Mit dem Infrastrukturprojekt „Neue Seidenstraße“ will China den Führungsanspruch als globale Wirtschaftsmacht weiter forcieren. Gerade das chinesische Beispiel untermauert, wie globales Machtstreben, Kontrolle der Handelsflüsse, Kapitalmacht, militärischer Einfluss und Infrastruktur einher gehen, sich gegenseitig bedingen und unterstützen. Der Blick in die Geschichte belegt diesen Standpunkt.
Die Etablierung der britischen Weltmacht im 19. Jahrhundert vollzieht sich durch die Fähigkeit, die Welt mit einer britischen Infrastruktur auszustatten. Großbritannien konnte sich dabei auf geopolitische Vorteile sowie auf leistungsfähige Institutionen, unter anderem Handelsgesellschaften und Bankhäuser, verlassen, die eine Infrastruktur der Handelsnetze zu begründen vermochten[i]. Die militärische Handlungsfähigkeit vermochte diesen wirtschaftlichen Anspruch zu verstärken. Daraus ergibt sich nach Tim Marshall die Voraussetzung zur Handelsmacht, über vorgeschobene Stützpunkte und Nachschubstationen zu verfügen, von denen aus ein ständiger Vorstoß als Seestreit- und Seehandelsmacht gesichert werden konnte.
Wenig anderes charakterisiert die Wirtschaftsgeschichte der Vereinigten Staaten. Neben der geopolitischen Lage war es für die Entwicklung der Vereinigten Staaten von eminenter Wichtigkeit, die Festigung von innen durch eine leistungsfähige Infrastruktur zu bewirken. Die inneren Handelswege und Infrastrukturprojekte vermochten aus dem weiten Land eine gefühlte vernetzte Einheit zu machen. Daraus ergibt sich eine „strategische geographische Tiefe“[ii], die in der Folge um sich greift und sich im weltpolitischen Maßstab erweitert. Das wichtigste Handelsgut für die Vereinigten Staaten ist fortan der Tauschwert Sicherheit, den die militärische Macht USA seinen Partnern bietet. Mit Erfolg bis heute.
Nicht anderweitig sind die neuzeitlichen Bestrebungen Chinas im Sinne einer neuen Weltmacht im fernen Osten einzuordnen. Nils Ole Oermann und Hans-Jürgen Wolff sprechen in Bezug auf China von: „Es geht um den Aufbau neuer Ökosysteme, die, einmal miteinander vernetzt, neue geografische und politische Räume schaffen“. Die chinesische „Konnektivitätspolitik“ ist charakterisiert durch die Schaffung von Verkehrs- und Handelsnetzen, die darauf aus ist, andere Mächte in Abhängigkeit zu drängen. Insbesondere plant China dabei sehr langfristig, ist auf keinen militärischen „Showdown“ aus, sondern auf nachhaltigen wirtschaftlichen und militärischen Einfluss.
Mit der „Neuen Seidenstraße“ setzt China dabei Infrastrukturprojekte im globalen Maßstab um, um sich auf See und auf Land als Weltmacht zu etablieren. Es ist dieser Konnex aus Kapital, Militär und Infrastruktur, die die Stärke begründen:
- China finanziert globale Infrastrukturprojekte mit dem Vorhaben, die Kontrolle über strategische Knotenpunkte zu erlangen. Neben dem Verfügbarmachen von Kapital stellt China ebenso Arbeitskräfte sowie militärische Sicherheisdienste zur Verfügung und sichert sich folglich die Handelswege. Durch die Kapitalbeteiligungen im globalen Maßstab, Investitionen in europäische Technologie-Konzerne, eine Abkoppelung von der US-dominierten Weltwirtschaft und letztlich durch die neu zu schaffenden Handelswege arbeiten die Chinesen an der Grundlage, um die Vernetzung mit dem Westen zu vollziehen – und letztlich auch den eigenen Einfluss massiv zu erhöhen.
- Insbesondere der Balkan ist für China startegisch von Bedeutung, um die Landwege zwischen China und Europa auszubauen. Die Investitionen gehen weit über reine Verkehrsinfrastruktur hinaus: „Im Rahmen seines weltumspannenden Projektes „Neue Seidenstraße“ spielt der Balkan für China eine immer größere Rolle. Milliarden Dollar investieren die Chinesen vor allem in Infrastruktur-Projekte. Sie errichten Autobahnen, Eisenbahnstrecken, Brücken und übernehmen Häfen. Doch auf ihrer Einkaufsliste stehen auch Industriezentren und Kraftwerke“ (Quelle: Mitteldeutscher Rundfunk). Die Güterverkehrsverbindung zwischen China und Duisburg, welche den Anschluss Chinas an die Nordsee sichert, wurde in diesem Sinne bereits erfolgreich umgesetzt.
- Daneben spielen die maritimen Handelswege eine wesentliche Rolle. Zur maritimen Seidenstraße gehört beispielsweise der Sues-Kanal in Ägypten, wo China nicht nur in die Verkehrsinfrastruktur investiert, sondern den Einfluss durch Kapital in der gesamten Region forciert: „Die maritime Verbindung („maritime silk road“) reicht von Südchina über die Straße von Malakka, vorbei an indischen Häfen über den indischen Ozean, Ostafrika, durch den Suezkanal bis nach Venedig. Häfen spielen dabei eine zentrale Rolle, insbesondere der Knoten Piräus als Endpunkt der maritimen Seidenstraße in Europa“ (Quelle: Wochenzeitung Verkehr). Im fernen Osten ist es für China wesentlich, militärische Stützpunkte für zivile Zwecke zu nutzen. Die Grenzen sind verschwindend. Wesentlich ist es letztlich, aus in Krisenherden die eigenen Waren und Handelswege zu sichern.
Insbesondere unter der schwarz-blauen Regierung in Österreich wurde Österreichs Beteiligung am Infrastrukturprojekt Seidenstraße forciert. Mittels Breitbahnspur sollten die Handelswege in Richtung Osten attraktiviert werden. Ob die Rechnung letztlich wirklich mit dem Wirt, nämlich China, gemacht wurde, ist eine völlig andere Frage. China bündelt die strategischen Investitionen seit 2013 unter dem Schlagwort „One belt, one road“ und verfolgt dabei selbstverständlich Eigeninteressen.
Wesentlich für die Prosperität eines Landes ist es, die innere Festigung durch eine leistungsfähige Infrastruktur, welche politische und wirtschaftliche Einheit, ertragreichen Handel sowie den Warenverkehr garantiert, sicherzustellen. Die Eingliederung in die globalen Handelsflüsse ermöglicht das Nutzbarmachen der so genannten „komparativen“ Kostenvorteile: Indem sich ein Land auf die Produktion bestimmter Waren spezialisiert, die die geringsten Kostennachteile bewirken, entsteht ein Vorteil im Handel, von dem alle Handelspartner – zumindest in der Theorie – profitieren sollen. In unserer liberalisierten Welt sind Handelsflüsse zwar frei, die geographischen Abstände sind allerdings nach wie vor ein essentielles Problem, insbesondere bedingt durch Krisenregionen und Transportkosten. Essentiell ist dabei eine leistungsstarke Infrastruktur, die durch den geringeren räumlichen Widerstand Standortvorteile bewirkt und folglich einen Standort gegenüber anderen Standorten stärkt.
Dort, wo es gelingt, anderweitige Mächte in die eigene Infrastruktur zu „zwingen“, weil diese alternativlos oder leistungsfähiger ist als andere, entstehen entscheidende Vorteile, weil damit die Macht zusammenhängt, den Markt zu bestimmen und zu kontrollieren.
Aus den globalen Vorgängen rund um wirtschaftliche Vormachtstellung, Globalisierung sowie milliardenschwere Infrastrukturprojekte lässt sich die essentielle Bedeutung von Mobilität für unser derzeitiges Wirtschaftssystem nachvollziehen. Letztlich geht es darum, räumliche Widerstände zu minimieren, die Zeiten zu verkürzen und die Zuverlässigkeit zu erhöhen – ob im globalen Maßstab oder im regionalen Kontext. Die theoretischen Hintergründe werden aus den Verkehrswissenschaften ableitbar und sind grundsätzlich in der verkehrspolitischen Praxis nachhaltiger einzubeziehen. Damit lassen sich vielleicht zuverlässigere Abschätzungen erzielen, ob die Seidenstraße für Europa nun eher Chance oder Risiko ist. Jede Investition in das Verkehrssystem kennt letztlich Gewinner und Verlierer.
[i] Oermann, Nils Ole & Wolff, Hans-Jürgen: „Wirtschaftskriege – Geschichte und Gegenwart“, Herder Verlag, Freiburg im Breisgau 2019
[ii] Marshall, Tim: „Die Macht der Geographie – Wie sich Weltpolitik anhand von 10 Karten erklären lässt“, Deutscher Taschenbuch Verlag, München 2015
Weiterführende Literatur:
Klaus Schöler: „Raumwirtschaftstheorie“, Vahlens Handbücher der Wirtschafts- und Sozialwissenschaften 2005
Michael Demanega: „Das Verkehrswertmodell als Grundlage für eine intelligente und transparente Verkehrsplanung am Beispiel Südtirols“, Technische Universität Wien 2017 (Link)
Michael Demanega | Bauingenieur Südtirol