszahl deutlich nach hinten geschraubt werden.

Parlamentarische Anfrage, Antwort durch Bundesministerin Gewessler

Zweifelsfrei wird es der Entwicklung des öffentlichen Verkehrs in Europa sowie der europäischen Integration einen deutlichen Schub geben, wenn auf der Nord-Süd-Achse zwischen Berlin und Palermo einige Stunden eingespart werden und der Eisenbahnverkehr effizienter, schneller und sicherer abgewickelt werden kann. Diese Entwicklung ist allerdings nur dann möglich, wenn die Akzeptanz der betroffenen Bevölkerung gegeben ist und alle Zusatzmaßnahmen entlang der Strecke, nämlich nördliche und südliche Zulaufstrecken, akzeptabel umgesetzt sind. Bis dahin muss das Jahrhundert- oder Jahrtausendprojekt Brennerbasistunnel eben warten.

Hier geht es zur parlamentarischen Anfrage samt Beantwortung (Link).

Literatur:

[1] Konrad Spang: „Projektmanagement von Verkehrsinfrastrukturprojekten“, Springer Vieweg Verlag, Berlin Heidelberg 2016

[2] Michael Demanega: „Das Verkehrswertmodell als Grundlage für eine intelligente und transparente Verkehrsplanung am Beispiel Südtirols“, Technische Universität Wien 2017

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