Eine Frage der Geschwindigkeit
So unzeitgemäß es auch sein soll: Die „perfekte“ Straße, die für eine erhöhte Geschwindigkeit fahrdynamisch trassiert ist und sich flüssig und schnell fahren lässt, erfreut. Schnell fahren erfreut. Die Pferde des Motors auf die Straße zu bringen, berauscht und erzeugt ein Gefühl der Macht. Manchmal der Allmacht, manchmal aber auch der Ohnmacht. Hermann Knoflacher hat in diesem Verhalten richtigerweise den verschwenderischen und wenig rücksichtsvollen Einsatz externer Energie erkannt, der den Menschen zum „Autofahrer“ macht und die menschlichen Sinne sowie das Sozialverhalten teilweise ausschaltet.
Trotzdem erfreut das schnelle und flüssige Fahren. Weil menschliches Leben in vielen Fällen auf den Weg des geringsten Widerstandes ausgelegt ist. Daran kann man sich – zu Recht – stoßen oder auch nicht. Hinnehmen und einplanen muss man diese Erkenntnis aber.
Grundsätzlich sind für die Wahl der Geschwindigkeit beim Fahren diverse Faktoren abhängig: Sichtweite, Abstand zu seitlichen Hindernissen, Übergangselemente (Übergangsbögen) in der Trassierung, welche den „Ruck“ beim Fahren verhindern, Vertrauen in die Maschine, Vertrauen in die eigene Reaktionsfähigkeit und – besonders – Vertrauen in die anderen Verkehrsteilnehmer [1]. Bestenfalls basiert die gefahrene Geschwindigkeit auf einer Risikoanalyse. Faktisch ist diese eher nur gefühlsbasiert. Wo das Vertrauen in die gefahrene Geschwindigkeit nicht gegeben ist, besteht ein Risiko, das – insofern andere Verkehrsteilnehmer gefährdet werden und wofür materielle Schäden, Verletzte und Tote im Straßenverkehr tragisch zeugen – nicht hinnehmbar ist. Dieses Risiko ist vernünftigerweise von der Straße auf die Rennstrecke zu verlegen. Womit der Bogen zu Hermann Tilke gespannt ist.
„Design-Guru“ der Formel 1
Hermann Tilke ist vielleicht der Gegentyp zu Hermann Knoflacher. Die „Financial Times“ nennt Tilke den Formel-1 – „Design-Guru“. Tilke studierte Bauingenieurwesen in Aachen und begann als Tourenwagenfahrer. Später sollte er seine Leidenschaft durch die Planung von Rennstrecken zum Beruf machen. 1983 gründete Tilke ein Ingenieurbüro in Aachen und kam zu einem kleineren Auftrag, nämlich der Planung einer Zufahrt zum Nürburgring.
Erst 10 Jahre später sollte die Erneuerung des Österreichringes in Spielberg die Möglichkeit bieten, in der Formel 1 planerisch zu wirken. Es folgten Arbeiten am Nürburgring sowie Empfehlungen durch Bernie Ecclestone. Tilke bleibt allerdings auch nach Bernie Ecclestone das Maß aller Dinge in der Planung von Rennstrecken. Heute gehört Tilke zu den 4 vom Internationalen Automobilclub FIA anerkannten Streckenplanern.
Zu den Projekten gehören: Malaysia 1999, Bahrain 2004, Shanghai 2004, Istanbul 2005, Imola 2006, Abu Dhabi 2009, Südkorea 2010, Indien 2011, USA 2012, Russland 2014, Thailand 2014, Aserbaidschan 2016, Vietnam 2020, Saudi-Arabien 2021.
Kritik bleibt nicht aus: Kritikpunkt sind die langen Geraden sowie die weitläufigen und konstanten Kurvenradien in Tilkes Planungen, die zwar hohe Geschwindigkeiten zulassen, allerdings auch „monoton“ seien und zu wenig „Action“ zulassen würden. Entsprechende Kritik kam von dem ehemaligen Weltmeister Jackie Stewart sowie durch Mark Webber. Allerdings wirkt sich diese Planung positiv auf die Sicherheit aus. Hinzu kommt der Umstand, dass Investoren in Rennstrecken diese nicht nur für die Formel 1 planen würden, sondern eine ganzjährige Auslastung anstreben würden, so die Financial Times.
Auf die Frage, wie man Formel-1-Rennen spannend machen könne, antwortet Tilke: „Mit Passagen, die Fehler provozieren“ [2].
Streckenplanung als Gesamtkonzept
Die Planung der Strecken selbst ist ein Gesamtkonzept, bei welchem diverse Faktoren Eingang finden, aber auch die Rücksprache mit Rennfahrern selbst wesentlich sei, so Tilke, der ausführt: „Zuerst schauen wir uns das Gelände und die Topografie an. Rennstrecken sind flächenintensive Projekte. Grundstücke in der Nähe von Ballungszentren sind teuer, also bekommen wir meist die Flächen, die niemand sonst haben will, weil es sumpfig ist oder andere Baunachteile gibt. Meist sind sie flach. Manche Bereiche erlauben keinen Hochbau, eignen sich nicht für die Start- und Zielgerade mit den Haupttribünen. Woanders ist der Boden in schlechtem Zustand, und man müsste ihn teuer verbessern. Wir sammeln die Restriktionen und schauen, wie wir da eine Strecke reinlegen könnten. Wir diskutieren erste Entwürfe, und irgendwann steht ein Grundkonzept“ [2].
Zur planerischen Gestaltung der Rennstrecken bei Hermann Tilke schreibt auch der Guardian: „Ein Großteil von Tilkes Bemühungen geht in die Konzeption einer dramatischen Architektur, die das Gastland widerspiegelt, wie die Lotusblatttribünen von Sepang in Malaysia. Zu seiner Philosophie gehört es, dass sich die Zuschauer wohl fühlen, einen guten Überblick zu geben und Kurven zu bauen, die ein schnelles und interessantes Rennen versprechen, aber das Feld nicht auseinander ziehen“ [3].
Die Planung selbst ist bei Tilke Engineering eine generalplanerische Angelegenheit, die bei Weitem nicht nur die Streckenplanung umfasst. Tilke Engineers and Architects befasst sich mit Streckendesign, Konzeption, Konstruktion und Beratung. Der Ablauf sieht dabei wie folgt aus: „Ein Rennstrecken-Design beginnt mit einem Team von 10 Designern, das sich auf etwa 250 erweitert, die kurz vor Baubeginn an detaillierten Plänen arbeiten. Tilkes Team gestaltet alles vor Ort, einschließlich der Strecke, Garagen, Hotels, Tribünen, Hospitality- und Ausstellungsbereiche“ schreibt die Financial Times [4].
Letztlich bleibt beim Thema Formel 1 die Frage nach der Nachhaltigkeit offen. Die Formel E als elektromobile Variante versucht dieses Manko zu schließen. Gefahren wird in der Formel E bewusst in Innenstädten. Dadurch ist das Geschwindigkeitsniveau aufgrund der engen Kurvenradien anders ausgelegt. Gewöhnungsbedürftig wirken der elektrische Motorenlärm sowie die hohen Beschleunigungen und die kurzen Geraden. Vielleicht ist die Formel E der Vorläufer für eine nachhaltige Formel 1. Oder auch nicht. Auf jeden Fall ist die Formel 1 heute immer noch das Maß aller Dinge, weit über den Motorsport hinaus. Dazu beigetragen hat unter anderem auch Hermann Tilke.
Neben dem Rausch der Geschwindigkeit geht es um die Ästhetik der Geschwindigkeit, um die Ästhetik der modernen Technik, um die industrielle Ästhetik, die Ästhetik der Maschine, um die Besessenheit von der Geschwindigkeit und von der Leistungsstärke, letztlich um ein revolutionäres Moment der Moderne. Darauf hat sich historisch und ästhetisch der sowjetische Konstruktivismus ebenso bezogen wie der Futurismus. Zu dieser Ästhetik und zu diesem Lebensstil tragen schnelle Autos, aber auch schnelle Strecken bei.
Tilke – Enginers & Architects orginally established in 1983.
Weiterführende Artikel:
Wie smarte Mobilität und autonomes Fahren unsere Städte verändern werden
Werner Sobek: Bauingenieurwesen für eine neue Zeit
sbp: Bauingenieurwesen auf der Höhe der Zeit
Literatur:
[1] Michael Demanega: „Das Verkehrswertmodell als Grundlage für eine intelligente und transparente Verkehrsplanung am Beispiel Südtirols“, Technische Universität Wien 2017 (Link)
[2] Der Standard, 14.12.2020, https://www.derstandard.at/story/2000122442577/formel-1-streckenplaner-tilke-wir-koennen-nicht-zehn-red-bull
[3] The Guardian, 21.3.2009, https://www.theguardian.com/sport/2009/mar/21/hermann-tilka-formula-one-designer
[4] Financial Times, 23.11.2018: https://www.ft.com/content/a0ff51a4-e8c3-11e8-94da-a6478f64c783
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