Was wir suchen: Die Qualität gebauter Umgebungen

Vielleicht ist es vordringlichste Aufgabe des Planers, das Leben selbst zuzulassen und Umgebungen zu konzipieren, die Identifikation, Information, Behaglichkeit und Kommunikation zulassen. Etwas pathetischer, aber notwendigerweise, könnte man von „Heimat“ sprechen.

Der Begriff der Lebensqualität ist ein Floskel-Begriff der Sonderklasse. Meistens wird die Lebensqualität nur im Negativen beansprucht, nämlich dann, wenn diese nicht (mehr) gegeben ist, weil die äußeren Umstände eine lebenswerte Umgebung verhindern. Andersherum stellt sich ganz offen die Frage, welche Kriterien erfüllt sein müssen, damit uns eine Umgebung anspricht. Oder anders ausgedrückt: Wie wir eine Umgebung planen oder gegebenenfalls auch umplanen müssen, damit wir diese wieder als „lebenswert“ erachten.

Eine Frage der Behaglichkeit

Grundsätzlich verfügt der Mensch wohl über ein „Habitat“. Wo die physischen Umgebungen diese Kriterien, die wir an unsere Habitate stellen, nicht vorliegen, versucht der Mensch durch bauliche Umgestaltungen dieses Habitat herzustellen. Ob durch Sonnenschutzeinrichtungen in warmen Gegenden oder durch Wärmekonservierung in kalten Umgebungen.

Will man positive und negative Umgebungen objektiv charakterisieren, so kann dies über so genannte Behaglichkeitszonen erfolgen, die Knoflacher unter Bezugnahme auf H. Lehmann aufgreift [1]. Es handelt sich dabei um die Indikatoren Temperaturverhältnisse, Wärmebedarf, Höhenänderungen, absolute Höhe in Metern, Lageschwankungen in Winkelgraden, Beschleunigungen oder Verzögerungen, Schwingungen, Lautstärke, Luftbeschaffenheit (CO-Gehalt, CO2-Gehalt und relative Luftfeuchtigkeit) und Lüftung.

Auf Grundlage der Indikatoren kann eine Klassifizierung in vier Behaglichkeitszonen erfolgen: Die Zone der Behaglichkeit, in der jeder sein will, die Zone der Erträglichkeit, die Zone der Lästigkeit und die Zone der Unerträglichkeit, die man zu meiden versucht. Umgebungen, die stark durch den motorisierten Verkehr geprägt sind, erfüllen durch Luftverschmutzung und Lärmentwicklung, durch die Geschwindigkeiten und durch das Gefahrenpotential alle Bedingungen, um als Zonen der Lästigkeit und der Unerträglichkeit eingestuft zu werden. Das ist – so tragisch es auch klingt – die andere Seite der Medaille, die sich „Erreichbarkeit“ nennt. Diese Erreichbarkeit muss immer jemand ertragen.

Eine Frage der Informationsdichte

Die wesentliche Größe bei der Erkundung neuer Umgebungen ist die Informationsdichte, die eine räumliche Funktion ist. Man könnte auch von Reizen sprechen. Das Verhalten ist eine Funktion der Struktur! Wie viel an Informationen hat eine Umgebung zu bieten? Unterfordert und langweilt uns diese Umgebung? Haben wir das Gefühl, dass alles platt und banal ist und nach geringer Zeit nichts Weiteres mehr entdeckt werden kann? Dieses Gefühl der Langeweile und Unterforderung trifft häufig auf Umgebungen zu, die „nur“ zu touristischen Zwecken gestaltet sind. Eine Zeit lang hält man es im Wellnesstempel natürlich aus. Und dann? Es kann nachgewiesen werden, dass nur touristische Umgebungen langfristig in vielfacher Weise nicht erfüllend sind. Weiterführende Literatur: In der Sommerfrische – Gedanken zum Tourismus von gestern und heute

Der Verkehrsplaner Hermann Knoflacher bezieht den Zusammenhang zwischen Information und Wohlbefinden auf die Evolution: „Die Evolution, auf dem Wechselspiel von Erwartung und Erfahrung beruhend, versucht, den „passenden“ Ort für alles Neue zu finden“ [1]. Diese Information ist keine einseitige Angelegenheit, die vom Bauwerk ausgeht, sondern ein Dialog zwischen der gebauten Umgebung und den Menschen.

In diesem Sinne schreibt auch der dänische Verkehrsplaner von Weltrang, Jan Gehl: „Das Stadtleben ist (…) ein Produkt aus Anzahl und Dauer einzelner Aktivitäten im öffentlichen Raum. Studien haben gezeigt, dass Städte und öffentliche Räume vor allem dann belebt werden, wenn sie die Menschen motivieren, sich dort länger aufzuhalten. Viele Menschen, die nur kurz verweilen oder hindurcheilen, machen noch keine lebendige Stadt aus“ [2].

Der Zusammenhang zwischen Information und Geschwindigkeit ist eklatant. Umso schneller wir unterwegs sind, umso weniger Information können wir wahrnehmen. Anders gesagt: Umso schneller wir unterwegs sind, umso weniger Information „müssen“ wir wahrnehmen. Der Autofahrer ist ohnehin ein Sonderfall, weil er durch externe Energie (Treibstoff oder Elektrizität) unterwegs ist. Er benötigt folglich gar keine Kompensation für seinen Einsatz an Energie – oder zumindest eine viel geringere Kompensation (sinnlos in einer monotonen Gegend herum fahren, macht nur mäßig Spaß). Im Gegensatz dazu benötigen der Fußgänger oder der Fahrradfahrer „ansprechende“ Umgebungen, also Umgebungen, die den Einsatz an Energie rechtfertigen [3].

Hermann Knoflacher unterstreicht den Ansatz: „Der Medianwert der Fußgeher liegt im Durchschnitt bei 2 km/h, der Radfahrer bei etwa 6 km/h und der Autofahrer bei rund 20 km/h. Das Flächenverhältnis der Erreichbarkeit, von Fußgehern : Radfahrern : Autofahrern liegt daher bei 1 : 10 : 100. Der Rauminhalt einer Siedlung für Fußgeher muss daher rund 100-mal höher sein als der einer autoorientierten Struktur“ schreibt Knoflacher [1]. Für den Autofahrer reicht eine Information alle paar hundert Meter, während der Fußgänger alle paar Meter eine Information oder Attraktion oder einen Reiz benötigt. Inwiefern das Landschaftsbild sowie die Verkehrswegegestaltung unser Verkehrsverhalten prägt, kann hier nachgelesen werden: Straßenplanung und Umweltschutz

Umgekehrt gilt auch: In langweiligen, hässlichen und monotonen Gegenden können wir – abseits der sportlichen Betätigung – auch gleich mit dem Auto fahren. Es gilt aber auch: In solchen Gegenden wollen wir uns nicht lange aufhalten. Am liebsten gar nicht!

Welche Umgebungen suchen wir?

Während wir uns alle nach der Toskana, nach historischen Altstädten oder nach der Ruhe der Alpen und ihrer Natur sehnen, halten wir es in der Industriezone, in der ästhetisch abweisenden Plattenbausiedlung oder im Durchzugsdorf eher nicht aus. Daraus könnte man Planungsleitlinien erarbeiten – wenn man will.

Isabel Augenstein hat die Faktoren definiert, die jene Umgebungen kennzeichnen, an denen wir sein wollen. Es geht um die kognitiven Variablen, die die Präferenz für eine Landschaft definieren: „Das Verstehen und damit das Zurechtfinden und Orientieren im Raum wird durch den inneren Zusammenhang einer Landschaft, ihrer Kohärenz, sowie durch die Lesbarkeit einer Landschaft erleichtert. Zusammenhängende Landschaften weisen Symmetrien, wiederkehrende Elemente und vereinheitlichende Texturen auf, was zu einer guten Gestalt beiträgt. Dadurch lassen sich die relevanten Daten aus den Reizmustern der Umgebung leichter herausfiltern und verarbeiten, was wiederum als angenehm empfunden wird (…)“

„Ist eine Landschaft nur wohl strukturiert und einfach „durchschaubar“ bietet sie zu wenig Informationen, um ansprechend und interessant zu sein. Die Landschaft wirkt langweilig, reizlos und es fehlt ihr der Aufforderungscharakter, sie erkunden zu wollen. Der Reizlosigkeit wirkt die bereits angesprochene Variable Komplexität durch Anzahl, Vielfalt und Konfiguration der szenischen Elemente entgegen. Eine genügende Menge an abwechslungsreicher und differenzierter Stimulation sorgt für das als angenehm geschätzte mittlere Erregungsniveau. Damit es bei einem mittleren Niveau bleibt, muss die Komplexität der Landschaftsstrukturen jedoch durch die Ordnungskategorien Kohärenz und Lesbarkeit reguliert werden“ [4].

Herausragende Umgebungen sind planbar!

Herausragende Umgebungen sind planbar – oder eben nicht „planbar“. Vielleicht ist es vordringlichste Aufgabe des Planers, das Leben selbst zuzulassen und Umgebungen zu konzipieren, die Identifikation, Information, Behaglichkeit und Kommunikation, wozu auch die Mobilität gehört, zulassen.

Diese Kriterien erfüllen sich am ehesten dort, wo hohe Informationsdichte – etwa durch Geschichte oder atemberaubende Natur – vorherrscht, Identifikation gegeben ist – weil es sich um „meine“ Stadt handelt, die durch Leben und Geschichten gefüllt ist, und nicht um etwas am Zeichentisch rational Geplantes -, Kommunikation ermöglicht wird – und nicht durch Straßen, Lärm, Gefahr unterbunden wird -, sowie die Behaglichkeit erreicht ist. Letzteres trifft dort zu, wo der Fußgänger sowie der Radfahrer im Mittelpunkt stehen und nicht der motorisierte Personenverkehr. In diesem Sinne haben zahlreiche Dörfer und Städte Nachholbedarf.

Literatur:

[1] Hermann Knoflacher: „Grundlagen der Verkehrs- und Siedlungsplanung“, Böhlau Verlag, Wien 2007 und 2012

[2] Jan Gehl: „Städte für Menschen“, Jovis Verlag, Berlin 2015

[3] Michael Demanega: „Das Verkehrswertmodell als Grundlage für eine intelligente und transparente Verkehrsplanung am Beispiel Südtirols“, Technische Universität Wien 2017 (Link)

[4] Isabel Augenstein: „Die Ästhetik der Landschaft. Ein Bewertungsverfahren für die planerische Umweltvorsorge“, Weißensee-Verlag, Berlin 2002

Weiterführende Beiträge auf demanega.com:

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