Die großen Architekten (und die großen Ingenieure) sind große Philosophen. Oder zumindest kleine. Große Gedanken erzielen große Tragweite. Kleine oder keine Gedanken enden im Belanglosen, im Trivialen und im Ramsch. Und gute Architektur ist mit dem Territorium verbunden, sie wird eins mit dem Land, untrennbar verbunden, gar nicht mehr wegzudenken; das Bauhaus irrte.
Werner Tscholl studiert bis 1981 in Florenz, eröffnet 1983 in der „tiefsten Provinz“ in Morter sein eigenes Architekturbüro.
Der Vinschgau ist an und für sich eine interessante Region, die vom übrigen Südtirol allein schon sprachlich abweicht – der Dialekt ist alemannisch und nicht bayrisch, die rätoromanische Sprache ist lange erhalten geblieben, die Angrenzung an die Schweiz und an Graubünden, aber auch an Vorarlberg ist unmittelbar. Die Verkehrsanbindung an das sonstige Südtirol ist schleppend. In Südtirol selbst bildet der Vinschgau eine vielfach „andere“ Realität, die interessant und faszinierend ist und die landesweiten Entwicklungen in den letzten Jahren nicht immer mitgemacht hat. Umso ursprünglicher ist das Land geblieben.
Tscholl selbst sagt, er sei gar nicht lokal oder regional verwurzelt. „Ich schlage überall Wurzeln und da wo ich gerade bin, fühl ich mich am wohlsten“[1].
Während in den 1980er-Jahren Architektur als solche in Südtirol fast nur bei öffentlichen Bauten relevant war, schafften es die Vinschger Architekten Walter Dietl, Arnold Gapp, Karl Spitaler und Werner Tscholl, auch private Bauten zu planen und folglich Schöpferisches in den Tälern zu verbreiten.
Es ist auch durchaus interessant, dass Werner Tscholl 1993, also 10 Jahre später, im Eigenverlag die Publikation „Werner Tscholl Architekt, Geplantes, Gebautes & nicht Erlaubtes“ heraus gibt, was grundsätzlich einem tiefen Kulturtrieb entspricht, dem Verfassen, dem Erhalten, dem Verbreiten des eigenen Gedankens.
Werner Tscholls Bauwerke haben etwas Skulpturelles, sie sind Plastik und in Materie festgehaltene Bewegung. Am Timmelsjoch oder in Tramin. Tscholl zeichnet aber auch am Territorium weiter, arbeitet mit der Geologie, dem Fels, der Morphologie. Beim Messner-Museum in Firmian, erst recht aber beim Felsenhaus in Kastelbell. Das Gebauet stellt der Natur etwas Gleichartiges, aber Menschliches entgegen.
Ähnlich wie dem Bauingenieur Lorenzo Jurina bedeutet das reine konservative Bewahren Werner Tscholl nichts, weil ein Bauwerk, das bewahrt werde, „tot“ sei [1]. Zu erhalten und zu beleben sei immer nur das Lebendige. Jurina bezieht Analoges auf das Tragwerk: Nichts ist das Tragwerk, das nur noch Schein ist, alles das Tragwerk, das Kräfte abzutragen in der Lage ist. Das gute Bauen ist in der Folge auch ein Folgen der Kräfte, kein Unterordnen der Statik unter alles andere.
Bettina Schlorhaufer schreibt zum Werk Tscholls: „Werner Tscholl ist ein Architekt, der sich vielleicht öfter
als andere mit der Revitalisierung von Baudenkmälern auseinandersetzen konnte. Die wiederkehrende Beschäftigung mit ähnlich gelagerten Bauaufgaben ist aber nicht nur auf seine Vorliebe für mehr oder weniger bedeutende Ruinen zurückzuführen, diesen Bauvorhaben kommt auch seine Arbeitsweise entgegen: WernerTscholl arbeitet nämlich nicht wie andere Architekten auf der Basis eines Büros mit (mehreren) Mitarbeitern, sondern stets alleine in der Form einer „Ich-AG“. Denn zu seiner bevorzugten methodischen Herangehensweise an alte oder neue Bauten gehört auch, dass er permanent unterwegs ist, um wesentliche Entscheidungen direkt auf den Baustellen zu treffen. Das ist im Umgang mit historischen Bauten besonders wichtig, weil sie von einer derartigen „Unregelmäßigkeit“ sind, dass die Planungsarbeit fast nur vor Ort und manchmal im Gespräch mit dem Denkmalamt und den Handwerkern stattfinden kann. Darüber hinaus bietet das Arbeiten am „Ort des Geschehens“ die Möglichkeit, sich mit Baudetails im 1:1-Format auseinandersetzen zu können“ [2].
Andererseits sagt Tscholl auch, dass er dann, wenn er große Bauprojekte abwickeln hätte wollen, ein viel größeres Büro benötigt hätte, was in Morter eher unrealistisch sei. Aus dem Kleinen entwickelt sich die hohe Qualität.
Tscholl hat ein gespaltenes Verhältnis zum Werkstoff Holz: „Holz setze ich immer weniger ein, weil ich der Meinung bin, dass es nicht so schnell schön altert, wie es eigentlich sollte. Es dauert zu lange und dann gibt es diese Zwischenzeiten, die mir nicht mehr so gut gefallen. Glas ist zum Beispiel ein Material, das dauerhaft eingesetzt werden kann, das verwende ich gerne. Beton ist auch ein wunderbares Material. Aber welches Material ich letztendlich verwende, hängt immer vom Bau selbst ab“ [1].
Und doch nimmt das Holz einen charakteristischen Platz im Werk Tscholls ein: „Werner Tscholl befasst sich noch mit einem weiteren Material, das eine ähnlich charakteristische Farbgebung aufweist wie Blech oder Stahl, mit Kastanienholz. Egal, ob es sich um öffentliche oder private Bauaufträge handelt, bei den meisten seiner Projekte realisiert er auch die Innenraumgestaltung“ [2]. Es geht um die Art der Alterung der Materie, die für den architektonischen Entwurf maßgebend ist. Bauen von der Materie aus gedacht: Elementar und erdig.
Literatur:
[1] https://www.vinschgerwind.it/windonline/item/4376-marmelade-kann-man-einwecken-bauten-aber-nicht
[2] Bettina Schlorhaufer: „Walter Dietl Arnold Gapp Werner Tscholl: Drei Vinschgauer Architekten im Portrait“