Törggelen in Südtirol: Von traditioneller Baukultur, vom Wertvollen und vom Leben im Jahreskreis

Wenn der Herbst hereinbricht – es sich aber noch nach Spätsommer anfühlt -, das Laub sich verfärbt, der Himmel endlich blauer und alle Farben klarer werden, die Ernte in Teilen bereits abgeschlossen ist, der frische Wein bereits gepresst und im Keller eingelagert ist und die ersten Kastanien geerntet werden, schickt es sich in Südtirol, zum so genannten „Törggelen“ zu laden. Der Begriff „Törggelen“ kommt von der „Torggl“, der Weinpresse. Dazu gereicht werden Herbstgerichte, nämlich frisch geschlachtetes Fleisch, Gerstsuppe, Knödel und Sauerkraut. Das Braten der Kastanien auf offenem Feuer schließt immer auch die Elementarkraft Feuer mit ein, die besonders dann, wenn es kälter wird, eine außergewöhnliche Faszination auf uns ausübt.

Abseits gehobener Sterne-Küche, die vielfach weder satt noch zufrieden macht und oftmals mehr ein Medien-Spektakel ist, eröffnet sich in der bodenständigen Gastronomie die Vielfalt und komplexe Tiefe der Tradition.

Das Südtiroler Törggelen zieht Gäste aus Nah und Fern an und verdeutlicht ihnen die Schönheit gewachsener Bauernhöfe in beeindruckender Kulisse, wo sich Weinbau und Hochgebirge auf engstem Raum treffen. In einer althergebrachten, holzgetäfelte Stube mit Kachelofen, unter reich verzierten Ornamenten sowie in alten Gemäuern mit beeindruckenden Gewölben und einem Holzbau aus alter Zeit färbt die Magie, die nur in antiker Bausubstanz entstehen kann, auf die Gäste über und vereint uns für diese paar Stunden mit jener Welt, die war, bevor sie „modern“ wurde und die sich im Einklang mit den Jahreszeiten und dem Lauf der Natur vollzog.

Wir fühlen uns aufgehoben in der Zeit und treten kurz aus aus der hektischen Welt, wie sie sich uns heute darstellt, heraus. Für kurze Zeit offenbart sich uns die Welt, wie sie vermeintlich sein sollte. Oder auch nicht. Das liegt im Auge des Betrachters.

Diese Faszination und diese Atmosphäre, aber auch nicht diese Qualität des Gebauten kann modernes Bauen nicht mehr erreichen. Alles ist schnell aus dem Boden gestampft, „modern“ und zeitgemäß, veraltet aber auch schnell und ist dann nach wenigen Jahren „unzeitgemäß“ und unschön. Demgegenüber gibt es das Zeitlose, das klassisch Schöne, die Tradition, an der wir weiterbauen, die mit der Zeit veredelt, ihren Wert aus der Zeit erhält. Anders ausgedrückt: Die „moderne“ Einbauküche landet auf der Müllhalde, während die holzgetäfelte Stube nach 250 Jahren erst wirklich wertvoll wird.

Nicht anders verhält es sich mit dem Bauwerk selbst: Die Ansammlung aus Plastik, Kunststoff und Verkleidung veraltet, während die Substanz und das Massive – Stein, Holz, auch Beton – bleibt.

Die Magie geht beim Törggelen – neben der Baukultur – von der Kastanie und vom Wein aus. Die Kastanie war bereits – wie der Wein – zu vorrömischer Zeit in Tirol mehr oder weniger verbreitet, die Römer kultivierten den Anbau der Kastanie und des Weins. Die Bajuwaren bezogen Wein und Kastanien aus dem südlichen Tirol, ebenso trugen die Langobarden zur Verbreitung bei. Karl der Große regte mit der Landgüterverordnung „Capitulare de villis“ unter anderem auch Kastanienbäume rund um die Bauernhöfe an. Und die bayrischen Bistümer bezogen Kastanien und Wein aus intensivem Anbau aus diesen mediterran geprägten Tiroler Gegenden [1]. Die Symbiose von Kastanie und Weinrebe vollzieht sich im südlichen Tirol letztlich mit de Kulturform der „Pergel“, für die das Kastanienholz verwendet wurde.

Eine persönliche Einschätzung: Jene Bauernhöfe, die im südlichen Tirol auf steilen Hängen, in Vereinigung von Weinbau und Kastanienhain entstanden sind, die gemauerte Bausubstanz mit dem Holzbau vereinen, und wie wir sie südlich von Meran und Brixen, aber nicht nur, finden – und die den Überetscher Stil beeinflussen -, üben auch heute noch die größte Faszination aus, weil die Fruchtbarkeit und Reichhaltigkeit einer Landschaft in der vielfältigen Landwirtschaft zum Ausdruck kommen. Eine Zeit lang die Fülle des Lebens genießen – bis der Winter herein bricht und sich das Leben von einer anderen, einer kargeren Seite zeigt, die es zu überstehen gilt – das ist es, was das Törggelen ausmacht.

Literatur:

[1] Siegfried de Rachewitz: „Kastanien in Tirol“, Arunda 33, Schlanders 1992

Törggelen 2022 in Südtirol: Link.

2 Kommentare zu „Törggelen in Südtirol: Von traditioneller Baukultur, vom Wertvollen und vom Leben im Jahreskreis

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