Bauen im Hang: Finite Elemente in der Geotechnik

Geotechnische Problemstellungen werden klassischerweise analytisch gelöst. Numerische Lösungen mittels Finiter-Elemente-Methode liefern nicht immer „bessere“ Lösungen.

Geotechnische Problemstellungen werden klassischerweise analytisch gelöst. Numerische Modelle machen nämlich spezielle Software notwendig, die meistens sehr teuer ist, während die Rechenleistung durch moderne Rechner nicht mehr das Problem darstellen sollte. Als Versagensmechanismen bilden sich in der analytischen Lösung Gleitkreise oder Gleitlinien heraus, wobei jener Versagensmechanismus zu finden ist, welcher über den geringsten Versagenswiderstand und folglich über die geringste Sicherheit verfügt.

Die Herausforderung mag für Außenstehende auch sehr einfach klingen: Kommerzielle Programme liefern alle nur denkbaren Lösungen für baupraktische Probleme. Denkt man dies zu Ende, dann stellt sich das Berechnen von Tragwerken sowie von geotechnischen Problemstellungen als „Computerspiel“ dar, bei dem es einzig und allein darum geht, so lange an den Parametern zu „spielen“, bis die Lösung aufgeht. Wenn gar nichts geht, „verbessert“ man im Notfall die Materialparameter so lange durch günstige Annahmen, dass alles passt. Letztlich sind die Ausführenden, die Planer und die Bauherren zufrieden gestellt, wenn die Berechnung schnell, einfach und die Lösung günstig erfolgt. Insofern die technische Lösung von der Erwartungshaltung abweicht, entsteht der Erwartungsdruck: „Das haben wir immer schon so gemacht“. Vielleicht findet sich letztlich auch jemand, der es riskanter, sprich billiger, macht.

Alles ist so lange gut, wie kein Mangel oder Bauschaden entstehen. Entsteht ein Schaden, muss irgendjemand zur Verantwortung gezogen werden. Alle Grundsätze, die bisher galten – schnell, günstig, konventionell -, gelten dann nicht mehr. Es wird richtig teuer.

Man muss sich die Angelegenheit mit der Software einmal anders durchdenken. Die Lösungen von Berechnungsprogrammen sind nicht als „Wisch“ aufzufassen, der besagt, dass das, was immer schon so gemacht wurde, auch weiterhin so gemacht werden kann und damit letztlich eine Behörde beruhigt wird. Grundsätzlich geht es um eine detaillierte Untersuchung einer Problemstellung, bei welcher am Ende ein bestimmtes, gefordertes Sicherheitsniveau mit gutem Gewissen festgestellt werden kann und nicht um Feststellung jenes Zustandes, der gerade noch mit Kopfzerbrechen und nach Bauchgefühl vertreten werden kann ohne gröbere rechtliche Probleme zu riskieren. Im letzteren Fall kann von keiner nachhaltigen Projektplanung die Rede sein, die das Risiko gezielt im Sinne einer effizienten Projektplanung minimiert, begrenzt und vorausblickend bewertet.

Nun handelt es sich bei vielen solcher Programme allerdings um „schwarze Boxen“, deren Rechnungsschritte nicht immer verständlich sind. Der planende und prüfende Ingenieur hat die Pflicht, durch Plausibilitätsrechnungen die Richtigkeit der Ergebnisse zu prüfen. Freilich, manchmal mag die „Erfahrung“ diese umfangreiche Prüfpflicht ersetzen. Umso komplexer das Problem, umso weniger zuverlässig ist allerdings die „Erfahrung“. Gerade in der Geotechnik, wo die Materialmodelle komplex, plastisch, zeitlich veränderlich und nichtlinear sind, ist die Problemstellung noch einmal um ein Vielfaches komplizierter. Es waren die Pionierleistungen eines Karl von Terzaghi aufseiten der Bodenmechanik und eines Leopold Müller aufseiten des Felsbaus, die gegen den etablierten Berufsstand bewirkten, dass sich explizite Wissenschaften heranbildeten, die eine Verifizierbarkeit der technischen Lösungen ermöglichten und nicht länger nur auf Erfahrungswerte setzten.

„Die Anwendung der Methode der Finiten Elemente (FEM) für eine geotechnische Aufgabenstellung setzt voraus, dass ein Berechnungsausschnitt des geotechnischen Systems festgelegt wird. An den Grenzen dieses Ausschnittes muss die Wirkung der abgeschnittenen Außenbereiche durch Kraft- oder Verschiebungsrandbedingungen erfasst werden“ [1].

„Numerische Berechnungen stellen mathematisch-physikalische Modellierungen praktischer Fragestellungen dar. Sie beinhalten eine vereinfachte Nachbildung des Baugrundes einschließlich der für die jeweils aktuelle Fragestellung relevanten Stoffeigenschaften. Hierzu stehen Stoffmodelle zur Verfügung, die das reale Verhalten des Bodens mathematisch abbilden. Um das mechanische Verhalten von Böden zu beschreiben, werden mit Stoffmodellen Zusammenhänge zwischen Spannungen und Dehnungen formuliert. Verschiedentlich werden darüber hinaus z. B. auch zeitliche und/oder thermische Effekte berücksichtigt. Es ist grundsätzlich festzustellen, dass es das „richtige Stoffmodell“ nicht gibt. Vielmehr stellen alle entwickelten Formulierungen Näherungen dar, und häufig kann mit unterschiedlichen Ansätzen das reale Verhalten des Bodens in ähnlicher Qualität beschrieben werden“ [1].

Wenn es darum geht, die Verformung oder Spannung an einem System zu beurteilen, sind lineare Materialmodelle ausreichend. Setzungsberechnungen spielen sich unterhalb der Bruchgrenze ab, weshalb der Rückgriff auf lineare Modelle plausibel ist. Geht es allerdings um die Tragfähigkeit, so sind die Versagensmechanismen zu berücksichtigen. Neben dem klassischen elastisch-ideal-plastische Ansatz mit der Grenzbedingung nach Mohr-Coulomb stehen auch raffiniertere Methoden zur Verfügung, die aber nicht immer notwendig sind.

Während bei analytischen Lösungen in der Geotechnik bestimmte Versagensmechanismen zu untersuchen sind, ist es bei einer Finiten-Elementen-Untersuchung nicht ohne Weiteres klar, welcher Versagensmechanismus sich im Konkreten ausbildet.

„Sicherheitstheoretisch gesehen, müsste man alle denkbaren Möglichkeiten untersuchen und das Minimum für die Sicherheit ermitteln. Selbstverständlich stellt sich diese Frage auch bei der Anwendung von klassischen Methoden. Hier beschränkt man sich jedoch auf bestimmte Bruchmodelle und stützt sich auf die Erfahrung, dass diese Vorgehensweise ausreichend ist“ [2]. Die Empfehlungen legen nahe, dass als Versagensmechanismus auch bei Anwendung der FEM-Methode die klassischen Bruchursachen und Bruchmodelle zugrunde gelegt werden. „Sofern Zweifel bestehen an der Modellierung der Widerstände mit der FEM für den Grenzzustand der Tragfähigkeit, sollte auf klassische Bruchmodelle zurückgegriffen werden“.

Wenngleich sich aus der Fülle der Versagensmöglichkeiten nicht klar sagen lässt, welche Versagensmechanismen konkret zu untersuchen sind und es ratsam ist, sich an die konventionellen Mechanismen zu halten, lassen sich die Analysemöglichkeiten um ein Vielfaches erweitern: „Die Möglichkeiten der Modellbildung bei numerischen Methoden erlauben es, Systeme zu untersuchen, die aufgrund ihrer Komplexität mit konventionellen Methoden nicht realitätsnah behandelt werden können“ [1].

Die Vorteile liegen allerdings auf der Hand: „Der bedeutendste Vorteil der Berechnungen mittels der FEM gegenüber konventionellen Berechnungsverfahren besteht darin, dass neben den Grenzzustandsbetrachtungen auch der Nachweis der Gebrauchstauglichkeit am selben mechanischen System erfolgt“ [2].

Strukturelemente wie Wand, Anker und Steifen werden entsprechend berücksichtigt: „Sind in dem zu untersuchenden Rechenmodell konstruktive Elemente vorhanden, die zusätzlich zum Boden zur Standsicherheit des Systems beitragen – wie z. B. Nägel, Spritzbetonschalen, Verbauwände, Anker oder Steifen –, so sind ihre Versagensmöglichkeiten und damit ihr Anteil am Gesamtwiderstand zu überprüfen. In der Regel sind die Elemente analog zu den charakteristischen Bodenkennwerten mit ihren Grenztragfähigkeiten (Bauteilwiderständen) zu berücksichtigen. In der nichtlinearen Berechnung werden die Versagensmöglichkeiten der konstruktiven Elemente (z. B. plastische Gelenke) dadurch simuliert, dass die zugehörigen Bauteilwiderstände – wie z. B. maximal aufnehmbare Zugkräfte von Ankern, maximal aufnehmbare Biegemomente von Verbauwänden, maximale Druck oder Zugkräfte von Steifen – analog zu den Bodenparametern reduziert werden“ [1].

Beim Felsbau wird die Angelegenheit noch einmal um ein Vielfaches komplizierter. Dass Fels ein homogenes, isotropes und festes Gefüge ist, ist – obwohl vielfach so angenommen – ein Trugschluss. Gerade in den Schriften Leopold Müllers wird klar, welche komplexen Problemstellungen sich in der Praxis ergeben und dass der Fels eigentlich als Mehrkörpersystem zu verstehen ist.

„Festgestein oder Fels bezeichnen im geologischen Sinne ein Gemenge verschiedener Mineralien, die konsolidiert, verkittet oder in anderer Form verbunden sind. Fels bezeichnet die Gesamtheit von Gestein einschließlich Diskontinuitäten in Form von Trennflächen und Verwitterungsprofilen. Numerische Berechnungen von Bauvorhaben, die in Festgestein ausgeführt werden, erfordern in der Regel eine mechanische Abbildung des Felses. Das mechanische Verhalten von Fels ist nicht nur durch das anstehende Gestein, sondern auch – in vielen Fällen sogar überwiegend – von den Eigenschaften mechanisch wirksamer Trennflächen bzw. Trennflächenscharen bestimmt. Die mechanischen Eigenschaften von Fels sind daher oftmals ausgeprägt anisotrop“ [1].

Die Rechenmethoden mögen noch so raffiniert sein: Steht diesen Berechnungsmethoden keine detaillierte Bodenuntersuchung gegenüber, handelt es sich mehr um theoretische Hypothesen.

Literatur:

[1] Deutsche Gesellschaft für Geotechnik: „Empfehlungen des Arbeitskreises Numerik in der Geotechnik – EANG“, Ernst und Sohn Verlag, Berlin 2014

[2] Achim Hettler, Theodoros Triantafyllidis und Anton Weißenbach: „Baugruben“, Ernst und Sohn Verlag, Berlin 2018

[3] Mike A. Crisfield, Joris J. C. Remmers, René de Borst, Clemens V. Verhoosel: „Nichtlineare Finite-Elemente-Analyse von Festkörpern und Strukturen“, Wiley, Hoboken 2014

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