Südtiroler Ortsnamenfrage: Irrelevant oder nicht?

Die Südtiroler Ortsnamenfrage oder Toponomastik ist im Sinne der Debattenkultur eine Schieflage par excellence. Strategische Umbenennungen, die einzig und allein darauf aus waren – und sind -, Gebietsansprüche zu begründen, die objektiv betrachtet nicht begründbar sind, sind auch heute noch ein politischer Zankapfel.

Oder auch nicht: Kulturelle Gleichgültigkeit erleichtert vieles. Und der Bezug auf „Es gibt wichtigeres“ ist eine subjektive Angelegenheit, die letztlich darauf aus ist, den Status Quo opportunistisch zu erhalten. „Wichtigeres“ gibt es immer. Überall. Vor allem dann, wenn ich über irgend etwas nicht sprechen will.

Die Farce, es würde „irgendjemandem irgendetwas genommen werden“, wenn über historische Ortsnamen gesprochen werden würde, gehört zu den rhetorischen Tricks einer Diskussion, die nach der Sprache der Macht und nicht nach der Sprache der Wahrheit geführt wird. Emotionale „Befindlichkeiten“, die letztlich – nur – auf politische Grenzdebatten über den Brenner herunter zu brechen sind, weil es ansonsten keine objektiven Argumente geben würde, verdeutlichen die Schieflage.

Fortan die typische liberalistische „Diskussionskultur“: Wer Themen anspricht, die die emotionalen Befindlichkeiten von irgend jemandem – der allerdings in der Machtposition sein muss, diese Machtspielchen zu „Befindlichkeiten“ aufzubauschen – angeblich und vermeintlich verletzen, ist der „Tintige“. Diskussion beendet.

Wer im liberalistischen Kontext von „Gefährdung des sozialen Friedens“ spricht und damit demokratische Debatten nach eigenem Gutdünken opportunistisch beenden will, führt allerdings nichts Ehrliches im Schilde.

In der Machtposition ist, wer Diskussionen einseitig beenden kann. Angeblich. Aber auch nur in asymmetrischen und nichtliberalen Diskussions-Praktiken. Diese Machtdemonstationen verhindern den konstruktiven Diskurs, sollen sie auch, um ja nicht nationale Symbole und plumpe Machtansprüche in Frage zu stellen.

Auf einer objektiven Ebene gäbe es sehr weitreichende Debatten zu Ortsnamen zu führen. Das Ergebnis – könnte theoretisch – vielschichtig ausfallen. Die geltende Machtstruktur hinter dem Status Quo lässt offene Debatten in dieser Angelegenheit aber grundsätzlich nicht zu und kann sich auf eine „liberalistische“ Kommunikationskultur verlassen, die nur den Weg des geringsten Widerstandes gehen will, womit nationale Interessen – immer – gewinnen. Der Weg des geringsten Widerstandes und der Gleichgültigkeit ist der Weg der (staatlichen) Macht. Immer.

Das handfeste Problem ist in Südtirol noch immer, dass die historisch gewachsenen Namen – bis auf wenige Ausnahmen – nicht amtlich sind, sondern nur italianisierende Phantasienamen, die mit der Faust auf die Landkarte geknallt wurden und die die politischen Gebietsansprüche begründen und ergebnisoffene Debatten verhindern sollen, allerdings mit der wechselvollen Geschichte eines Landes – mit Ausnahme kurzfristiger autoritärer Herrschaftsformen der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts – nichts zu tun haben.

Es gibt in Bezug auf autoritäre Entscheidungen, selbst wenn 100 Jahre alt, kein Gewohnheitsrecht. Nicht einmal in Südtitol, wo die Uhren grundsätzlich anders ticken und eine breite Koalition den Weg des geringen Widerstandes geht, dabei – von links nach rechts und von rechts nach links – stets nationale Interessen stärker betont als regionales Recht. In diesem „liberalistischen“ Diskurs – die „freie“ Marktwirtschaft der Ideen lässt grüßen – gewinnt nicht das Recht, sondern die stärkere Marktposition.

Die Politik unternimmt nichts – „es gibt ja wichtigeres“, das halt auch nicht gelöst wird, sondern die billige und günstige Ausrede ist, alles beim Status Quo zu belassen. Es gibt übrigens überall „wichtigeres“.

Und es gibt sie doch, die internationalen Praktiken, die aufseiten der plumpen Bewahrer des Status Quo natürlich niemand sehen will, allzu sehr würden sie die „Gemütlichkeit“ und die „Idylle“ stören.

Die Expertengruppe der Vereinten Nationen für geographische Namen UNGEN steht für eine objektive Lösung von Ortsnamenfragen mit der Förderung der nationalen Dokumentation von Ortsnamen im Interesse einer eindeutigen Bezeichnung sowie Förderung der Sicherung von historischen Ortsbezeichnungen oder endonymischen Namen in Minderheitensprachen. Dadurch sollen Frieden und Wirtschaft gefördert sein.

Das Selbstverständnis: „Der einheitliche Gebrauch von genauen Ortsnamen ist maßgeblich für eine weltweite gute Kommunikation und leistet für die wirtschaftliche und soziale Entwicklung, den Umweltschutz und die nationale Infrastruktur wertvolle Dienste. Aus diesem Grunde hat die Organisation der Vereinten Nationen die Sachverständigengruppe der Vereinten Nationen für geographische Namen (UNGEGN) eingerichtet. Die Sachverständigengruppe unterstützt die Verwendung von weltweit einheitlichen und genauen Ortsnamen“. Sprich: Standardisierung der „vor Ort gewachsenen Namen“.

Ortsnamen sind – wie Namen allgemein – nichts banales. Ich bin – durch meinen Namen. Meine Identität definiert sich – über den Namen. Alles irrelevant, etwa bei Kinder- oder Markennamen? Mitnichten.

Raumbildung, also die Strukturierung des Raumes mit der Folge, dass es sich fortan um ein spezifisches „Land“ handelt, vollzieht sich nach Bruno Zanon in der Regel über diverse Prozesse. Land wird benannt: Ein anonymes Land wird zu einem präzisen Ort. Land wird begrenzt: Es wird zum spezifischen Besitz und „Eigentum“ – in der Geschichte ging damit häufig auch die Etablierung eines Rechtssystems einher. Land wird transformiert: Aus unbändigen Naturlandschaften entwickeln sich landwirtschaftlich nutzbare Kulturlandschaften. Land wird strukturiert: Es bilden sich Dörfer, Städte, Regionen. Land „kommuniziert“: Es orientiert sich geographisch, kulturell und politisch [1].

Namen sind nach dem Sprachwissenschaftler Egon Kühebacher weit mehr als nur Wörter: „Unlösbar mit der Kulturlandschaft verbunden sind die Namen der Siedlungen, Gelände und Gewässer. Sie sind Denkmäler der Sprach- und Siedlungsgeschichte einer Landschaft (…) Das Wort bedeutet, und seine Bedeutung kann mit einem gleichbedeutenden Wort einer anderen Sprache wiedergegeben werden. Der Name hingegen bezeichnet, identifiziert, bildet mit dem Bezeichnen eine Einheit und ist nicht übersetzbar“ [2].

Flur- und Ortsnamen deuten vielfach auf lokale geologische Gegebenheiten sowie auf die Bodenbeschaffenheit hin und sind somit ein wichtiges Indiz für die Beurteilung von Baugründen [3], von natürlichen Risiken und Gefahren, weshalb es fahrlässig ist, historische Ortsnamen in Vergessenheit geraten zu lassen.

Dem vorher vielleicht anonymen Land wird durch die Namensgebung gleich in mehrerlei Hinsicht eine Bedeutung zugesprochen. Durch das Bauen auch. Daraus entstehen vielfältige Beziehungen und Werte. Zumindest für denjenigen, der kulturelle Werte als Wert erkennt. Gleichgültigkeit ist die größte Gefahr unserer Zeit. Beim Bauen und bei Namen.

Gleichgültigkeit rettet oft den Tag. Zumindest kurzfristig, solange das Aufschieben gut klappt. Ohne festen Boden und feste Grubdlagen ist allerdings alles eine rutschige Angelegenheit. Für die, die sich der eigenen Verantwortung nicht stellen wollen.

Literarur:

[1] Zanon, Bruno: „Territorio, Ambiente, Cittá – Temi, esperienze e strumenti dell’urbanistica contemporanea“, Alinea, Firenze 2008

[2] Kühebacher, Egon: „Südtiroler Burgen-, Hof- und Flurnamen: Geschichte und Politik“ in „Arx – Burgen und Schlösser in Bayern, Osterreich und Südtirol“, Südtiroler Burgeninstitut, Bozen 1998

[3] Adam, Dietmar: „Grundbau und Bodenmechanik“, Technische Universität Wien, Wien 2017

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