Wer das Land im Winter nicht mag, so sagt man, liebe das Land nicht. Darin steckt viel Wahres. Während es im Sommer natürlich einfach ist, das Land zu lieben, weil sich die Natur in allen ihren Ekstasen und Blüten äußert, ist das Land im Winter auf seinen nackten „Rest“ reduziert; aber auch gesäubert vom Ballast, zurückgekehrt in sich selbst, auf sein Relief und seine Morphologie, scheinbar in Schockstarre.
Im Frühling regt sich dann das Leben neu. Die ersten Knospen sprießen, gefolgt von Blüten, da und dort ragt das Grün aus dem Boden, nach und nach bereitet sich die Natur auf ihr Hochfest vor. Irgendwann, nach Regen und Sonnenschein, schlägt es dann um und alles blüht und lebt auf. Endlich. In Südtirol blühen die Äpfel, das Land zeigt sich in seiner ganzen Fruchtbarkeit, in mediterraner Wärme ob alpiner Kulisse.
Während wir zu Weihnachten in uns selbst kehren und die Geborgenheit ob der winterlichen Kälte im Wohninneren finden, kehren wir im Frühling nach außen, öffnen Fenster und Türen, lassen Luft und Sonnenschein herein und sind gerne im Zwischenbereich zwischen drinnen und draußen.
Nicht nur die Natur blüht auf. Ähnliches geschieht aber auch mit uns Menschen, sind wir doch Geschöpfe dieser Natur. Das Gemüt wird wieder heller, die innere Freiheit spürbarer, die Natur in uns wird drängender, alles vitaler. Die Freude am Leben lässt uns schöne Feste feiern. Wir feiern uns und das Leben.
Wer diese elementaren Zusammenhänge nicht versteht, kann vermutlich auch nicht gut bauen. Im guten Bauen werden natürliche Baumaterialien dauerhaft in Form gebracht. Wir streben auf der höchsten Stufe nicht nur Annäherungen an die Natur, an ihre Naturgesetze und Konstruktionsformen an, sondern streben nach einer Vereinigung mit der Natur, in dem das menschliche Gebaute durch die Natur angenommen wird und sich beide Ebenen, das Menschengemachte, Kulturelle, und das Natürliche verbinden.
Bauen ist nichts Abstraktes und schon gar nichts Lebensfremdes. Vielleicht ist es das manchmal. Dann nämlich, wenn unverständliche bauliche Theorien erläutert werden, die niemand versteht, eigentlich nicht einmal diejenigen, die diese Theorien erfinden, weil nichts „echt“, spürbar und sinnlich erfahrbar ist, sondern eher Kopfzerbrechen verursacht.
Bauen ist materialisiertes Leben, ist geformtes Leben, ist Zusammenleben, ist Erleichterung des menschlichen Daseins, ist Freiheit, indem das gute Bauen Kooperation, Kreativität, gute Stunden, aber auch Ruhe, Konzentration und Zusammensein zulässt.
Atmosphären entstehen dann, wenn die Materie in Form gebracht wird und sich mit dem menschlichen Leben kongenial vereint.
Atmosphären sind nach dem Philosophen Gernot Böhme „gestimmte Räume“. Unsere Leiblichkeit kommuniziert mit dem Raum, wir sind selbst Teil des Raumes, unser Körper reagiert auf die Reize, hinterfragt und fühlt. Böhme erachtet das Umweltproblem in der Folge als „eine Beziehung des Menschen zu sich selbst“. In der Naturerfahrung hinterfragt der Mensch, was es heißt, Natur zu sein und leiblich an ihr teilzuhaben. Böhme meint, dass wir die Natur insbesondere in ihren „Ekstasen“ erfahren. Das sind wohl jene Momente, die das Alltägliche übersteigern und uns staunen lassen. Woher diese Empfindungen rühren, wissen wir nicht, vielfach sind es wohl unsere Urinstinkte. Vielleicht gibt es in der Natur die Ekstasen des Nordens und die Ekstasen des Südens sowie auch die Ekstasen des Überganges.
Im Frühling und um Ostern herum äußern sich die Natur und das Leben in allen diesen Ekstasen.
Von derartigen Höhen des Bauens und des Lebens kann sich natürlich die „bauliche Moderne“ kaum begeistern, besteht diese seit dem Bauhaus ja explizit in einer völligen territorialen Ungebundenheit, im Frönen einer technizistischen und rationalistischen Welt, die letztlich weite Ebenen des Menschseins vergisst, leugnet und ausblendet und damit unweigerlich in der ökologischen Katastrophe endet, weil die vollkommene Entfremdung des Menschen von seiner Natur vollzogen ist. Heute sind es die Glas-Beton-Kolosse, aufgeheizt durch Metallverblendungen und synthetische Baustoffe, bei denen dann der Rasenteppich mit dem obligatorischen Olivenbaum, der irgendwo nach 300 Jahren aus seinem gewachsenen Boden gerissen wurde, das Gewissen erleichtern soll – und das Gegenteil erreicht. Zweifelhaft und oberflächlich.
Es gibt aber auch das andere Leben und Bauen. Ein Bauen, das aus der gewachsenen Umgebung heraus entsteht aus Dialog mit dem Territorium, der baulichen Tradition und ihren handwerklichen Qualitäten, aus den menschlichen Lebenswelten sowie dem Bedürfnis nach historischer Kontinuität und emotionaler Tiefe, nach gefestigten Beziehungen – auch zu uns selbst -, aus Vereinigung mit der Natur und in dem Bewusstsein, dass das gute Bauen an die großen Bauepochen anknüpft und mit diesen nicht bricht.
Ein Gebäude ist folglich bei Weitem nicht nur etwas Materielles. Über das Materielle hinaus verwirklicht ein Haus ein „Mehr, das aus dem Innenleben des Menschen stammt. Dieses Innenleben verlangt nach einer animalischen, intimen, bergenden Komponente des Baus als einer Art schutzgewährenden Höhle. Aus ihr heraus kann er sich [der Mensch] seiner Umwelt bemächtigen, aber nicht, um sie auszunützen, sondern um sie zu besitzen“ schreibt Kristian Sotriffer [1].
Literatur:
[1] Sotriffer, Kristian: „Die verlorene Einheit – Haus und Landschaft zwischen Alpen und Adria“, Edition Tusch, Wien 1978
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