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Kristian Sotriffer und die Südtiroler Baukultur

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Über die historische Baukultur in Südtirol ist vieles gesagt worden. Vielfach ist Baukultur aber auch ein Thema, das der Vergangenheit angehört, weil wir uns heute scheinbar kaum noch mit dem Gebauten identifizieren können wollen, da zunehmend eine artifizielle Welt geschaffen wird und wir nicht glauben wollen, dass moderne Architektur länger als 50 Jahre anhält.

Der aus Bozen stammende Autor und Kunstkritiker Kristian Sotriffer, der 1932 in Bozen zur Welt kam und 2002 in Wien verstarb, versuchte in seiner publizistischen Tätigkeit unter anderem auch, das gebaute Erbe tieferreichend zu erfassen. Entstanden sind Foto- und Textdokumentation zum „verlorenen“ Erbe, zur verloren geglaubten Einheit zwischen Territorium und Baukultur. Weil die von Sotriffer geschaffenen Gedanken viel zu wertvoll sind, um diese in der Schublade verkommen zu lassen, mögen diese in Fragmenten wiedergegeben sein.

In Südtirol dringt die mediterrane Welt bis tief in die Alpen hinein. Kristian Sotriffer schreibt über das, was Südtirol ausmacht: „Es gibt ein Land zwischen Nord und Süd, zwischen Bergen und Ebene, Gletschern und Weinbergen, Zirben und Feigenbäumen, das von der Natur dazu auserwählt schien, in sich zu sammeln und zu vereinen, was sonst nur schwer zu einem Miteinander findet. Das gilt auch für die Menschen, die in ihm leben. Typen, die ihrer Statur und ihrem Auftreten nach an den Norden, andere, die an den Süden, und wieder andere, die an etwas Uraltes, Sagenhaftes, Legendäres erinnern und die das Herbe, Winkelige des Nordens mit dem Warmen und Weichen des Südens verbinden. Sie waren immer schon da, und sie entsprechen den alten Geschichten“ [1]. Diese Verbindung äußert sich im so genannten Überetscher Stil.

Kristian Sotriffer schreibt zur Zeit am Ort: „Das Entstehen und Tradieren ist eng mit Ortsansässigkeit (vermutlich auch ein Grund für die von Benediktinermönchen geforderte „stabilitas loci“; ihre Klöster bilden kulturell-ökonomische Mittelpunkte seit Jahrhunderten). Eine mobile Gesellschaft kann nichts entstehen lassen, das ein Wachsen, Überwachen, Pflegen und eine Identifikation mit dem Vorhandenen zur Voraussetzung hat. Die Gebundenheit an ein- und denselben Ort konnte andererseits in vielen Menschen den Wunsch wach werden lassen, ihn zu verlassen – nur um an anderer Stelle wieder ortsfest zu werden und fortzuführen, was sie von hier nach dort gebracht und weitergetragen, was sie erfahren hatten oder wussten. Wer einen Ort hat, verfügt auch über eine Orientierung“ [2]

Das Formen beginnt ganz ursprünglich im Bauen und Bebauen des Landes. Ein Ziehen von Furchen und das Anlegen von Äckern mag am Anfang der Kultivierung stehen und ist gleichzeitig auch schon die erste „Verwandlung“[1] (Kristian Sotriffer) der Natur. Wie sanfte Wellen überziehen die Furchen die Erde. Selbst die Strohballen und Garben und die Art und Weise, wie sie am Feld angeordnet werden, deuten eine Art Architektur an.

Die Verwandlung des Landes setzt sich mit dem Terrassieren von Hängen zur Gewinnung von Anbauflächen fort, womit der Mensch in aller Welt „am urtümlichsten und somit auffälligsten Landschaft“ (Sotriffer) baut, indem er Mauern anlegt und das anbaubare Land erweitert. Insbesondere der Ackerbau verlangte nach ebenen Anbauflächen, um den Boden vor der Erosion zu schützen und um darüber hinaus den Ertrag durch die Erweiterung der Anbauflächen zu steigern.

Aus den notwendigen Funktionen im Raum ergeben sich die Strukturen.

Das Nutzbarmachen des Bodens, das Haltbarmachen der Nahrungsmittel, die Zubereitung, Verfeinerung und Veredelung sowie das Teilen von Lebensmitteln zeichnen sich in den baulichen Formen ab.

Ein Gebäude ist folglich bei Weitem nicht nur etwas Materielles. Über das Materielle hinaus verwirklicht ein Haus ein „Mehr, das aus dem Innenleben des Menschen stammt. Dieses Innenleben verlangt nach einer animalischen, intimen, bergenden Komponente des Baus als einer Art schutzgewährenden Höhle. Aus ihr heraus kann er sich [der Mensch] seiner Umwelt bemächtigen, aber nicht, um sie auszunützen, sondern um sie zu besitzen“ schreibt Kristian Sotriffer [3].

Die Art und Weise, wie der Mensch baut, hängt in besonderem Maße von der Natur, also von den natürlichen Gegebenheiten, ab. Geht es nach Kristian Sotriffer, so hebt sich das Werk des Menschen zwar von den gewachsenen Strukturen der Natur ab, „bleibt ihnen aber zugleich verbunden – einerseits durch das verwendete Material, andererseits durch dem jeweiligen Umraum angepasste oder ihn prägende Maße und Proportionen“ [3].

Das Anlegen einer Trockenmauer geht dann, wenn dieser Raum auch geschützt werden soll, in die Wölbung des Raumes über. Es entstehen Gewölbe als elementare steinerne Formen.

Die Dachform prägt als Ensemble von Dächern, mit einer bestimmten Ausrichtung, Steilheit, Beschaffenheit, Farbstruktur und Materialität das Bild gebauter menschlicher Strukturen.

Kristian Sotriffer unterstreicht, dass das Dach die eigentliche umgebungsschaffende Seite des Gebauten sei: „Das Dach akzentuiert ein Haus und damit eine Landschaft in besonderem Maß. Es setzt einen Rhythmus fort, der vom Zusammenspiel und Zusammentreffen von Horizonten, Lehnen, Waldkuppen, Wegkreuzungen, Feldabgrenzungen, Mulden oder Erhebungen bestimmt wird (…) Zum Dach gehört auch die Art seines Alterns, seine Patina, das Moos und die Flechten, die sich auf ihm ansetzen und es so auch von der Färbung her der Natur integrieren. Der Strukturreichtum von Dächern wird aus der Nähe wahrnehmbar; ihre Form, ihre Anpassung an die gedeckten Teile anderer, benachbarter Bauwerke, alle Arten einer Überleitung und Ensemblebildung, lässt der abstandnehmende Blick erkennen“ [3].

Während Wände vertikale Elemente sind, ordnet sich das Dach irgendwo zwischen dem Vertikalen und dem Horizontalen ein. Die Variation der Dachneigung wirkt auf den bewussten Betrachter ganz entscheidend und prägt das Bild.

Die Dachneigung hängt im bodenständigen Bauen weniger mit dem Klima und vielmehr mit den zur Verfügung stehenden Materialien zusammen. Da der Mensch grundsätzlich den Weg des geringsten Widerstandes geht, ist das zur Verfügung stehende Material die eigentliche Ursache für die Art und Weise der Konstruktion. Erst, wenn mehrere technische Möglichkeiten zur Verfügung standen, war eine bewusste ästhetische Auswahl möglich.

Letztlich führt das gute Bauen zum Garten, der in Tirol „einen Restbestand der ehemals autarken Wirtschaft“ [1] darstellt. Und ein Hoch auf das Leben.

Literatur:

[1] Sotriffer Kristian: „Südtirol – Eine Elegie“, Edition Tusch – Arunda Lizenzausgabe, Wien 1979

[2] Sotriffer Kristian: „Geformte Natur – Strukturen zwischen Acker und Haus im Alpenbereich“, Arunda, Wien 1981

[3] Sotriffer, Kristian: „Die verlorene Einheit – Haus und Landschaft zwischen Alpen und Adria“, Edition Tusch, Wien 1978

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