Wenn Francis Fukuyama in den 1990er-Jahren einen linearen Weltverlauf hypothetisierte, so stellt sich dieser mit Blick auf die aktuelle Weltlage als großer Trugschluss dar. Die Welt ist keine Einbahnstraße, die linear in eine Richtung zielt – und das ist auch gut so. Wäre sie das im Sinne des ideologischen Progressismus, dann wäre ohnehin jeder individuelle Einsatz obsolet.
Der Einzelne wäre dann im Sinne der Massenpsychologie, wie diese durch modernen Politikbetrieb, Werbeindustrie und mediale Uniformität betrieben wird, aufgehoben. Das ist beabsichtigt, nur nicht human.
In diesem Sinne postulieren moderne Karriere-Systeme die „lupenreine“ lineare Welt: Studium mit 25 beendet, Praktika-Portfolio, ja keine Bummelsemester, kein ehrenamtliches Engagement, keine Individualität, Eingliedern in die Karrierelaufbahn, wenig hinterfragen, alles mitmachen, „brav“ verurteilen, was die Massenmedien so vorgeben. Fertig ist das „perfektem“ System, das sich reibungslos an die Massenideologien anreiht.
Uniformität erzeugt allerdings keine Innovation. Innovation ist auf Mut zum Ausscheren angewiesen, nicht auf Anpassungszwang und banale Gleichmacherei. Linearität erzeugt keinen wirklichen Fortschritt. Echte Innovation vollzieht sich in Sprüngen und ist eine vollkommene Absage an die lineare, uniformierte Welt.
Der deutsche Schriftsteller Ernst Jünger postuliert wie andere Denker im überzeitlichen Sinne den „starken Einzelnen“ als Gegenentwurf zum modernen Massenmenschen, der – im Sinne des „Waldganges“ – noch ein ursprüngliches Verhältnis zur Freiheit hat. Freiheit nicht als blinde Uniformität des Nachäffens, das Abweichler an den medialen Pranger stellt, sondern als Verhältnis zum Eigentlichen, Existenziellen und Ursprünglichen. Dazu gehört der Mut des Abweichlers. Eine moderne Seltenheit. Folglich wird alles gleich und gleicher.
Anders gesagt: Was nützt ihnen ihre lineare Stellung im Karriere-System, wenn sie nicht mehr lachen, widersprechen und frei denken können und damit dem eigentlichen Menschsein widersagen?
Alles „Unsinn“, so der mediale Tenor. Noch nie waren wir so „frei“. Wenn aber Frei-Sein nur ein theoretisches Konstrukt ist, von dem niemand Gebrauch machen will, weil er Nachteile, soziale Widerstände und politische Beeinträchtigungen verspürt, dann ist das eine Farce sondergleichen. Der mediale Tenor: Sagen darf man alles. Aber höchstens ein Mal. Eine sonderbare Vergewaltigung von Freiheit. Aber um „Freiheit“ ging es vielleicht auch nie, sondern um ein selbst gezimmertes „System von Freiheit“, das eher auf Zwang zum vermeintlichen Fortschritt ausgelegt ist. „Haltung“ ist ja das Gegenkonzept zur Pflicht zur objektiven Wahrheitsfindungy
Unsere „Helden“ sind ohnehin andere. Dazu kann per se niemand gehören, der im Medienzirkus hofiert wird solange er den Vorgaben „entspricht“. Ein Korsett für jeden Medien-„Helden“. Unsere Helden sind diejenigen, die ein zwiespältiges Verhältnis zu jeder Macht einnehmen. Deren Lebensläufe nichtlinear und überraschend sind, weil sich darin die Tiefe des Lebens äußert. Diejenigen, die hinterfragen, sich an den Barrieren stoßen und das Menschsein als Freiheit des Einzelnen erachten, nicht als Zwang zur kollektiven Uniformität.
Unsere Helden sind diejenigen, die ein Verhältnis zum Boden, zur Natur, zu den Lebenszusammenhängen aufrecht erhalten und gewillt sind, in Freiheit und Unabhängigkeit zu leben. Das ist die nichtlineare Welt. Eine Revolte in Zeiten, wie diesen.
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