Entwicklungen und Tendenzen
Frühe Karrieren spielen sich vor 30, mittlere Karieren zwischen 30 und 40 und späte Karrieren nach 40 oder praktisch gar nicht ab, weil späte Karrieren in vielen Berufswirklichkeiten nicht wirklich vorgesehen sind. In manchen Branchen gibt es auch gar keine Karrieremöglichkeiten, weil das Unternehmen schlichtweg zu klein ist oder weil im Projektmanagement und unter dem Eindruck möglichst flacher Hierarchien das gesamte mittlere Management mehr oder weniger beseitigt wurde.
Alle gleich und alle gleich weit unten vereinfacht viele Konflikte. Indem die Hierarchien flacher werden, werden diese allerdings auch viel breiter, was die kurzen Wege nicht wirklich fördert, sondern breiter macht. Wir gehen halt alle mehr. Und wirken im Ernstfall desorganisiert.
Daraus folgt, dass Karrieremöglichkeiten heute sehr begrenzt sind. Die liberalisierte globale Marktwirtschaft hat durch flache Hierarchien, in denen jeder Einzelne austauschbar ist, endlich ihre größtmögliche Flexibilität erreicht, ohne Hierarchien ganz abzuschaffen. Der Karriereweg ist allerdings nicht mehr automatisch vorgegeben und auch keine Frage der Zeit, sondern eher die Ausnahme. Wer diesen Einstieg nicht frühzeitig schafft, schafft ihn auch später kaum noch.
Derartige Karrieremodelle sind wenig inklusiv und auch wenig offen. Exemplarisch ist dadurch der Berufseinstieg von Müttern in einer angemessenen und karrieretechnisch interessanten Position faktisch unmöglich. Das Beispiel der Mütter ist aber nur exemplarisch: Wer zu spät kommt, den bestraft grundsätzlich das Leben. Wer hingegen möglichst früh gute Unterstützer und Förderer hat und nicht nur mit aufreibender Sachbearbeitung, sondern mit Führung und Repräsentation betraut wird, gewinnt. Offenbar.
Führung
Wenn fachliche Kompetenz letztlich nur noch auf der untersten Karrierestufe angeordnet ist, stellt sich aber auch eine Diskrepanz und Entfremdung ein, weil der Zusammenhang zwischen Leistung und Verdienst nicht mehr gegeben ist.
Boris Kaehler schreibt zu disziplinarischer und fachlicher Führung: „Disziplinarische Führung umfasst Entscheidungsbefugnisse in Bezug auf sonstige, speziell formale personelle Maßnahmen wie Leistungsbeurteilungen, Einstellungen / Kündigungen, Abmahnungen, Versetzungen, Gehaltsfragen, Weiterbildungs- und Entwicklungsmaßnahmen oder Bewilligung von Urlaub, Dienstreisen etc. je nach Definition nach Aufgaben wie Lob / Tadel, Arbeitszeitbemessung und Anwesenheits- / Pünktlichkeitskontrollen. Ein verbreitetes Modell besteht darin, die unterste Leistungsebene einer Hierarchie nur mit fachlichen Führungskompetenzen auszustatten und die disziplinarischen Kompetenzen der nächsthöheren Leitungsebene vorzubehalten“ [1].
Diese Aufsplitterung ist grundsätzlich problematisch. Während die disziplinarische Führung Aufgaben verteilt, steht die fachliche Führung für die Verantwortung für Ergebnisse. Gerade im Rahmen von Projekten, bei denen die Arbeit an und für sich sehr dynamisch ist, definiert die fachliche Führung die Ziele, sodass sich automatisch personelle Aspekte ergeben.
Wenn hingegen die fachliche und disziplinarische Führung getrennt sind, entsteht schnell der Eindruck, dass Führungspositionen dazu da sind, die Fachkräfte zu kontrollieren und zu disziplinieren. Steht aufseiten der disziplinarischen Führung wenig Erfahrung und wenig Fachwissen, ist der gegenseitige Respekt nicht immer gegeben. Zu recht.
Die Hierarchien sind im projektbezogenen Arbeiten flach und es entstehen Teams, die sich in ihren Kompetenzen ergänzen und den „Team Spirit“ in den Mittelpunkt stellen. Dadurch, dass die fachliche Kompetenz im Mittelpunkt steht, ist ein inklusives Modell geschaffen, bei dem sich fachliche Leistung messen lassen kann und wo es sich auszahlt, mittel- und langfristige Ziele zu verfolgen. Allerdings geht es ohne Hierarchie nicht.
An Bedeutung gewinnen heute „horizontale“ und nicht-lineare Karrierewege. Vielleicht besteht gerade in der Nicht-Linearität und in der Flexibilität des neuen Arbeitens eine höhere Stufe der Persönlichkeitswerdung: Wir machen mehr Erfahrungen, wie passen uns öfter an, wir verstehen die Dinge auch außerhalb des Tellerrandes. Wir haben eigene Meinungen und den Mut, auch anzuecken, die Dinge tiefer, weiter, zusammenhängender zu sehen.
Das wirft auch Widerstände auf. Diejenigen, die sich um „Human Resources“ kümmern, suchen nämlich nicht herausragende Köpfe, sondern diejenigen, die sich aalglatt in die bestehende Struktur eingliedern lassen. Ein mittel- und langfristiges Problem aller laufenden Systeme. Dann, wenn der „perfekte Bewerber“ nämlich einen aalglatten Lebenslauf hat, dann stehen Innovation und Reflexion nicht im Mittelpunkt.
Der Konflikt zwischen fachlicher und disziplinarischer Führungsebene ist immer vorprogrammiert. Beide Ebenen sprechen nicht mehr die gleiche Sprache und arbeiten auch nicht mehr in die gleiche Richtung.
Durch die Flachheit und Austauschbarkeit ist zudem auch die Bindung des Mitarbeiters an das Unternehmen nicht mehr gegeben. Die möglichst große Flexibilität hat Vor- und Nachteile für alle Beteiligten. Wer – aus Unternehmersicht – möglichst alle ohne Führungsaufgabe auf der gleichen Ebene halten will, riskiert den Abgang der fachlich besten Köpfe an die Konkurrenz. Wenn intern keine Karrierewege möglich sind, dann besteht die Möglichkeit zur Veränderung scheinbar nur noch horizontal durch Wechsel nach außen. Stabilität sieht anders aus.
Der Ingenieur will, – nein – muss, gestalten!
Als Ingenieur betreffen diese Gedanken das eigene Wirken nur begrenzt, weil ohnehin das Fachliche im Mittelpunkt steht und das Messen ein fachliches ist. Allerdings ist rein fachliche Sachbearbeitung als Ingenieur, der per Definition an Ingenium interessiert ist, nicht erfüllend. Es geht um das Gestalten.
Und gestalten kann man sowohl im Kleinen als auch im Großen. Im Kleinen im bodenständigen Bauen. Im Großen bei größeren Strukturen. Indem wir nach dem Großen streben, verleihen wir auch dem Kleinen Größe und verwirklichen folglich bessere Projekte. Für Peter Sloterdijk ist es die „Vertikale im Leben“, die uns aufrecht stehen lässt. Ohne Vertikale knicken wir nämlich ein wie ein Gartenschlauch.
Der materielle Erfolg ist dann nicht das wichtigste. Das Wichtige ist, fachlich voran zu kommen, die Natur der Dinge zu verstehen und dann, wenn wir die Natur der Dinge gut verstehen, die Natur der Dinge auch zu gestalten. Das ist auch schon alles. So wie der Landwirt, der sein Feld beackert, beackern wir auf die eine oder andere Art und Weise die Umwelt, die uns umgibt, idem wir sie materiell und konstruktiv zu Höchstleistungen drängen – und zwingen.
Das Wichtigste beim Thema ist, sich selbst zu führen. Auch fachlich. Und frei zu sein. Dann gehört einem die Welt. Das Wissen, das man sammelt, kann einem niemand nehmen. Das Geheimnis des Lebens ist vielleicht: Große Pläne schmieden, kleine Erfolge feiern. Größere anstreben.
Literatur:
[1] Boris Kaehler: „Komplementäre Führung – Ein praxiserprobtes Modell der Personalführung in Organisationen“, Springer Gabler, Wiesbaden 2017
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