Wer nicht schnellstens Karriere macht, hinkt sein ganzes Leben lang hinten nach, machen uns diverse Karriere-Ratgeber weis. Studium mit 25 beenden, Traumberuf in leitender Funktion mit allerspätestens 30, Karrierehöhepunkt mit höchstens Mitte 30. Irgendwelche Tabellen sagen uns dann bestimmt auch noch, wie viel (natürlich ausgedrückt in zahntausenden pro Jahr) wir in welchem Alter verdienen müssen. Ansonsten ist die Reaktion recht heftig: Geringverdiener, Modernisierungsverlierer, Versager. Hinzu kommen dann auch noch all die privaten Verpflichtungen, mit Familie gründen, Haus bauen, Altersvorsorge abschließen, Geld anlegen, Kapital vermehren. Dass das alles erschöpft, liegt auf der Hand.
Der derzeit praktizierte Kapitalismus macht uns auch klar, dass jeder heute alles erreichen könne, wenn er denn nur wolle. Diese Illusion entpuppt sich mehr als deutlich als Farce. Faktisch dominiert in zahlreichen Branchen und Bereichen das „Vitamin B“, ohne Empfehlungen, Bekanntschaften und Unterstützung durch die „richtigen“ Entscheidungsträger geht es nicht, wer sich nicht an dieses Spiel anpasst und mitmacht, erkennt sofort die „gläserne Decke“, durch die es kaum ein Hindurch geben kann.
Auf der anderen Seite wird heute wieder einmal der so genannte Kampf um die „Fachkräfte“ heraufbeschworen, der entweder ein Marktversagen oder eine Farce darstellt. Hätte der Markt immer recht, würde es keinen Fachkräftemangel geben oder anders betrachtet, würde das reduzierte Angebot bei hoher Nachfrage den Preis nach oben treiben. Faktisch sind wir aber doch nicht bereit, unsere Preisvorstellungen anzupassen und faktisch findet sich irgendwo am Markt irgend jemand, der die Leistung zu einem geringeren Preis anbietet. Insbesondere in Bereichen, in denen die Qualität vorerst gar nicht zur Debatte steht, weil als Produkte scheinbar „gleich“ sind und sich Qualitätsunterschiede erst nach dem Mangel darstellen.
In diesem Versuch jedes Einzelnen, maximal auf Kosten aller anderen zu profitieren, eröffnet sich das Gegeneinander, das eine „Ausweitung der Kampfzone“ darstellt. Meistens – so die Konflikttheorie – verlieren dabei alle. Das Gegeneinander ist allerdings ein Problem. Zu viel Energie wird dabei durch die gegenseitige Reibung verspielt, die anderswo besser eingesetzt wäre, nämlich im gemeinsamen Weg nach vorne.
Wo alle auf Kosten aller anderen profitieren wollen, gehen nicht-materielle Werte verloren, die die Qualität des Lebens, aber auch der Arbeit ausmachen. Das Gepfusche nimmt dann irgendwann einmal Überhand. Man merkt es ganz deutlich. Und die Wertschätzung sinkt. Der Wert auch.
Wer sich am Streit und am Zwist ergötzt, wer glaubt, zu profitieren, imdem er andere kleiner macht, wer glaubt, dass die lauteste und brachialste Stimme zum Erfolg führt, der findet sich irgendwann einmal alleine wieder. Der „Erfolg“ besteht dann nicht darin, sich argumentativ durchgesetzt und überzeugt zu haben, sondern anderen die Lust genommen zu haben, sich weiter konstruktiv mit der Thematik zu befassen. Eine lose-lose-Situation. Wer laut ist, hat Unrecht. Immer. Wer den Dialog nicht führt, erst recht.
Das Manko ist vielfach das mangelnde gemeinsame Ziel, das höher liegt als die individuelle Bedürfnisbefriedigung. Kooperation erhöht die Erfolgschancen nämlich drastisch und schafft Win-win-Situationen.
Darin besteht auch ein Führungsauftrag in Organisationen: Führung bedeutet vorangehen, eine Organisation anführen, das große Ganze definieren und im Blick behalten, dabei das beste aus jedem Einzelnen heraus holen und jeden Einzelnen dort einsetzen, wo er am besten wirken kann. Vorangehen muss ein positives Menschenbild: Das Bewusstsein, wozu der Einzelne in der Lage ist, wenn er Rahmen, Halt und Unterstützung findet. Damit das Schaffen von Strukturen, die auch der Krise standhalten können und unnötigen Druck vom Einzelnen nehmen.
„Führung“ als Erhöhung des Drucks nach unten oder – nach Heinrich Mann – als Stoßen nach unten und als Schmeicheln nach oben funktioniert auf Dauer nicht. Nicht in Zeiten, wie diesen.
Wie auch sonst bewährt sich auch beim Thema Führung, was dem Ernstfall standhält. Beim Thema Führung ist der militärische Ernstfall der absolute Bewährungspunkt. Der gute Feldherr weiß es, auch im Angesicht der Bedrohung keine Unordnung zuzulassen, die die Negativspirale potenziert, sondern durch innere Ruhe, klare Entscheidung und Verantwortungsbewusstsein zu bestehen, das ganzheitlich ausgerichtet ist.
Glücklicherweise haben wir es nicht mit kriegerischen Ereignissen, sondern mit relativen Stresssituationen zu tun, bei denen erst recht starke Nerven und Gelassenheit zählen, weil es selten um Leben und Tod gehen wird.
Die Zukunft ist partnerschaftlich, mit Freiheit und Verantwortung, oder gar nicht. Starre Hierarchien ohne Transparenz, Augenhöhe, Wertschätzung, Innovation, Offenheit, freie Einteilung, Eigenverantwortung, Belohnung von Leistung sind von gestern. Oder vorgestern.
Wenn wir die Dinge lockerer nehmen, lösen sich die Blockaden im Kopf und die Knoten im Bauch. Es stellt sich ein Fluss der Dinge ein, die Dinge beginnen zu laufen und gut zu laufen. Es entsteht ein „Flow“, der die Bedingung ist für herausragende Leistungen. Mit Druck funktioniert nichts, weil sich Körper und Geist verkrampfen.
Zum positiven Menschenbild gehört es auch, niemanden als „Humankapital“ zu erachten, sondern als ganze Menschen, die sich nur zum Teil über ihren Beruf und ihre Karriere definieren und ansonsten an zahlreichen anderen „Baustellen“ wirken – vorausgesetzt, es gibt sie, diese Lebensziele.
Ganz am Ende stellt sich heraus, dass Karriere nicht das „Eigentliche“ ist. Das Eigentliche ist ein persönliches Lebensziel. Dieses kann sich unter anderem im Beruf äußern. Es zählt aber das große Ganze am Ende des Lebens. Zum Beruf und zur Karriere gesellt sich im Sinne des guten Lebens die Familie und das, was der Einzelne der folgenden Generation weiterzugeben vermag. Allen Versuchen, kurzfristigen Profit zu schlagen, zum Trotz – und zum Hohn.
Manchmal besteht das gute Leben einfach nur darin, die Zeit mit geliebten Menschen zu „verschwenden“. Und fast immer sind die interessanten Biographien nicht die geraden und eintönigen. Es zählt das größere Ganze. Das Leben wird vom Ende her gedacht.
Wer im Leben große, übergeordnete Ziele hat, wer sich fragt: „Leben, wozu?“ und danach lebt, wer sein Leben nicht nach kleinlichen Zahlen ausrichtet, die endlich sind, sondern das übergeordnete Ideal lebt, in die Gesellschaft und in die Familie trägt, bei wem am Ende des Lebens die nicht-materiellen Werte überwiegen, wer es schafft, der Materie Gehalt, Sinn und Geist zu geben, der kann gar nicht scheitern.