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Widerstand gegen die Naturgefahr: Wildbäche und Wildbachgefahr

Blickt man im alpinen Gelände auf das Land und auf die Morphologie des Landes, dann werden einem die reißerischen Kräfte bewusst, die Wildbäche von Zeit zu Zeit entwickeln, indem diese sich in den Boden graben, Schutt ablagern und ganze Schuttkegel bilden.

Blickt man im alpinen Gelände auf das Land und auf die Morphologie des Landes, dann werden einem die reißerischen Kräfte bewusst, die Wildbäche von Zeit zu Zeit entwickeln, indem diese sich in den Boden graben, Schutt ablagern und ganze Schuttkegel bilden.

Die Auseinandersetzung mit alpinen Gefahren ist immer eine Auseinandersetzung mit dem Ernstfall und für eine Gesellschaft im Sinne einer leistungsfähigen Infrastruktur essentiell.

Wildbäche, aber auch Fließgewässer im Allgemeinen (allerdings nicht mit der Extremität von Wildbächen), sind höchst dynamische Angelegenheiten, bei denen die Rahmenbedingungen aufgrund der Interaktion des Gewässers mit dem Boden und durch den laufenden und wechselhaften Transport und die Ablagerung von Feststoffen, ständig wechseln. Das Gleichgewicht ist ein dynamisches und flüchtiges, die Form ist in ständiger Evolution. Daraus resultiert die Faszination.

Während ein Fluss definitionsgemäß in Verbindung mit dem Grundwasser steht, fehlt diese Verbindung bei einem Bach. Ein Bach, der sich definitionsgemäß in steilerem Gelände befindet, trägt das überschüssige Oberflächenwasser auf schnellstem Wege ab. Entsprechend kommt es bei Starkregenereignissen zu extrem schnellen Zunahmen der transportierten Wassermassen. Zahlreiche steile Hänge entwässern in eine Rinne, aufgrund der Steilheit ist keine Retention möglich. Wildbäche können folglich dauernd oder zeitweise fließend sein.

Dadurch, dass die Wassermassen stark zunehmen und die Energie aufgrund der potentiellen und infolge kinetischen Energie extrem ist, ist auch die Belastung der Böschungen rund um den Bach extrem. Folglich ist die Wildbachverbauung eine wesentliche Aufgabe der Infrastrukturplanung, um die reißerischen Kräfte, die sich entwickeln können, einzudämmen. Reißt der Bach nämlich durch die Erosion bedingt, Erdmassen und Festkörper mit, so ist die Energie aufgrund der hohen Masse um ein Vielfaches größer. Der Überschlag vom Hochwasserereignis zum Murgang vollzieht sich schlagartig.

Die Wildbachverbauung ist eine Querschnittsangelegenheit: Von der Forstwirtschaft über die Biologie und Ingenieurbiologie bis hin zur Geologie und Geotechnik und zum Bauingenieurwesen sind viele Experten an einer möglichst integralen Betrachtung beteiligt.

Der Wildbach umfasst das Einzugsgebiet mit den Zuflüssen sowie den Schwemmkegel. Im Hochgebirge folgt auf das Sammelgebiet in der Regel eine Schluchtstrecke und sodann das Ablagerungsgebiet, in dem sich Mur- oder Schwemmkegel ausbilden können. Im Berg- und Hügelland folgt auf das Sammelgebiet die Umlagerungsstrecke, in der Geschiebe zugeführt, abgeführt und abgelagert werden. Die gesamte Wildbachsystematik ist folglich ein höchst dynamischer Bereich.

Die Geologie bestimmt die Systematik, ob sich der Wildbach nämlich in Talverfüllungen, in Restschuttkörpern, in harten Kristallingesteinen, in harten Sedimentgesteinen, in veränderlich festem Gestein, in rezenten Moränen, auf Schuttkegeln, in Talalluvionen oder Waldabbrüchen abspielen [1].

Die Art und Weise, wie sich das Gerinne ausbildet, hängt von den hydrologischen Bedingungen ab, die nur statistisch ausgewertet werden können.

Von Hochwasser ist die Rede, solange der Feststofftransport schwach bleibt und sich das Fließverhalten newtonisch darstellt. Ab einer Feststoffkonzentration von 20 bis 40% ist prägt sich eine Mure aus, das Fließverhalten ist annähernd newtonisch oder nicht-newtonisch.

In diesem Sinne ist es Aufgabe der Wildbachverbauung, bauliche Maßnahmen zu treffen, um das Bachbett sowie die Hänge zu sichern und um Hochwassermengen sowie Feststoffe sicher abzuleiten. Neben dem Uferschutz sowie der Böschungssicherung gehören folglich Sperren, Rampen und Murbrecher zu den baulichen Maßnahmen.

Wie immer unterteilen sich die Maßnahmen bei Naturgefahren in passive Maßnahmen, nämlich Gefahrenzonenpläne oder Zivilschutzvorkehrungen, sowie aktive Maßnahmen, die technische Schutzmaßnahmen, aber auch forstwirtschaftliche und ingenieurbiologische Maßnahmen umfassen.

Die Maßnahmen des baulichen Wildbachschutzes sind wie folgt funktionell zu gliedern:

  • Ableitung
  • Stabilisierung
  • Konsolidierung
  • Umgehung
  • Retention
  • Dosierung
  • Filterung
  • Energieumwandlung
  • Ablenkung.

Die bauliche Planung von Schutzvorrichtungen ist eine komplexe Angelegenheit, ist das Gelände nämlich oftmals unwegsam und steil und zeitweise extremen Kräften ausgesetzt, die nur sehr schwer statistisch zu erfassen sind. Die Probabilistik wird eine konkretere Herausforderung als im weitgehend normierten Hochbau. Auf der anderen Seite müssen komplexe und vielfältige Randbedingungen berücksichtigt werden, nämlich: Die hydraulische Prozessdynamik, biogene Randbedingungen, anthropogene Randbedingungen, geotechnische und geologische Gegebenheiten und letztlich auch und im Sinne einer holistischen Betrachtung die physikalischen, chemischen und biochemischen Auswirkungen.

Demgemäß hat das Schutzbauwerk seine Bauwerkseigenschaften im Sinne der Tragfähigkeit, aber auch der Gebrauchstauglichkeit in Hinblick auf die Funktionserfüllung zu erhalten und dabei auch extremen Ereignissen wie Erdbeben, Erosion, Steinschlag, Klima oder Schnee im Rahmen des Sinnvollen und Wirtschaftlichen Rechnung zu tragen.

Die Abschätzung der zu erwartenden Ereignisse ist schwierig und vielfach nur überschlägig möglich. Die Zusammenhänge sind aber wesentlicher als detaillierte Annahmen, die nur selten möglich sein werden: Der Zusammenhang zwischen Hydrologie und Geotechnik einerseits und zwischen Geotechnik und Abflussverhalten andererseits und zwar in einem betrachteten Ernstfall. Weil selbst komplexe Rechenmodelle von den Eingangswerten abhängen, die vielfach unbekannt sind, ist der Blick auf das Ganze wichtiger als der Irrweg in den Details.

Der Blick auf das Ganze und die Liebe an den natürlichen Zusammenhängen macht auch Lösungen technisch möglich, die ganzheitlicher, umfassender und integrativer sind und dadurch ein natürliches Gleichgewicht herzustellen versuchen.

Neben der Bemessung sind allerdings auch die Erhaltung (Überwachung, Kontrolle und Prüfung) bedeutend, um dem Ernstfall begegnen zu können, um aber auch notwendige Verstärkungsmaßnahmen zeitgerecht durchführen zu können. Sammelt sich Totholz und Geröll in der Sperre, dann ist die schönste Bemessung nicht viel wert.

Michael Demanega ist seit 2022 im Landesverzeichnis der Sachverständigen für Naturgefahren der Autonomen Provinz Bozen eingetragen.

Literatur:

[1] Konrad Bergmeister, Jürgen Suda, Johannes Hübl, Florian Rudolf-Miklau: „Schutzbauwerke gegen Wildbachgefahren – Grundlagen, Entwurf und Bemessung, Beispiele“, Ernst und Sohn Verlag, Berlin 2009

[2] Heinz Patt & Robert Jüpner (Hrsg.)“Hochwasser-Handbuch – Auswirkungen und Schutz“, Springer-Verlag, Wiesbaden 2020

[3] Jürgen Suda und Florian Rudolf-Miklau: „Bauen Und Naturgefahren: Handbuch Für Konstruktiven Gebäudeschutz“, Springer Verlag, Wien 2011

[4] Wolfgang Dachroth: „Handbuch der Baugeologie und Geotechnik“, Springer Verlag, Berlin 2017

Antworten auf „Widerstand gegen die Naturgefahr: Wildbäche und Wildbachgefahr”.

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