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Goldener Herbst in Südtirol – Von der Natur, den Projekten und den Menschen

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Der Herbst ist vielleicht die schönste Zeit im Jahr. Lebt man eine Zeit lang nicht in Südtirol, sondern zum Beispiel in Wien, dann lernt man viele trübe Tage kennen, die nicht enden wollen und sich als Grau in Grau äußern. Das Wetter schlägt aufs Gemüt über. In Südtirol mit seinen 300 Sonnentagen sind die Verhältnisse weitaus klarer: Entweder es regnet oder – was meistens der Fall ist – die Sonne scheint klar und heiter. Im Herbst sind die Lichtverhältnisse klarer, die Farben vielfältiger und die (letzten) Freuden groß.

Die Sonnenstrahlen erhellen noch das Land bevor der karge Winter folgt. Noch einmal – und das letzte Mal – zeigt sich die Natur in ihrer farbenprächtigsten Form. Die Bäume verfärben ihre Blätter und verlieren diese ganz. Die Natur richtet sich für ihre verdient Ruhe ein. Die volle Farbenpracht ergibt sich bei Wanderungen in den Wäldern und Naturparken.

Das Holz wird geschlägert und gelagert, um als wertvolles Bauholz zur Verfügung zu stehen. Mit der Holzfeuchte ist der Übergang vom Bauholz zur Fortstwirtschaft gesetzt. Um am Ende der Prozesskette Holz ein möglichst schwindarmes Produkt zu verwirklichen, ist dieses in jenen Monaten zu schlägern, in denen der Baum ruht, also in den Wintermonatenvon Oktober bis Februar. Im Sommer ist die Holzfeuchte am höchsten. Zudem ist der Mondkalender von Belang, um Holz mit möglichst geringer Holzfeuchte zu ernten. Techniken der Forstwirtschaft sollen die Verdunstung beschleunigen.

Gesegnet ist der, der genügend Brennholz für den Winter eingelagert hat. Oder der – im modernen Sinne – die Energie der Sonne nutzt und mit der Sonne nicht nur wärmt, sondern elektrisiert.

Auch in den Weinbergen vollziehen sich die Veränderungen. Der frische Wein ist bereits im Keller, verewigt ist damit ein ganzes Weinbergjahr. Die Äpfel sind geerntet. In Südtirol steht das Törggelen an, mit dem wir noch einmal dankend auf die Gaben der Natur blicken. Die Nächte werden dunkler, länger und kälter; wir richten es uns in unseren Häusern ein und verbringen definitiv mehr Zeit in den eigenen vier Wänden. Zwischen Oktober und Dezember endet die Jagd. Das Wild geht in Winterruhe.

Zur Ruhe kommen auch die Verstorbenen an Allerheiligen und die Gefallenen an Allerseelen.

Der Tourismus blüht auf, von Genuss bis Wellness. Was zu jeder Zeit und zunehmend auch im Herbst zum Problem wird: Die Verkehrsüberlastung, die Überfüllung von Straßen und touristischer „Hotspots“, der so genannte „overtourism“. Andererseits die begrenzten Kapazitäten in einem alpinen Land wie Südtirol. Auf der anderen Seite gibt es die Alternativen, die Pfade abseits der touristischen Inszenierung, abseits der potemkischen Fassadendörfer, die Langsamkeit der Seitentäler und die Nachhaltigkeit, die alle suchen und zunehmend nicht finden. Das Südtiroler Unterland bietet eine authentische Gegenkultur.

Grundsätzlich muss es aber neben Tourismus-Tempeln zunehmend auch kleine, feine und authentische Angebote geben, historische Baukultur oder moderne Architektur mit Bodenhaftung und dem Ausdruck einer höheren Gastlichkeit. Mit Liebe zum Detail, auch zum konstruktiven, mit einer Materialität, die reflektieren lässt, und einem Gefühl für den Boden. Mit der notwendigen Entschleunigung, die bei Verkehrswegen und Mobilität beginnt.

Bessere Projekte sind möglich: Mit weniger Eingriffen in Natur und Boden. Mit nachhaltigeren Werkstoffen und Bauweisen. Mit einem besseren Projektmanagement. Mit Philosophie, Literatur und Bewusstsein für Baukultur.

Im Herbst wird Baukultur definitiv wichtiger. Die warme Stube wird zum Mittelpunkt des Lebens. Wir kochen wieder intensiver und essen länger. Wir genießen es, gute Bücher zu lesen, von denen wir ansonsten viel zu wenige lesen; in unseren eigenen vier Wänden erbauen wir ganze literarische Welten. Wir blicken auf die Gegenstände um uns herum, auf die Bilder an den Wänden, an die altehrwürdigen Möbel. Wir fühlen die Geborgenheit.

Und wir träumen vom nächsten Frühling.

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