Eine Welt, in der erstens ständig ein vermeintlicher Mangel, der sich auf bestimmte Dinge bezieht, postuliert wird, und die wir uns objektiv gesehen auch gar nicht leisten können, und in der zweitens Billigprodukte und Kopien den Markt überfluten, ist im Sinne einer gewählten und bewussten Produktentscheidung nachteilig. Die Folge ist, dass wir – um diese vermeintlichen Mängel zu befriedigen und um den Schein zu wahren – uns mit Billigprodukten zudecken.
Im Film „Fight Club“, der auf dem Roman des Autors Chuck Palahniuk beruht, wird dieses scheinbare „Lebensgefühl“ wie folgt auf den Punkt gebracht:
„Von dem Geld, das wir nicht haben, kaufen wir Dinge, die wir nicht brauchen, um Leuten zu imponieren, die wir nicht mögen.“
Fight Club
Die Zugehörigkeit zu sozialen Gruppen ist in den Sozialwissenschaften ein starker individueller Antrieb. Diese Zugehörigkeit äußert sich – allen Unkenrufen zum Trotz – im materiellen Besitz. Sein und Haben stehen – aller Bemängelung zum Trotz – in einem Verhältnis. Diesen Umstand kann man leugnen, zu bestreiten ist er aber nicht. Und selbst wenn man sich von diesem Haben-Denken befreit, so befreit sich die Gesellschaft mit ihren Machtstrukturen noch lange nicht.
Billigprodukte versprechen unverbindliche Zugehörigkeit, weil der Aufwand denkbar gering ist und die Verbindlichkeit ebenso – die Dinge kosten nicht viel und halten auch nicht lange, wir können uns die Farbe, das Aussehen und das Modell folglich bei jedem notwendigen, neuerlichen Erwerb neu überlegen. Der Marketingexperte Uli Burchardt, der im Unternehmen Manufactum tätig war, schreibt zu diesem Prinzip: „Das Signal nach außen ist wichtiger als die eigene Beziehung zum Produkt“ [1].
Die meisten Billigprodukte sind schlussendlich gar nicht billig, sondern überaus teuer, weil sie mehrfach ersetzt werden müssen. Das kann gefallen, vorausgesetzt, man zieht es vor, unverbindlich zu leben und eben keine tiefer gehende Beziehung zu den Dingen einzugehen.
Uli Burchardt spricht von „Preiswertigkeit“ und meint damit etwas gänzlich anderes, das durch Billigprodukte kaum abgedeckt werden kann: „Eine Kultur der preiswerten Dinge ist beileibe kein Luxus, sie ist lediglich geizfrei. Sie stellt eine emotionale Beziehung zwischen dem Menschen und den ihn umgebenden Dingen her. Dinge, die er braucht und will. Der Mensch verbindet sich mit den Dingen, die er täglich berührt. Das gibt ihm einen Platz in der Welt. Die Verbindungen zwischen Mensch und Kartoffel, zwischen Mensch und Brot, zwischen Mensch und Wasser, aber auch zwischen Mensch und Werkzeug und zwischen Mensch und Maschine sind essentiell, existenziell, sie machen den Menschen zum Menschen. Wir alle brauchen intensive Beziehungen zu den Menschen um uns herum, zu den Dingen, die uns umgeben, zu dem Boden, auf dem wir leben, und zu den Lebensmitteln, die wir zu uns nehmen“.
Aus dieser Beziehung ergibt sich eine Wertigkeit: „Wir fühlen uns von solchen Dingen aufgewertet, der Wert des Dings geht über auf den Besitzer, der ein inniges Verhältnis zu dem Ding hat. Produktwert wird zu Selbstwert. Diese wertvollen Dinge reflektieren einen Menschen. Sie drücken einen Stil aus. Kein Mensch auf der Welt besitzt die gleiche Kombination von Dingen wie ich. Wenn ich morgen an einen Baum fahren würde, und jemand Fremdes käme in meine Wohnung, dann würd er diese Dinge wahrnehmen und hätte ein Bild von mir, einen Reflex, einen Widerhall von mir in der Welt“ [1].
Die Wertigkeit ist eine Frage der Beziehung zu den Dingen.
Bauen ist in diesem Sinne eine besondere Form der Beziehungsfindung zu den Dingen. Das Vorhaben, dauerhaft zu bauen, ist wahrscheinlich genauso alt wie die Menschheit selbst – zumindest seit der Sesshaftwerdung des Menschen. Vitruv sprach in der Antike von „Festigkeit“ und meinte damit wohl auch die Dauerhaftigkeit. Die Schutzfunktion des Gebauten ist ja auch nur dann gegeben, wenn diese gleichzeitig auch Dauerhaftigkeit verspricht und wäre ansonsten recht kurios.
„Da eine bauliche Investition typischerweise zu den größten Investitionen gehört, die ein Mensch im Lauf seines Lebens tätigt, ist der Wunsch nach maximaler Wertigkeit und Beständigkeit der Investition verständlich“ schreibt der Bauingenieur Werner Sobek [2]. Das Bedürfnis, ein Haus zu bauen, und dieses seinen Nachkommen zu vererben, ist zumindest ein Antrieb, der zu früheren Zeiten sehr dominant war. Heute eher weniger, weil wir ohnehin nicht mehr dauerhaft bauen, geschweige denn zeitlos denken.
Alles ist modisch, dann altmodsich und dann abrissreif.
Inwiefern Dauerhaftigkeit heute wirklich ein Prinzip zu sein scheint, darf allerdings auch im Bauen offen bezweifelt werden. Entsprechend stellt Klaus-Peter Keunecke 1994 fest: „Während im 19. Jahrhundert eine Lebenserwartung von 150 Jahren für Wohngebäude durchaus üblich war, mehren sich heute die Stimmen, die für die in gegenwärtig üblicher Bauweise errichteten Gebäude lediglich noch eine Gesamtlebensdauer von 40 – 80 Jahren bringen wollen“ [3]. Inzwischen dürfte die Lebensdauer eher noch nach unten geschraubt worden sein. Alles, was beständig und dauerhaft ist, schränkt – in dieser individualistisch-emanzipativen Zeit – auch die freie Wahl zukünftig ein.
Dauerhaftigkeit steht dem Hang zur jeweiligen zeitgebundenen Mode diametral entgegen. Was nach 20 oder 30 Jahren nicht mehr gefällt, wird einfach abgerissen. Weil diese „modernen“ Häuser auch gar nicht mehr gebaut sind, um alt zu werden. Weder können sie repariert werden, noch altern die eingesetzten Baumaterialien in Würde und schon gar nicht ist der Entwurf auf Dauer angelegt. Früher oder später ist das Bauwerk in Summe eine Angelegenheit für die Mülltrennung – falls überhaupt noch möglich.
Entsprechend schlägt sich auch die Qualität durch – oder eben nicht. Was auf Dauer seinen Wert erhalten soll, kann kaum nur dem jeweilig Modischen entsprechen. Dabei ist Bauen ja gerade das Gegenteil einer zeitweiligen Mode: Sie ist „Repräsentant und Ermöglicher von Dauerhaftem“ [4].
Gerade in der Dauerhaftigkeit besteht ja auch der eigentliche, auch materielle, Wert.
Zeitlosigkeit in Entwurf und Ausgestaltung machen sich längerfristig bezahlt. Zwar erzielt das Neue natürlich den größten Effekt und die Fähigkeit und die Möglichkeit, Neues zu schaffen und zu finanzieren demonstriert auch die eigene Macht. Jedoch verliert sich die ständige Suche nach dem Neuen in sich selbst. Wertvoller ist doch das, was über lange Zeit seine Anforderungen erfüllt.
Das bestätigt sich dann, wenn wir die Zeugen unserer eigenen Geschichte wieder finden, wenn Erinnerungen wach werden, die sich in den Umgebungen und Gebäuden unserer Kindheit sammeln und wenn wir dabei an unsere Eltern und an unsere Großeltern und an die Vorangehenden denken.
Das alles ist nur möglich, wenn Bausubstanz erhalten und weiter entwickelt wird und wir langfristig denken.
Ansonsten entsteht neben der ökologischen Katastrophe eine kulturelle Katastrophe, die sich in einem Nichts äußert.
Literatur:
[1] Burchardt, Uli: „Ausgegeizt. Wertvoll ist besser – Das Manufactum-Prinzip“, Campus Verlag, Frankfurt 2012
[2] Sobek, Werner: „Über die Gestaltung der Bauteilinnenräume“, Festschrift zu Ehren von Prof. Dr.-Ing. Dr.-Ing. E.h. Manfred Curbach, Dresden 2016
[3] Keunecke, Klaus-Peter: „Immobilienbewertung. Entscheidungsorientierte Ansätze bei der Grundstücks- und Gebäudebewertung“, Springer-Verlag, Heidelberg 1994
[4] Gutzmer, Alexander: „Architektur und Kommunikation – Zur Medialität gebauter Wirklichkeit“, Transcript Verlag, Bielefeld 2015