Dem Bauwesen sagt man den wesentlichen Unterschied zu zahlreichen Bereichen des Ingenieurwesens nach, dass Einzelstücke und keine Serienanfertigungen entstehen würden. Dieser Umstand verursacht das große und teure Risiko, das jedem Bauprojekt immanent ist: Abweichungen, Verzögerungen, Mängel. Selbstverständlich sind der Baugrund genauso wie die individuellen Vorstellungen der Bauherren immer eine singuläre Angelegenheit. Im Bauwesen selbst kann und muss es aber entgegen der vielfachen Praxis auch Ansätze im Sinne eines Projektmanagements mit laufender Lernfähigkeit geben.
Das „Harvard Business Manager“-Magazin widmet die Ausgabe im Februar 2022 unter dem Titel „Das wird schon“ dem Schwerpunkt Projektmanagement und bezieht sich im Wesentlichen. Chefredakteurin Antonia Götsch hält im Vorwort fest, dass gerade Infrastrukturprojekte viel über die Psychologie aussagen würden, weil alle Beteiligten bei Staudämmen, Flughäfen oder U-Bahnen etwas nie Dagewesenes, Einzigartiges, Individuelles schaffen wollten: „Nicht frei davon, uns verewigen zu wollen“. Kluges Projektmanagement brauche hingegen „Demut“: „Kein Denkmal, sondern Fokus auf Kunden und Lösungen“.
Die Kritik ist nachvollziehbar: Während sich das Bauen vielfach mit dem Bauen selbst befasst – und sich dabei in den unendlichen Welten des Bauens und seiner Prozesse vielleicht verirrt -, gehen andere Branchen des Ingenieurwesens von funktionellen Produkten aus. Im „Design Thinking“ wird das Produkt vom Kundennutzen her entwickelt. Ein Ansatz, der beim Bauen zu selten gewählt wird, weil die Selbstverwirklichung im Bauwerk an erster Stelle steht – und Effizienz, Dauerhaftigkeit, Anpassbarkeit, Modularität und Tragwerksplanung als Mehrzweckaufgabe, bei der das Tragwerk nicht nur trägt, sondern auch andere Funktionen übernimmt, im Hintergrund stehen.
Diese Tendenz entsteht vor allem auch durch den arbeitsteiligen Planungsprozess, bei dem jeder Planungsbeteiligte immer nur die eigene eng gesteckte Aufgabe zu bewältigen hat und die Interdisziplinarität von Anfang an eher Floskel als Grundsatz ist. Irgendjemand arbeitet ein „fertiges“ Projekt aus und dann sind die Fachplaner dran, dieses realisierbar zu machen. Schaffen diese das nicht, stehen die Konflikte an. Können die Bauunternehmen hingegen den Plan-Soll nicht mangelfrei realisieren, stehen erst recht die Probleme an. Ein interdisziplinärer Ansatz von Anfang an könnte viele Konflikte und Zeitverschwendungen verhindern.
Das Harvard-Magazin urteilt hart: „Viele Großprojekte scheitern, weil sie auf ein individuelles Ergebnis abzielen – gerade im Bauwesen. Teile, Technologien und Verfahren sind maßgefertigt. Dadurch sind die Lernmöglichkeiten gering, die Kosten für Nachbesserungen hoch. Projekte bringen zudem erst nach ihrer Fertigstellung einen Nutzen“. Daraus folgt: „Projektmanager müssen auf zwei Faktoren achten: Reproduzierbare Modularität im Design und Geschwindigkeit bei der Iteration. Lässt sich ein Projekt schnell und modular umsetzen und gibt es dabei Raum für Experimente und Lernen, wird es viel eher zum Ziel führen“.
Die Lösung seien Projekte nach dem „Lego“-Prinzip, welches bei Alphabet respektive Google angewandt werde: „Erschaffen Sie ein Produkt, liefern Sie es aus, beobachten Sie, wie es funktioniert, entwerfen und implementieren Sie Verbesserungen und bringen Sie es erneut auf den Markt. Die Unternehmen, die diesen Prozess am schnellsten durchlaufen, werden sich durchsetzen“.
Das Um und Auf beim Projektmanagement ist es, laufend zu lernen und immer schneller und besser zu skalieren. Auf ein Bauprojekt heruntergebrochen bedeutet dies, dieses in Bauabschnitten auszuführen und laufend die Prozesse zu optimieren. Oder aber grundsätzlich in Richtung Modularisierung zu wirken. Zur Verfügung steht die Stage-Gate-Methode: Diese unterteilt den Fertigungsprozess in Bearbeitungsphasen (stages) und Entscheidungspunkte (gates). Vor jedem neuen Abschnitt werden die vergangenen Bearbeitungsphasen analysiert und Lerneffekte generiert. Durch diese Ansätze wird der Projektbearbeitung ihr größtes Manko genommen: Projekte enthalten per Definition immer etwas, das noch nie zuvor getan wurde.
Agiles Projektmanagement konzentriert sich auf Ergebnisse und Mehrwerte, die nicht nur materieller Natur sind, sondern auch und vor allem in der Persönlichkeitsentwicklung und in der Strategieentwicklung liegen können und müssen. Misserfolge gehören zum Projekt. Wesentlich ist aber eine positive Fehlerkultur und ein Lerneffekt. Genauso wichtig wie die Projektbearbeitung sind folglich die Vorarbeit, also das Bilden eines leistungsfähigen Teams, ein Abstecken der Rollen, eine Definition der Ziele und der Strategien, sowie die Nachbearbeitung.
Schematisch dargestellt bedeutet dies, dass vor jedem Projekt die folgenden Fragestellungen abzuarbeiten sind:
- Festlegung des Zwecks
- Festlegung der beteiligten Personen sowie der Ressourcen, aber auch der Stakeholder, die von dem Projekt profitieren werden und eingebunden werden können / müssen
- Prognose über die Ergebnisse
- Festlegung der Planungsprozesse
- Definition eines Veränderungsmanagements bei Abweichungen zur Minimierung des Risikos
- Welche Investitionen sind notwendig?
- Welcher konkrete Nutzen ist erwartbar?
Ohne aktives Prozessmanagement sind diese Implementierungen kaum machbar.
Welche Perspektiven eröffnet dies für das Bauen?
Die Vorteile betreffen in besonderem Maße den modernen Holzbau. Das Bauen mit Holz ist heute jene Sparte des Bauwesens, die den größten Innovationsvorsprung an den Tag legt. Das Planen und Bauen wandert zunehmend von der Baustelle in die Fertigungshalle, wo computergestützt an komplexen und detaillierten Lösungen gearbeitet wird, die schlussendlich in Modulen gefertigt und geliefert werden.
Durch die Verlagerung in die Fertigungshalle verringern sich die Fehleranfälligkeit und es sind nachhaltige Lerneffekte erwartbar. Fachplaner integrieren ihre Anforderungen frühzeitig in ein digitales Modell, das nicht nur ein abstraktes Modell bleibt, sondern maschinell in die Wirklichkeit umgesetzt wird. In der Nachbearbeitung ist es möglich, Ergebnisse digital auszuwerten und im Sinne von „Artificial intelligence“ (AI) maschinelle Lerneffekte zu implementieren.
Im modernen Holzbau wird agiles Projektmanagement heute schon Wirklichkeit.