Zwischen Alpen und Mittelmeer
Dass die Römer bereits den Gardasee-Raum prägten, geht in das Gedächtnis einer Landschaft ein. Die alten Germanen wussten den Gardasee ebenso als eine ganz besondere räumlich-landschaftliche Konstellation einzuschätzen und in das Nibelungenlied einfließen zu lassen. Die Langobarden, die Oberitalien besiedelten, ehe Karl der Große sie besiegte, prägten diesen Raum bauhistorisch – im Kirchenbau – bis heute hin. Im Mittelalter war der Gardasee eine Art Speisekammer für die deutschen Adelshäuser. Und für Goethe war der Gardasee die erste „Erfahrung“ des Südens, des Landes der klassischen Antike und des alten Roms.
Die Alpen mit dem weißen Dolomitgestein finden am Gardasee ihre südlichen Ausläufer. Genauso wie die Alpen am Nordrand entlang der nördlichen Kalkalpen eine Seenlandschaft bilden, bilden sie diese Seenlandschaft auch im Süden, an den südlichen Kalkalpen. Geomorphologisch durch die Übertiefung (glaziale Erosion gegenüber dem umliegenden Gelände) der Täler durch die eiszeitlichen Gletscher.
Während der Norden des Gardasees noch durch schroffe Felswände gekennzeichnet ist und an einen Fjord erinnert, bei dem sich das wilde Meer den Weg durch die Felsen bahnt, vollzieht sich in Richtung Südufer der schlagartige Übergang in das mediterrane Ambiente mit Olivenhainen, Palmen und Weinbergen. Dieser Übergang beginnt ganz elementar in der Natur in Form „der Pracht einer subtropischen Vegetation von größter Vielfalt; Zypressen, Pinien, Zedern, Ölbäume, Myrten, Oleander, Lorbeer, Eichen, Obstbäume und Blüten in allen Farben säumen Berghänge, Straßen und das Ufer, dessen helle Kiesstrände aus dem üppigen Grün hervorleuchten“ [1].
Der Literaturhistoriker Dieter Richter sagt zum Mythos „Süden“: „Der Süden ist beides – eine geografische Richtung, auf der Landkarte unten, und eine Idee, ein Ort der Sehnsucht, des Traums, aber auch der lauernden Enttäuschung. Die Elemente dieser Traumlandschaft haben viel mit europäischer Kulturgeschichte zu tun“[2].
Fremdenverkehr und Tourismus
Dass sich der moderne Fremdenverkehr im 20. Jahrhundert am Gardasee einstellte, liegt – angesichts der Schönheit dieser Landschaft – auf der Hand. Mit Beginn des letzten Jahrhunderts entstehen auch am Gardasee die mondänen Kurhotels und Grand Hotels für das internationale Publikum. Der Massentourismus setzt dann mit dem so genannten „Wirtschaftswunder“ nach dem Zweiten Weltkrieg an.
Wer an Wochenenden im Frühling oder Sommer in Richtung Gardasee unterwegs ist, hat das Gefühl, ganz München – und nicht nur – sei auf dem Weg an den See. Entsprechend drängend ist das Verkehrschaos, die Staus und die Warteschlangen erhitzen die Gemüter – und vielleicht denkt zwischendurch auch jemand daran, dass die Landschaft auch im Südtiroler Unterland, das gemeinhin nur als Durchzugsland wahrgenommen wird, einiges zu bieten hat, und betreffend Wein, Kulinarik und Kulturlandschaft dem Gardasee-Raum in nichts nachsteht. Bis auf den See…
Noch heute sind die Trennlinien zwischen Massentourismus und gehobenem Ambiente klar zu trennen. Wer sucht, der findet die Orte gehobener Sehnsucht, diese räumlich-kulturellen Konstellationen, die inhaltlich weit weg vom Massentourismus stehen und Landschaft, Kultur, Poesie, Kulinarik, Ästhetik, Atmosphäre, guten Geschmack und gehobenen Stil auf eine höhere Ebene stellen. Ganz egal, wo auch immer man sich auf dieser Welt befindet: Es gibt diese Rückzugsorte von der modernen Welt, die eintauchen lassen in eine größere Ordnung und wo selbst – oberflächlich betrachtet – „banale“ Dinge wie die Zubereitung eines Drinks, das Servieren einer Speise oder das Decken des Tisches ein Ritual bilden und von Ehre, Würde und Tiefe zeugen.
Immobilien und Architektur am Gardasee
Wer am Gardasee unterwegs ist, vernimmt eine rege Bautätigkeit. Immobilien am Gardasee sind selbstverständlich immer ein Thema. Es zeugt von einer besonderen Exklusivität, dort ein Eigentum zu haben, wo sich andere erst auf Herbergssuche begeben müssen. Ein Eigentum ist zudem immer auch eine geistige Verwurzelung. Und wenn der moderne Mensch auch sonst nicht verwurzelt sein will, dann zumindest im Urlaub. So entsteht heute eine Vielzahl an Bauprojekten in unmittelbarer Nähe des Gardasees, die ästhetisch auch überall sonst stehen könnten.
Es handelt sich um die „moderne“ Villen-Architektur, die durch den „International Style“ geprägt ist und sich dadurch auszeichnet, dass ein aufsehenerregendes „Design“ und eine oberflächliche Show-Architektur in die Landschaft gestellt werden, ohne ein Verhältnis zur Landschaft, zum Naturraum, zur Umgebung aufzunehmen. Weder fließen lokale und regionale baukulturelle Elemente in die Planung ein, noch verschmilzt der Naturraum mit dem Gebauten, die Materialität erinnert eher an das Industrie-„Design“ und man mag nicht daran glauben, dass das Gebaute auch noch in 50 (oder eher 20) Jahren zeitgemäß sein wird, während der „Palazzo“ nebenan auch noch in 1.000 Jahren nichts an seiner überzeitlichen Zeitlosigkeit eingebüßt hat.
Jeder baut, wie er will. Aber vielleicht gibt es neben dem vermeintlich „modernen“, aber letztlich reproduzierten Villen-Design auch noch ein Interesse an Überzeitlichem, Naturgewachsenem, an Unterscheidung, wirklicher Exklusivität und an einer Form, die die Poesie der Landschaft in die Poesie des Gebauten integriert. Weil der Garten und jede einzelne Pflanze, das Dach und die Fassade, die Fenster und die Terrasse den Anschein geben, als ob das immer schon – genau so! – an dieser Stelle gestanden hätte und nicht mehr wegzudenken sei von dem Rhythmus der Landschaft. Vielleicht – aber nur vielleicht – ist es ein Mehrwert, sich vom Bestenden und Althergebrachten – und weniger vom „International Style“ – beeinflussen zu lassen. Dann nämlich entsteht wirklicher Stil statt einer oberflächlichen und langweiligen Retorte.
Literatur:
[1] Walter Pippke & Ida Pallhuber: „Gardasee, Verona, Trentino“, DuMont Kunst-Reiseführer, Köln 1995
[2] Dieter Richter: „Die Utopie des reinen Glückes“, Brand eins 08/2018