Das Spannungsverhältnis zwischen Infrastruktur und Macht erklärt, weshalb staatliche Macht auch im 21. Jahrhundert nicht wegmaterialisiert ist, sondern ein hartes Gesetz bleibt, das demjenigen bewusst wird, der sich daran stößt. Wenn Umweltaktivisten durch staatliche Macht daran gehindert werden, gegen Bauprojekte zu demonstrieren, weil die entsprechenden Vorhaben aus mehr oder weniger demokratischen Entscheidungen hervorgehen und es folglich im Sinne des Gemeinwesens ist, derartige Blockaden zu lösen – ganz egal, ob sich die Demonstrierenden auf ein vermeintlich „höheres“ Recht berufen oder nicht – dann ist dieses Vorgehen im Sinne des Rechtsstaates legitim und aus dieser gegebenen oder fehlenden Legitimität ergibt sich die staatliche Macht.
Dort, wo Einzelne sich anmaßen, besser zu wissen, was „gut“ ist für alle und sich dabei nicht an die politisch-demokratischen Gegebenheiten halten wollen, sondern die eigenen Ansichten mit anderweitigen Mitteln, mitunter mehr oder weniger gewaltvollen, durchsetzen wollen, ist der Schritt in Richtung politischen Umsturz gesetzt. Die Ausnahmen sind natürlich dort gegeben, wo Menschenrechte und das Völkerrecht angetastet werden. Es gibt nämlich kein Recht auf die „Tyrannei der Mehrheit“. Nun ist die Angelegenheit im Bereich der Klimaaktivisten allerdings verzwickt, weil die Frage nach der Legitimität komplizierte kollektive Fragestellungen eröffnet. Es einerseits kollektive Interessen nach Energieversorgung, andererseits nach einer nachhaltigen Zukunft gibt.
Aber zurück zur staatlichen Macht, die hier im Konkreten versinnbildlicht ist.
„Wir gehen davon aus, dass Infrastrukturen Machtbeziehungen rekonfigurieren und Handlungsoptionen eröffnen, denn technische Großprojekte zwingen die jeweiligen Akteure dazu, Machtverhältnisse neu zu verhandeln und festzuschreiben. Dies nimmt allerdings künftige Entscheidungen vorweg und schränkt die Handlungsoptionen nachfolgender Akteure ein (…) Macht wird unter anderem deshalb neu verhandelt, weil durch den Bau von Infrastrukturen neue Rechtsbeziehungen nötig, Institutionen gegründet, Besitzansprüche revidiert und Konzessionen vergeben werden“ schreiben Birte Förster und Martin Bauch.
Die Dimensionen, die sich daraus ergeben, sind die folgenden:
- Sichtbarkeit von Machtbeziehungen durch die eindrucksvolle Materialisierung der Machtverhältnisse
- Verschleierung von Machtverhältnissen durch „scheinbar neutrale Sachzwänge“ [1], hinter denen sich allerdings die Machtverhältnisse verstecken: „Metaphern von (…) schöpferischer Kraft der Ingenieurskunst machten großräumige Veränderungen der Naturlandschaft (…) zu einer nahezu märchenhaften Erzählung von Fortschritt, paradiesischen Gärten und heroischen Ingenieuren. Machtbeziehungen wurden auf diese Weise gleichermaßen legitimiert und verschleiert“ [1].
- Speicherung von Macht durch langanhaltende Beziehungen, die sich aus der Infrastruktur ergeben: Diese Machtverhältnisse sind quasi gegeben und stellen den „Status Quo“ dar, gegen den aufzubegehren faktisch zwecklos scheint
- Zirkulation von Macht durch den Netzwerkcharakter von Infrastruktur, durch die Kontrolle über Ressourcen und ihre Verteilung
- Individuelle und latente Verhaltensänderungen durch Infrastruktur und Schaffen eines mehr oder weniger ausgeprägten Abhängigkeitsverhältnisses, bei dem die Macht der Infrastruktur gegenüber der verschwindenden Macht des Einzelnen, dominiert.
Die Staatsphilosophie, die Jürgen Habermas begründet und auf den Gesellschaftsvertrag basiert, bewahrheitet sich in der Praxis nicht, wo Machtverhältnisse drückend sind und eher Carl Schmitt recht hat. Über weite Wege unseres Lebens als Bürger hinweg wird staatliche Macht allerdings nicht erfahrbar, weil sie durch scheinbar „neutralen“ Institutionen verschleiert wird. Sie verdeutlicht sich erst im Ernstfall.
Ohne eine Präferenz abzugeben sind das im Sinne eines liberal-demokratischen Staates die Zusammenhänge, die man zumindest kennen muss, um zu bestehen. Gefahren für diesen liberal-demokratischen Staat gehen sowohl von radikalen Klimaprotesten als auch von übersteigerter staatlicher Macht aus.
Gegenüber der Urbanisierung unserer Welt mit immer weiteren Wegen sowie einer Entfremdung gegenüber der ursprünglichen Umwelt muss es eine Alternative in kleinstrukturierten regionalen Kreisläufen geben. Allerdings hat die Klimaszene offenbar kaum ein Interesse am wirklich nachhaltigen Leben. Vor der eigenen Haustüre gäbe es nämlich genug zu tun.
Literatur:
[1] Birte Förster, Martin Bauch (Hrsg.): „Wasserinfrastrukturen und Macht von der Antike bis zur Gegenwart“, Historische Zeitschrift / Beihefte, München 2014
[2] Hans Jonas: „Das Prinzip Verantwortung – Versuch einer Ethik für die technologische Zivilisation“, Insel-Verlag, Frankfurt am Main 1979