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Baukultur im Südtiroler Unterland

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Wer Ruhe, gewachsene historische Baukultur, funktionierende kleine Kreisläufe, lebende Dorfkerne liebt, kommt touristisch am Südtiroler Unterland kaum vorbei. Im Unterland gibt es Geschichte, Geschichten, kulturelle Sensibilität, lebende und fruchtbare Landschaften, klein strukturierte Beherbergungsbetriebe, Aufmerksamkeit, Zeit und Ruhe.

Das Südtiroler Unterland bezeichnet das Etschtal südlich von Bozen mit den Gemeinden Tramin, Kurtatsch, Margreid und Kurtinig auf der orographisch rechten und den Gemeinden Auer, Montan, Neumarkt, Salurn, Aldein, Altrei und Truden auf der orographisch linken Seite.

Das Unterland selbst ist ein breites Trogtal mit steilen Hängen. Terrassen und Felspartien unterbrechen die Hänge. Gebildet wurde das Etschtal durch die Gletscher, die sich durch das Tal gruben, während das Überetsch das voreiszeitliche Etschbett bildete [6]. Im Bereich des Mittelberges flossen die beiden Gletscher zusammen. Das Trogtal selbst wurde nach der letzten Gletscherschmelze durch Sedimente gefüllt, da und dort haben sich an den Rändern Schuttkegel gebildet.

Die Geologie zeigt sich hell und dunkel, in Dolomitenkalk und in Porphyr. Die Flora ist aufgrund der südlichen Exponiertheit besonders ausgeprägt, die die eigentliche Natur mit Mischwäldern, Eiben und Stechpalmen, heute aber auch die Kulturlandschaft mit Zypressen, Palmen und Weinreben betrifft.

Landwirtschaft, Erbrecht und Bauernhöfe

Im Südtiroler Unterland vollzieht sich ein Wandel von mediterraner Acker-Alp-Prägung mit Weinbau zur Region der Wiesen-Alp-Betriebe mit und ohne Waldwirtschaft. Es handelt sich folglich um ein Übergangsland, das sich je nach Höhenlage verschieden gestaltet. Je nach geographischer Lage, aber auch nach Höhe, bildeten sich unterschiedliche landwirtschaftliche Systeme und in der Folge unterschiedliche bauliche Formen heraus.

Der geschlossene Hof ist nach Edoardo Mori und Werner Hintner eine „Institution des germanischen Rechtes“ [1], welche auf der Unteilbarkeit des Hofes gründet und folglich eine enge Bindung zum Territorium bedingt, mitunter auch ein sehr stolzes Bauerntum hervorgebracht hatte. „Hof“, das bezeichnet eine umschlossene Fläche. Es oblag der Marktgemeinschaft, Grund und Boden aufzuteilen. Die Konstellation des Anerbenrechtes verhinderte die Bildung von Großgrundbesitz und stabilisierte die Familie oder Sippe dadurch, dass meistens der Älteste den Hof übernahm, die Jüngeren in das Handwerk oder in die Geistlichkeit gingen oder Pächter wurden, jedoch die Sicherheit hatten, im Notfall am Hof unterkommen zu können.

Der Wert eines Hofes besteht gemäß des Prinzips des geschlossenen Hofes nicht im Kapital, sondern im Ertrag, das die Familie nährt. Durch Fleiß und Schweiß war es dem Bauerntum möglich, durch Urbarmachung von Wald und Heide den Grundbesitz zu erweitern. Wesentlich war zur Etablierung des Höferechtes die Definition der Mindestkultureinheit, die den Bestand der Familie zu sichern hatte.

Völlig anders verhält sich die Sache mit der romanischen Realteilung. Das Erbe wurde gleichmäßig unter den Erben aufgeteilt. Vielfach wurde die Erbteilung auch zum Verhängnis. Das Eigentum wurde immer weiter zerstückelt bis schließlich nichts mehr übrig blieb, um für die Eigenen zu sorgen. Indessen mehrte sich der Großgrundbesitz, weil die Landstriche, die nicht mehr für den eigenen Unterhalt ausreichten, veräußert wurden. Es etablierten sich zahlreiche Pachtverhältnisse. Diese Pachtverhältnisse unterschieden sich in ihrer Typologie von der Pacht in den Deutschtiroler Tälern. Dort vollzog sich die Pacht zu einem festgesetzten Geldzins, während der Pächter ansonsten betriebswirtschaftlich unabhängig war.

Im Gegensatz zum Deutschtiroler Pachtverhältnis wurde die Pacht in den Welschtiroler Tälern nicht vererbt, sondern meistens auf Jahresbasis verliehen, wobei hinzukam, dass der Verpächter mit dem Verkauf der Erträge betraut wurde und dem Pächter dessen Anteil überließ. Die Grundflächen waren vergleichsweise klein, umfassten 2 Hektar und weniger, die Pächter hatten die Hälfte des Naturalertrages an den Verpächter, meist an einen Adeligen, abzugeben. Aus diesen Besitz- und Eigentumsverhältnissen ergeben sich die verschiedenen Formen des Bauens, des Wohnens und des Lebens innerhalb der Dorfgemeinschaft.

Welches Recht spezifisch praktiziert wurde, erklärt sich über das so genannte „gelebte“ Recht und die Gewohnheit, sodass davon ausgegangen werden kann, dass sich die Unterscheidung nach germanischer oder romanischer Rechtspraxis durchaus kulturell vollzogen hat. „Bei diesen allseitigen Festhalten an einem persönlichen, durch die Abstammung gegebene Rechte ward es insbesondere in Italien üblich, dass bei den Rechtsgeschäften die beteiligten Personen vorerst das Recht, nach dem sie lebten, angaben, die sogenannte „confessio iuris“ ableisteten“ [2].

Historische Baukultur im Unterland

Südtirol befindet sich zwischen Süden und Norden und wurde durch beide Kulturräume gestalterisch und künstlerisch wechselhaft beeinflusst. Dazu schreibt Erich Egg: „In einer solchen Grenzlandschaft und Kultureinflüsse von Nord und Süd nicht nationale Aussagen, sondern Anerkennung neuer Ideen, woher auch immer sie kamen. In der Gotik kamen sie von Norden, in der Renaissance und im Barock von Italien“ [3]

Künstlerisch war nach dem Zerfall Roms die durch die lombardische Romanik geprägte romanische Epoche zwischen 1100 und 1300 die erste prägende Phase. Ausgeführt wurde diese Kunst durch lombardische Wanderhandwerker und Steinmetze, die unter dem Schutz der Langobardenkönige standen und antik-römische Bautechniken den Gegebenheiten der Zeit anpassten. Von dieser Zeit zeugen die ältesten sakralen Bauwerke in Südtirol.

Die frühe Gotik, die aus dem Norden stammte, wurde besonders durch die Bettelorden vorangetrieben. Das Franziskanerkloster entstand in Bozen 1240, während das Dominikanerkloster 1270 entstand und aus Regensburg entstammte. Geprägt ist diese gotische Phase durch süddeutsche Formgestaltung.

In Tirol setzte in dieser Zeit ein wirtschaftlicher Aufschwung ein. „Städte und Gemeinden nahmen am wirtschaftlichen Aufschwung teil, der von zwei Säulen getragen wurde: Von der Steigerung des Fernverkehrs zwischen Oberdeutschland (Nürnberg, Augsburg) und Venedig durch Tirol und vom Silber- und Kupferbergbau, der dem Land einen Spitzenplatz in Europa verschaffte“.

Der Bedeutungswandel folgte mit der Renaissance. „Während im Norden und in der Mitte Tirols die Wirtschaft stagnierte und damit auch im weltlichen Bereich keine Aufträge, außer an den Höfen in Innsbruck und Brixen, vergeben wurden, erlebte das Überetsch und das Unterland abseits der auch hier fehlenden kirchlichen Aufträge eine interessante Blütezeit des Bauens und Ausstattens. Die Ursache lag in der agrarischen Struktur dieser Gebiete, genauer gesagt im Weinbau, dessen Produkt jetzt mehr denn je nach Deutschland exportiert wurde, weil die adelige Renaissancearchitektur des Weines als gesellschaftliches Konsumgut bedurfte“ schreibt Erich Egg.

In der Folge entwickelten sich im Unterland und Überetsch die Weinbauhöfe durch oft aufwendige Neubauten oder Umbauten zu fast herrschaftlichen Ansitzen. Es wird in der Folge von „Überetscher Stil“ die Rede sein.

Der Weinbau stellt grundsätzlich eine landwirtschaftliche Besonderheit dar. Der Weinbauer ist grundsätzlich weniger autark geprägt – insbesondere in Zeiten, in denen es aufgrund der Nachfrage opportun ist, möglichst hohen Ertrag aus dem Weinbau zu erzielen. Daraus resultiert, dass der Weinbauer von der Geldwirtshaft abhängig ist [4].

Dementsprechend hatte man in Weinbaugebieten tendenziell eher die finanziellen Mittel, um sich mit der Zeit einen entsprechenden Wohlstand anzueignen, der sich selbstverständlich auch im Bauen, das immer auch einen Repräsentationszweck hatte, äußert. Es kommt nicht von ungefähr, dass zahlreiche Weinbaugemeinden früh schon zu Märkten und zu Städten erhoben wurden [5].

Charakterisierend ist für diesen Stil, der sich aus Gotik und Renaissance ergibt, die folgende Ausprägung: „Das Herrenhaus und der getrennte Wirtschaftshof sind von einer Mauer umschlossen, die an der Eingangsseite Zinnen und ein großes Rundbogenfenster mit dem Besitzerwappen zeigt. Der Wohnbau ist ein viereckiger Bauwürfel, selten mit Eckerkern oder Türmchen versehen, hat eine Freitreppe in den ersten Stock und in diesem und im Obergeschoss einen gewölbten saalartigen Mittelgang, der durch die romanisch wirkenden Doppelbogenfenster beleuchtet wird, während die anderen Fenster mit viereckigen Steineinfassungen versehen sind. Die vom Mittelgang aus betretbaren Wohnräume sind einfach gestaltet, haben aber manchmal schöne Kassettendecken und Getäfel. Gelegentlich vorhandene Türme stammen von älteren Bauten“ [3].

Baukultur heute

Die historische Entwicklung ist das eine. Die Folgen für das Bauen heute etwas anderes. Dazu müsste man sich grundsätzlich erst einmal dazu durchringen, auch im modernen Bauen eine Referenz in der Historie zu suchen und zu finden. Charakteristisch für das Bauen und die Architektur im Südtiroler Unterland ist auf jeden Fall das relativ warme und mediterrane Klima. Der Aufenthalt im Freien war historisch betrachtet auch in den kühleren Jahreszeiten möglich, sodass mit Terrassen, weit ausladenden Überdachungen , Söllern, aber auch mit Erkern, Loggien und Balkonen dieser Zwischenraum zwischen außen und innen bestand.

In Tradition der romanischen Mauerwerkskünste, aber auch in der Notwendigkeit, kühle Keller für die Weinlagerung zu schaffen, ist der untere Teil meistens gemauert, während der obere Teil der Gebäude mit weit ausladenden Dachkonstruktionen eine beeindruckende Form schafft. Die Einbindung in den Baugrund ist folglich essentiell. Das alles wird dann eingebettet in eine mediterrane Flora in alpiner Kulisse, die zwischen mediterran und alpin spielt. Das moderne Bauen müsste – wenn historisch verankert – mit diesen Mustern spielen.

Literatur:

[1] Edoardo Mori & Werner Hintner: „Der geschlossene Hof – Geschichtliche Entwicklungen und geltende Bestimmungen“, Fondazione UPAD, Bozen, Mai 2013

[2] Otto Stolz: „Die Ausbreitung des Deutschtums in Südtirol im Lichte der Urkunden“, Verlagsanstalt Oldenbourg, München und Berlin 1927

[3] Erich Egg: „Kunst im Südtiroler Unterland“, Verlagsanstalt Athesia, Bozen 1991

[4] Richard Weiss: „Häuser und Landschaften der Schweiz“, Haupt Verlag, Bern 2017

[5] „Das Bauernhaus in Österreich-Ungarn und in seinen Grenzgebieten – Textband und Atlas“, Österreichischer Ingenieur- und Architekten-Verein, Wien 1906

[6] Sylvia Ganthaler & René Rinner: Machbarkeitssudie Zulaufstrecke Süd, Südtiroler Landesregierung, Bozen 2009

5 Antworten zu „Baukultur im Südtiroler Unterland”.

  1. Avatar von Goldener Herbst in Südtirol – Von der Natur, den Projekten und den Menschen – Demanega

    […] der Seitentäler und die Nachhaltigkeit, die alle suchen und zunehmend nicht finden. Das Südtiroler Unterland bietet eine authentische […]

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  2. Avatar von Südtiroler Baukultur und Bozner Stil – Demanega

    […] Baukultur im Südtiroler Unterland […]

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  3. Avatar von Die Unterlandler Hauswurst – Demanega

    […] verfügt. Daz ist es baulich natürlich vorteilhaft, in den Hang und in das Erdreich zu bauen. Baukultur trifft […]

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  4. Avatar von Wer war Adolf Pichler? – Demanega

    […] Pichler stammte aus sehr einfachen Verhältnissen. Sein Vater war Zollbeamter, wurde alle paar Jahre versetzt. Die Pichlers waren späte Nachfahren eines ehemals wohlhabenden Bauerngeschlechtes mit Ursprung in Neumarkt im Südtiroler Unterland. […]

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