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Politische Metamorphosen und politische Folgen

Ob Metamorphosen oder Machtübernahmen: Wer diese Mechanismen nicht versteht, versteht in der „westlichen“ Welt nicht, was heute ist.

„Die lange Nacht der Metamorphose“ von Guillaume Paoli ist ein Essay, das sich mit den gesellschaftlichen und politischen Veränderungen im Laufe der letzten Jahrzehnte auseinandersetzt.

Mit „Metamorphose“ meint Paoli nicht graduelle oder oberflächliche Veränderungen, sondern fundamentale Umgestaltungen in verschiedenen Bereichen des Lebens, die alte Strukturen und Gewissheiten auflösen und neue, oft unvorhersehbare Formen annehmen. Infolgedessen ist von einer anthropologischen Mutation die Rede.

Paoli analysiert die Transformationen und Krisen der Gegenwart und versucht, die tiefen Umwälzungen in der westlichen Welt zu verstehen, ohne dabei Kritik an Kapitalismus und Liberalismus auszulassen.

Ein zentrales Thema ist der Verlust traditioneller sozialer Strukturen und Werte, die zu Unsicherheit und Orientierungslosigkeit führen würden.

Wirtschaftliche Veränderungen betreffen das Aussterben alter Industrien und neue, flexible, aber auch prekäre Arbeitsweisen. Traditionelle Parteien verlieren gegenüber populistischen Bewegungen an Bedeutung. Die technologische Entwicklung, insbesondere die Digitalisierung, verändert tiefgreifend, wie Menschen arbeiten, kommunizieren und leben. Angesichts der rasanten Veränderungen suchen Menschen nach neuen Identitäten und Sinnstiftungen.

Die herrschende Kapitalismuskritik von links würde den Kapitalismus nicht infrage stellen, sondern modernisieren: Gegen Patriarchat, spießige Moral, Ausgrenzung, Ausländerfeindlichkeit, für offene Grenzen. Im Übrigen würden die Liberalen nur noch die Revoluzzerposen an den Linken stören, substanziell sei man gleichgeschaltet. Im Übrigen würden die Linken den Kapitalismus nicht mehr systematisch bekämpfen, sondern benutzen, um effektiver für Emanzipation agitieren zu können.

Der herrsche Zeitgeist sei zwar medienaffin, im Grunde allerdings die Ideologie einer Minderheit von Professoren, Studenten, Publizisten und Politaktivisten, die für sich beansprucht, stellvertretend für alle Minderheiten zu sprechen. Im Grunde handle es sich um eine Zombie-Theorie, um eine Theorie ohne Leben.

Den Kampf gegen die Biologie, der sich in der Verachtung von Körperlichkeit äußere, stellt Paoli mit mittelalterlich-klerikalem Ekel gegenüber der Leiblichkeit gleich.

Weiters sei die radikale Kritik an der Normativität wesentlich, welche das vermeintlich „Unnormale“ ächte. Während die meisten Menschen einfach nur feststellen, dass sie irgendeiner Norm entsprechen – oder nicht -, konstruiert eine tonangebende linke Minderheit daraus „Unterdrückung“ und „Erniedrigung“. Wer gewollt oder ungewollt einer „Mehrheit“ angehört, verliert darüber hinaus jedes Recht, sich in Minderheiten hineinzuversetzen, Stichwort Identitätspolitik.

Bedeutend ist dann auch der ausgeprägte Internationalismus, der gegen Volk und Nation poltert. Dem hält Paoli entgegen: „Ob man es will oder nicht, ein jeder ist durch Sprache, Geschichte, Kultur und Sitten national geprägt (das weiß am besten der Expat, der tagtäglich die nationalen Differenzen erfährt und zu schätzen lernt)“. Die Folge sei eine Demokratie ohne Demos und eine Politik ohne Polis. Das Ethnos gäbe es dann auch noch. Der Einwand ist klassisch links: „Ist das gemeine Volk erst einmal weg vom Fenster, welche Entität bleibt dann gegenüber der Elite noch übrig?“.

Ob Metamorphosen oder Machtübernahmen: Wer diese Mechanismen nicht versteht, versteht in der „westlichen“ Welt nicht, was heute ist.